Serientäter

«Reality Z» – Zombiapokalypse Made in Brasil

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Und schon wieder eine Zombie-Serie. Dieses Mal lässt Brasilien hungrige Untote auf die Lebenden los. «Reality Z» lautet der Titel des Genre-Beitrages aus Südamerika, der nicht nur rasant und brutal den Bildschirm überrennt, sondern sogar Platz für manch einen kritischen Kommentar auf die Medien und die Politik der Gegenwart in seinen Eingeweiden versteckt.

Cast & Crew

  • Showrunner/ Autoren/ Produzenten/ Regisseure: Cláudio Torres, Rodrigo Monte
  • Darsteller: Ravel Andrade, Carla Ribas, Ana Hartmann, Luellem de Castro, Emilio de Mello, Julia Ianina, Pierre Baitelli, Natália Rosa, Hanna Romanazzi, Guilherme Weber, Gabriel Canella, Leandro Daie, Sabrina Sato
  • Kamera: Rodrigo Monte
  • Musik: Luca Raele, Maurício Tagliari
  • Make-Up: Débora Saad, Tayce Vale
  • Executive Producer: Charlie Brooker, Annabel Jones
  • Laufzeit: 10 Episoden á 30 Minuten
Während Rio vom Ausbruch einer Seuche überrascht wird, deren Ausbreitung in einem Tempo voranschreitet, das den Staatsapparat im Zeitraffer zusammenbrechen lässt, warten die Kandidaten der Show „Olimpio“ auf das Voting der Zuschauer: Welche Gottheit muss das Studio verlassen, wer darf bleiben? Irgendwann wird sich Zeus an die Kandidaten wenden und den Namen der Göttin oder des Gottes verkünden, für den oder die ihr Dasein als angebetete Trash-Ikone enden wird.

Ja, „Olimpio“, das ist ein «Big Brother»-Klon, bei dem die Kandidaten in die Rollen griechischer Götter schlüpfen, in einem dem Olymp gleichen Luxus-Umfeld einander ihre kleinen Gemeinheiten vor die Köpfe werfen und durch ihre Beschränktheit das Publikum vor den Bildschirmen erfreuen. Da gibt es den Muskelberg oder die Latina mit dem durchtrainierten Hintern, den göttlichen Adonis, der Männer liebt, die freundliche, ältere Camp-Mutter, den in die Jahre gekommenen Nerd und andere mehr. Vor allem aber bekommen sie in ihrem kleinen Olymp von den Unruhen, die sich vor der Tür ereignen, überhaupt nichts mit. Bis die Produktions-Assistentin Nina blutverschmiert in ihr kleines Paradies stolpert. Mit einem Messer in der Hand und auch ansonsten nicht wirklich zu Späßen aufgelegt.

Am Anfang stand «Dead Set»


Wem diese Handlung irritierend bekannt vorkommt, täuscht sich nicht. «Reality Z» ist das brasilianische Remake der großartigen britischen Miniserie «Dead Set» von «Black Mirror»-Erfinder Charlie Brooker. Bereits im Jahr 2008 – zwei Jahre vor dem Start von «The Walking Dead» - lotete Brooker in seiner vom britischen Sender E4 produzierten Serie aus, wie weit Fernsehen in der Darstellung von Gewaltszenen gehen kann. Die Antwort fiel überraschend aus: Verdammt weit. Brooker, grob gesagt eine britische Mischung aus TV-Erklärer Philipp Walulis und «SchleFaz»-Grandseingnor Oliver Kalkofe, konnte für seine Serie seinerzeit sogar mit einem echten Coup aufwarten: Als britischer «Big Brother»-Lizenznehmer ermöglichte ihm E4 einen Dreh in den Original-Kulissen des britischen «Big Brother»s. Inklusive Nennung des Titels, inklusive Nutzung der Studiotechnik.

