Die Kino-Kritiker

«Suicide Tourist» - «A Cure for Wellness» für Anfänger

von

«When Animals Dream»-Regisseur Jonas Alexander Arnby legt mit seinem Film «Suicide Tourist - Es gibt kein Entkommen» eine Geschichte zu einem umstrittenen Thema vor. Und lässt dabei erzählerisch ebenso viel Potenzial liegen wie er es auf inszenatorischer Ebene ausschöpft.

Filmfacts: «Suicide Tourist»

  • Kinostart: 2. Juli 2020
  • FSK: 12
  • Laufzeit: 90 Min.
  • Genre: Thriller, Mystery
  • Kamera: Niels Thastum
  • Musik: Mikkel Hess
  • Buch: Rasmus Birch
  • Regie: Jonas Alexander Arnby
  • Darsteller: Nikolaj Coster-Waldau, Kate Ashfield, Tuva Novotny, Sonja Richter, Johanna Wokalek
  • OT: Selvmordsturisten (DK/NOR/DE 2019)
In den Niederlanden, in Belgien, Luxemburg und der Schweiz ist sie bereits in unterschiedlichem Ausmaß erlaubt. In vielen anderen Ländern dieser Welt beschränkt sich die positive Rechtslage auf einzelne Teilaspekte. Und in Deutschland wird bereits seit vielen Jahren über sie diskutiert: Die Rede ist von Sterbehilfe. Es gibt die sogenannte aktive Sterbehilfe, unter der man auf Wunsch des in der Regel sterbenskranken Patienten die gezielte Herbeiführung des Todes versteht. Passive Sterbehilfe dagegen beschreibt den Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen, die unweigerlich zum früheren Tod der betroffenen Person führen. Und indirekte Sterbehilfe, die nicht dasselbe ist wie die passive Sterbehilfe, ist etwa die Verschreibung schmerzstillender Medikamente bei Inkaufnahme eines dadurch früher eintretenden Ablebens.

In Dänemark, dem Geburtsland des Regisseurs Jonas Alexander Arnby («When Animals dream»), ist gesetzlich derzeit ausschließlich passive Sterbehilfe legal. Insofern ist der sogenannte Selbstmordtourismus, der in seinem neuen Film «Suicide Tourist – Es gibt kein Entkommen» beschrieben wird, noch einmal weitaus kontroverser aufzufassen als etwa in der tonal zwar völlig anders ausgerichteten, thematisch allerdings ähnliche Wege einschlagenden Tragikomödie «Hin und weg», die vor knapp sechs Jahren in den deutschen Kinos gezeigt wurde.



Den Tod vor Augen


Versicherungsmakler Max (Nikolaj Coster-Waldau) erhält einen überraschenden Anruf seiner früheren Kundin Alice (Tuva Novotny), die den Tod ihres Mannes Arthur aufdecken möchte, um endlich seine Lebensversicherung in Anspruch nehmen zu können. Bei seiner Recherche stößt Max auf das mysteriöse „Aurora“ Hotel, mit dem Arthur anscheinend Kontakt hatte. Ein Hotel, das sich auf geplante und betreute Suizide spezialisiert hat. Max, der aufgrund einer tödlichen Erkrankung gerade selbst mitten in einer Existenzkrise steckt, beginnt seine eigene Wahrnehmung der Wirklichkeit in Frage zu stellen. Ist der Tod der einzige Weg raus aus dem Hotel?

In Christian Züberts Film über einen Todkranken, dessen letzter Wille es ist, in Belgien kontrollierten Selbstmord zu begehen, wird ausführlich über die moralischen wie ethischen Grundsätze hinter einer solchen Entscheidung diskutiert. In «Suicide Tourist» dagegen findet diese eher am Rande statt und wird nur ganz selten konkret ausformuliert. Stattdessen forciert Drehbuchautor Rasmus Birch (schrieb auch schon das Skript zu «When Animals dream») die Auseinandersetzung mit der Frage nach einer Vertretbarkeit der aktiven Sterbehilfe durch die Inszenierung selbst. Und das ist sowohl diskussionswürdig als auch faszinierend. Zu Beginn etabliert das Skript die Hauptfigur des eigentlich mit seinem Leben zufriedenen Versicherungsmaklers Max als von der Diagnose „unheilbarer Gehirntumor“ gezeichneten Mann, der sich den bevorstehenden Qualen einer solchen Erkrankung nicht aussetzen will. Also versucht er sich erst halbherzig selbst umzubringen (diesen Szenen wohnt unerklärlicherweise ein gewisser, keinesfalls angebrachter Humor inne – ein echter, inszenatorischer Fehlschlag!) und stößt dann zufällig auf die Existenz eines sogenannten Suizid-Hotels sowie dessen undurchdringbar-mysteriöse Aura.

