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Kurzum: Um sich «Maniac» anschauen zu können, muss man Arbeit reinstecken. Und wer will das schon? Natürlich niemand, man sollte so einen leichten Zugang zu allen Filmen haben wie zu fließend Wasser! Daher wäre es mein gutes Recht, aufzuschreien, dass das ja fast schon Verhältnisse sind wie im Dritten Reich, als die Nazis jede Kunst, die ihnen nicht gepasst hat, verbrannten … Okay, genug der sarkastischen, uneigentlichen Rede: Nein, natürlich ist das nicht mein gutes Recht. Es wäre total bescheuert von mir, mit derartiger Drastik zu jammern, dass ich «Maniac» nicht hinterhergeworfen bekomme, sondern gezielt nach ihm suchen und ihn mir haptisch kaufen muss.
Doch in den vergangenen Tagen war das Internet rappelvoll mit dieser "Oh, ein Titel wird nicht überall angeboten – willkommen zurück in der Nazi-Zeit!"-Logik. Und diese Schimpfe wurde nicht nur von einem Schlag Menschen betrieben. Es reichte vom sich über alles aufregenden Troll in Facebook-Kommentarspalten bis hoch zu politisch sonst gebildeten, engagierten Meinungsmachern.
Sehr viele Menschen nahmen Anstoß daran, dass HBO Max temporär «Vom Winde verweht» aus dem Portfolio genommen hat und «Little Britan» von einigen Streamingplattformen zurückgezogen wurde. Es wurde "Zensur" genannt, "die empfindlichen, linken Snowflakes" wurden als "die neuen Rechten" bezeichnet und noch jede Menge anderer Logik- und Sprachmüll wurde verzapft. Wer echt denkt, dass es «Vom Winde verweht»-Fans heute so ergeht wie jüdischen Künstlern unter dem Nazi-Regime, sollte dringend sämtliche Social-Media-Aktivitäten einstellen und zurück in die Schule …
Und für all jene, die nicht wissentlich die Gräueltaten der Nazis verharmlosen wollen, indem sie nun über Kleinigkeiten wimmern, sondern ehrlich-uninformiert verwundert sind, hole ich gern noch ein bisschen weiter aus. Also: Es ist es keine Zensur, wenn ein Streamingdienst einen Titel nicht weiter anbietet. Das ist einfach eine Neuausrichtung des Programms – kann man gut oder schlecht finden, aber man sollte es nicht überdramatisieren. Die ARD wiederholt auch nicht mehr alle «Tatort»-Folgen, weil sie hinter manchen nicht mehr steht. Mal aus inhaltlichen Gründen, mal aus handwerklichen, und manchmal schlicht, weil sie denkt, dass sie derart veraltet sind, dass sie keine Quote mehr bringen würden. Das steht der ARD als Programmanbieter frei.
Der Vergleich mit politischer Zensur ist darüber hinaus völlig daneben, weil die Titel ja eben nicht verschwinden: «Vom Winde verweht» ist weiterhin über zahlreiche andere digitale Wege erhältlich – und als DVD oder Blu-ray. «Little Britain» lässt sich ebenfalls weiterhin als DVD-Set kaufen. Niemand verweigert es irgendwem, sich diese Produktionen zu besorgen und anzuschauen. Es ist einfach nur ein winzig kleines bisschen unbequemer geworden, an sie heranzukommen – tja, willkommen im Leben von Filmsammlern, die für rarere Titel zig Onlineshops und "echte" Läden durchforsten. Wenn man einen alten Film, der nur noch wenige Menschen interessiert (und sind wir ehrlich: vor dem lauten Aufschrei der vergangenen Tage hat kaum wer über «Vom Winde verweht» nachgedacht), sehen möchte, passiert das halt.
Insofern also: Willkommen im Kapitalismus, wo Firmen ihr Angebot davon abhängig machen, was sie als wirtschaftlich klug halten. HBO Max denkt, es sei nicht die beste Entscheidung, «Vom Winde verweht» ohne Einordnung des historischen Kontexts anzubieten, also zieht HBO Max eine Konsequenz daraus. Mehr steckt nicht dahinter – nicht "die empfindlichen, linken Snowflakes" tragen die Schuld daran, als dass es keine erwähnenswerten Anti-«Vom Winde verweht»-oder Anti-«Little Britain»-Kampagnen gab. Streamingdienste machen gerade schlicht einmal mehr typische Streamingdienst-Entscheidungen. Nichts daran ist neu. Dass die BBC «Little Britain» aus ihrer Mediathek nimmt, weil sie beschließt, dass das Format nicht zu ihrer Ausrichtung passt, ist vergleichbar damit, dass Disney+ die queere Jugendserie «Love, Victor» zu Hulu verschiebt.
Will man die Denke "Das passt nicht zu uns und könnte auch schlecht aussehen" im «Little Britain»-Fall als "Zensur von links" hochstilisieren, dann muss man bitte die «Love, Victor»-Sache als "Zensur von rechts" bezeichnen, weil Disney+ sein Programm von einem vorauseilenden Gehorsam gegenüber intoleranten, erzkonservativen Eltern beeinflussen lässt. Aber, um es noch einmal zu betonen: In Wahrheit ist das keine Zensur, egal, wie oft das Leute noch in Kommentarspalten schreiben. Es ist eine (manchmal nachvollziehbare, manchmal voreilige) wirtschaftliche "Wie stehen wir vor einem nennenswerten Anteil des Publikums gut da?"-Überlegung. Wenn ihr das mies findet, dann holt euch die Sachen, die ihr jederzeit zur Verfügung haben wollt, als haptische Kopie und/oder beschwert euch beim Kapitalismus, statt arbiträr eine Gruppe zu definieren und dann zu beschuldigen.
Besonders lächerlich wird diese ganze Debatte vor dem Hintergrund, dass es doch vielen, vielen Medienprojekten viel, viel schlimmer ergeht – sich da aber niemand rührt: Ich würde mir beispielsweise sehr gerne noch einmal «Liebling, ich habe die Kinder geschrumpft – Die TV-Serie» anschauen. Doch die Serie lässt sich nirgends legal streamen und hat es nie auf DVD, geschweige denn auf Blu-ray geschafft. Ich habe sie mir damals zum Glück während ihrer Ausstrahlung auf Super RTL auf Videokassette aufgezeichnet – aber eine bessere Qualität wäre mir schon lieber. Und was sollen Gleichgesinnte sagen, die die Serie nicht aufgenommen haben?
Die Serie ist, wie Hunderte und Aberhunderte von anderen Serien und Filmen, praktisch unauffindbar. Und warum? Weil die Rechteinhaber sie nicht als kommerziell interessant genug erachten, sie feilzubieten. Selbst dieses völlige Verschwinden von Film- und Fernsehproduktionen ist keine Zensur, da es keine vom Staat gelenkte, politische Entscheidung ist. Sondern einfach nur dröger, lahmer Kapitalismus. Also macht euch nicht weiter in die Hose, weil «Vom Winde verweht» oder «Little Britain» zwar leichter als «Liebling, ich habe die Kinder geschrumpft – Die TV-Serie» und William Lustigs «Maniac» zu finden sind, aber ein bisschen schwerer als Detlev Bucks «Bibi & Tina»-Filme, die derzeit gefühlt überall zu streamen sind. Was für Jammerlappen muss man sein ..?
Es gibt 2 Kommentare zum Artikel
17.06.2020 17:12 Uhr 1
21.06.2020 09:19 Uhr 2