«Dead Set» ist eine Mischung aus brutaler Zombiesplatterserie – und einer überraschend differenzierten Medienanalyse. Allein die Tatsache, dass die letzte Hoffnung der Zivilisation auf den Kandidaten einer «Big Brother»-Show basiert, stimmt nicht unbedingt hoffnungsfroh. Auf der anderen Seite offenbaren einige Figuren des Brooker-Originals überraschende Fähigkeiten und sind sich teils durchaus darüber bewusst, in diesem Container nur bestimmte Rollen dazustellen. Das ist nicht ohne einen Reiz, denn es stellt die Frage in den Raum – was ist in einer solchen „Reality“-Welt wirklich real, was Show und wo lassen sich Kandidaten bewusst ausbeuten, um ihren Ruhm zu erlangen? Oder zumindest eine Illusion von Ruhm?
Nun sind 12 Jahre ins Land gegangen, seit «Dead Set» aufs Publikum losgelassen worden ist. Wo «Big Brother» 2008 noch als Gesprächsthema über die Fankreise hinaus reichte, wenn ein Kandidat, eine Kandidatin durch besondere „Talente“ überzeugte, juckt es heute niemanden – jenseits der Fankreise – mehr, wer was warum in irgend einer solchen Show anstellt. Kandidatin X erlebt eine wilde Liebesnacht mit Kandidat Y, obwohl draußen ihr Verlobter auf sie wartet? Wen juckt das? Die Zeit, da solch ein Verhalten Skandale verursachte – und mögen sie medial inszeniert worden sein – ist lange vorbei. Wer so etwas wie «Big Brother» gucken möchte, soll das tun, wer nicht – nicht.

Ab in den Olymp


Diese veränderte Medienwelt berücksichtigt das brasilianische Remake der britischen Serie. „Olimpio“ wird ganz klar als eine Show dargestellt, die durch ihr Umfeld – und eine hoch professionelle Umsetzung – ein Publikum hat generieren können. Da sind die Kandidaten, die zwar ihre Persönlichkeit in ihr Camp mit einbringen, die aber gleichzeitig eine Rolle spielen müssen. Die Rolle einer griechischen Gottheit. Was, denkt man genauer drüber nach, tatsächlich kein uninteressantes Reality-Format darstellt. Vor allem aber wirkt das Format glaubhaft. Wer heute ein Publikum für ein Reality-Format erreichen will, darf nicht mehr nur ein paar Kameras in einem Container aufstellen. Das Publikum ist anspruchsvoller geworden. Und so ist das Studio von Olimpio eben nicht einfach ein Container-Dorf. Es ist ein sich selbst versorgendes Ökosystem, in dem der Strom aus Sonnenenergie erzeugt wird und das sogar über ein eigenes, funktionierendes Wassersystem verfügt, um die Darsteller möglichst autark von der Außenwelt handeln lassen zu können.

Und es ist nicht der schlechteste Ort für den Aufenthalt während einer Zombie-Apokalypse.

Die auch in der Welt von «Reality Z» recht unvermittelt über die Menschen hereinbricht. Wo sie ausbricht, ob sie natürlichen Ursprungs ist oder in einem Labor gezüchtet wurde: Niemand weiß es. Und auch Nina hat keine Ahnung, was um sie herum geschieht – als es geschieht. Da glaubt sie zunächst, der Tag könne nicht schlechter werden (sie hatte sich auf ein amouröses Abenteuer mit einem Kollegen und einer Kollegin eingelassen – um prompt ein Video davon im Netz zu finden), da wird sie eines Schlechteren belehrt, als die ersten Menschen auch im Studio anfangen Amok zu laufen. Blutrünstig, von Sinnen, nach Menschenfleisch lechzend. Irgendwie gelingt es Nina sich in den Olymp vorzukämpfen. Glauben die Teilnehmer der Show zunächst an eine Prüfung und bizarren Einfall der Regie (sind die Quoten etwa gefallen?), so stellen sie bald fest, dass sie ein Problem haben. Mag das Studio auch ein kleines, selbstständiges Ökosystem darstellen, in dem sie lange überleben können, brauchen sie dennoch etwas zu Essen. Daran hapert es. Über kurz oder lang werden sie das Studio also verlassen müssen.

Knackige Inszenierung


Jede Episode von «Reality Z» dauert nur etwa 30 Minuten. Und die Macher nutzen diese Spielzeit, um die Geschichte ständig voranzutreiben und keinen Stillstand entstehen zu lassen. Vor allem vergessen sie den Aspekt der Medienkritik nicht – die in Person des Produzenten Brandão auf der Bildfläche erscheint. Auch er überlebt den Angriff, jedoch eingeschlossen in einem Raum mit einer gerade aus dem Olymp hinaus gewählten Göttin, deren Schönheit in einem krassen Gegensatz zu ihrer Intelligenz steht. Auch in der britischen Originalversion gibt es einen solchen Produzenten, der jedoch einen überraschend schwachen Charakter darstellt. Schwach im Sinne von – er ist eine Aneinanderreihung von Klischees, ein schleimiger Wichtigtuer ohne echte Persönlichkeit. Was gerade in einer von Charlie Brooker erdachten Serie überrascht, da gerade Charakterzeichnung zu den großen Stärken des britischen Autors und Filmemachers gehört. Es ist schwierig zu beurteilen, welchen Anteil Charlie Brooker an der brasilianischen Serie trägt. Er wird als Ausführender Produzent genannt. Bedeutet das, dass er sich einen etwas größeren Scheck gesichert hat – oder hat er auch kreativen Einfluss auf die Neuverfilmung ausgeübt? Die Figur des Brandão lässt dies vermuten, denn dieser Brandão ist weitaus komplexer, faszinierender angelegt als sein britischen Gegenstück. Sicher, Brandão ist ein selbstverliebter, seine Macht als Produzent in vollen Zügen genießender Dreckskerl, das hat er mit seinem Gegenpart gemeinsam.

Aber da lauert etwas Abgründiges in ihm, etwas, das durch diese Apokalypse sogar verstärkt wird. Er ist kein clowneskes Abziehbild der Realität – er ist der Typus von Mensch, der, einmal zu Macht gelangt, diese genießt, auskostet, missbraucht. So verwundert es nicht, dass er für die Überlebenden im Olymp bald eine größere Gefahr darstellt als die hungrigen Zombies vor der Tür.

Nun darf man natürlich die Frage stellen, warum Charlie Brookers Serie überhaupt eine Neuauflage erleben muss. Fehlt es etwa auch brasilianischen Fernsehmachern an Ideen? Muss nun auch das Fernsehen rebooten und remaken, was das Zeug hält, weil neue Ideen zu kreieren halt viel schwieriger ist als auf bewährte Stoffe zurückzugreifen? Nun, zum einen muss so etwas nicht automatisch schlechter als das Original ausfallen – man vergleiche «Designated Survivor» mit seinem koreanischen Remake «Designated Survivor: 60 Days», welches das Original verdammt lahm wirken lässt. Zum anderen ist «Dead Set» nun keine Serie wie «MacGyver», bei der sich die Neuauflage mit einer Kultserie der 80er messen muss. «Dead Set» ist Sparte. In Deutschland etwa feierte die Serie erst 2013 ihre Premiere auf RTL Crime – einem eher unbeachteten Nischensender. Sie ist eben nicht «The Walking Dead», sondern (jenseits von Großbritannien) eher ein Fanobjekt. Zum anderen haben die brasilianischen Macher das Original eben doch nicht 1:1 übertragen. Die ersten fünf Episoden entsprechen zu großen Teilen dramaturgisch den fünf Episoden des Originals. Sie sind keine einfachen Kopien, aber die Überschneidungen sind gewaltig. Allerdings umfasst die brasilianische Serie zehn Episoden, was belegt: Hier gibt es ein Mehr an Handlung.

Wo die britische Serie tatsächlich ausschließlich in den Räumlichkeiten der «Big Brother»-Produktion spielt, verlässt «Reality Z» diesen Spielort, um Leo und seine Mutter Ana in die Serie einzuführen. Sind sie anfangs zwei Nebenfiguren, entwickeln sie sich mehr und mehr zu den tatsächlichen Hauptfiguren, gerade ab Episode 5, in der die Serie nicht mehr auf das britische Original zurückgreift. Ana ist eine Frau um die 60. Sie ist von Tabletten abhängig, sie verbringt die meiste Zeit im Bett. In dem sie auch den Ausbruch der Seuche quasi verschläft. Während Leos Freundin selbst zum Zombie mutiert, gelingt es dem jungen Mann, mit seiner Mutter aus der Wohnung auszubrechen. So ergibt sich langsam ein Bild von Ana. Ana ist Architektin und Ingenieurin – und sie ist die Frau, die das Olimpio-Gelände erschaffen hat. Sie weiß, dass sie dort überleben können. Dafür aber muss sie nicht nur zu sich selbst finden: Auf ihrem Weg geraten Mutter und Sohn an den korrupten Politiker Levi und seine kleine Entourage. Der ihnen auf der Flucht aus der Stadt das Benzin stiehlt. Mit Waffengewalt. Mitten im Nirgendwo. Um nicht als Zombiefutter zu enden, macht Ana ihm einen Vorschlag: Sie kennt einen Ort, an dem sie sicher sind – dessen Technik aber nur sie bedienen kann. Während er über die Ressourcen verfügt, sie sicher zu diesem Ort zu geleiten.

Zu den Ursprüngen


Was zunächst nach Klischee klingt – jetzt muss auch noch ein dreckiger Politiker in die Story eingeführt werden, der miese Produzent reicht nicht aus – ist an sich Romero pur. In einem Interview mit dem amerikanischen Magazin «Fangoria» wurde George A. Romero, der Mann, der mit «The Night of the Living Dead» das Zombiegenre, wie wir es heute kennen, erfunden hat, gefragt, um was es in seinem Film eigentlich gehen würde. Seine Antwort war überraschend. Es ging ihm nicht um den Horror, die Angst, das Entsetzen. Es ging ihm um den Mangel an Kommunikation. „Menschliche Kommunikation war schon immer das Thema des Films. (…) Die Überlebenden sind nicht in der Lage, auf eine vernünftige Art und Weise miteinander zu reden, um gemeinsam einen Weg aus dem Haus (in dem sie von Zombies belagert werden, Anm. Red) hinaus zu finden. Dieser vollkommen Mangel an Kommunikationsfähigkeit – lässt sie scheitern.“ (zitiert nach: Anthony Timpone [edit] «Fangoria's Best Horrorfilms», 1994).

Würden diese Menschen nun zusammenarbeiten, die Ingenieurin, die Sicherheitsleute von Levi, die Menschen im Studio, würden sie reden, und zwar auf Augenhöhe, ihre Fähigkeiten für das Wohl ihrer kleinen Gemeinschaft einsetzen: Dann hätten sie eine Chance. Aber an diesem Punkt bietet «Reality Z» durch die Einführung des Politikers eine klassische Romero-Situation. Dieser Politiker nämlich ist kein Demokrat, sondern eher ein Mann, der im Schatten großer Führer agiert. Dieser Politiker ist gerissen und intelligent, aber kein Kommunikator, der Menschen zusammenführen möchte. Dieser Politiker ist ein Mann, der Chancen ergreift, der manipuliert, der sich auf Vasallen stützt, selbst aber durchaus vor zu viel Verantwortung zurückschreckt. Er ist derjenige, auf den die Populisten, denen es allein um Macht geht, ihre Herrschaftssysteme aufbauen. Skrupellose Technokraten, für die Menschen Schachfiguren auf einem Brett darstellen. Dass sich in solch einer Gemengelage die Kandidaten einer Reality-Show als ehrbarer, aufrichtiger, sogar weitsichtiger entpuppen als ein Spitzenpolitiker – darf durchaus als Kritik an aktuell regierenden Rechtspopulisten nicht nur in Brasilien betrachtet werden.

Filmische Agilität


Auch visuell verfolgt die Serie einen anderen Weg als «Dead Set». «Dead Set» ist inszenatorisch ganz nah an «Big Brother» – man hat schließlich die entsprechende Studiotechnik verwendet. «Reality Z» ist da weitaus filmischer, agiler. Für die brasilianische Serie ist das Studio letztlich „nur“ ein Spielort, der in tollen Bildern in Szene gesetzt wird. Im Rahmen der Außenszenen kommen auch einige CGI-Effekte zum Einsatz, wenn auch nur sehr wohl dosiert, gerade so viel wie notwendig ist, um eine Stadt im Untergang zu zeigen.

Dramaturgisch ungemein gelungen ist außerdem der Umgang mit den Hauptfiguren. Man könnte ihn durchaus als radikal bezeichnen. Gnade kennt die Inszenierung nicht. Nur weil man gerade jemanden als vernunftorientierte, freundliche Person ins Herz geschlossen hat, bedeutet das nicht, dass ihr Herz in der nächsten Szene nicht im Magen eines Zombies landet. In Bezug auf die Gewaltdarstellungen ist «Reality Z» gleichfalls keine Serie für Zuschauer mit einem schwachen Magen. Während die beiden brasilianischen Netflix-Vorgängerserien «3%» und «Omnipräsenz» mit kleinen Budgets kaum über den Look von «GZSZ» hinaus kamen, bewegt sich «Reality Z» absolut auf internationalem Streaming-Serienniveau in Kamera, Ausstattung, Effekten, et cetera.

So steht am Ende eine klare Empfehlung nicht nur für Genrefans. «Reality Z» lässt es krachen, kann dem Original neue Aspekte abgewinnen, kann dramaturgisch überzeugen und hält sich zumindest ein Hintertürchen für eine Fortsetzung offen – im Gegensatz zur diesbezüglich radikalen britischen „Mutterserie“, die sich bewusst als in sich abgeschlossene Mini-Serie verstanden hat, während «Reality Z» dann doch eher einen klassischen Serienweg geht. Auch wenn die Geschichte an sich ebenfalls abgeschlossen wird – einen kleinen Cliffhanger gibt es. Gerade so groß, dass er bei Nicht-Fortführung keinen Schalen Beigeschmack hinterlässt, groß genug, um eine zweite Staffel nahtlos an dieser ersten Staffel anschließen zu lassen.

Netflix streamt «Reality Z».

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