Mit welcher Nüchternheit hier mit dem zukünftigen Ableben von Menschen umgegangen wird, bildet die Grundlage für die unheilvolle Atmosphäre des Films, die noch viele weitere, unheimliche Beobachtungen nährt.

Langsamer Einstieg, abruptes Ende


Dass Jonas Alexander Arnby die Kulisse eines solchen Selbstmord-Hotels, wie sie so ja tatsächlich in etwa Belgien existieren, allerdings nicht derart steril und gruselig aufgemacht sind wie in «Suicide Tourist» gezeigt, in erster Linie nutzt, um in ihr einen Mysterythriller-Plot zu erzählen, ist natürlich legitim. Der Zuschauer muss sich mit der moralischen Frage nach dem – salopp formuliert – Sinn und Unsinn einer solchen Einrichtung allerdings permanent selbst konfrontieren, um den Film auch als ernsthafte ethische Auseinandersetzung mit der Thematik zu verstehen. Das erinnert ein wenig an Clint Eastwoods fragwürdiges Scharfschützen-Porträt «American Sniper», das er so völlig ohne kritischen Kommentar über den mehrfachen Todesschützen Chris Kyle im luftleeren Raum stehen ließ und damit vor allem positive Stimmen von Waffennarren und Kriegs-Fanatikern erntete. Auch hier kam die mehrdimensionale Betrachtung der Person nur zustande, wenn man sie als Zuschauer selbst angestellt hat. «Suicide Tourist» kann einen ebenfalls nur an der Oberfläche als düsterer Mysterythriller unterhalten, eine erzählerische Substanz dagegen muss man sich selbst dazu denken.

Immerhin: «Game of Thrones»-Star Nikolaj Coster-Waldau mimt den mit seinem Leben so gut wie abgeschlossenen Max angenehm ambivalent. Er blickt stellvertretend für das Publikum hinter die (arg verzerrten) Kulissen eines solchen Tötungsbetriebs – insbesondere an seiner innerlich zerrissenen Figur, die noch nicht zu 100 Prozent sicher ist, ob sie überhaupt sterben will und die permanent abwägt, ob sie nun den Aufenthalt im „Aurora“-Hotel möchte oder nicht, lässt sich immerhin im Ansatz ableiten, mit welchen Problemen sich Menschen auseinandersetzen müssen, die überlegen, aktive Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen.

Doch spätestens wenn in einem Dialog zwischen Max und seiner Betreuerin im Hotel die Frage aufkommt, ob der sich schließlich für den aktiven Selbstmord entschiedene Mann den Ablauf des Prozesses verstanden hat und dieser mit einem unsicheren „Ich glaube schon!“ antwortet, sollten auf der Realismus-Ebene die Alarmglocken klingeln; muss ein potenzieller Kandidat für einen betreuten Suizid doch erst mehrfach deutlich gemacht haben, dass er sich seines Vorhabens vollkommen sicher und er bei klarem Verstand ist. Spätestens ab hier (und dank des zwischenzeitlichen Einschubs verschiedener, paranoider Visionen, durch welche die Grenzen zwischen Realität und Wahnvorstellung langsam verschwimmen) lässt sich «Suicide Tourist» endgültig im Genrekino verorten. Zwar erreicht der Film längst nicht die Brillanz von Gore Verbinskis Kurhotel-Schocker «A Cure for Wellness», doch nicht nur visuell kreiert Kameramann Niels Thastum («Borg/McEnroe») Bilder, die deutlich an die beklemmende Düsternis in dem vermeintlich heilbringenden Wellnesshotel erinnern. Auch wenn Max später durch die Katakomben der Einrichtung streift und sukzessive hinter die Abläufe der Einrichtung steigt, legt er ein ähnlich entsetztes Gesicht auf, wie einst Dane DeHaan in den Schweizer Alpen.

Schade ist allerdings, dass Jonas Alexander Arnby all diese Trümpfe erst viel zu spät ausspielt. Während er für die Exposition gefühlt über die Hälfte der Filmlänge benötigt, ist der Film bereits vorbei, kurz nachdem er erst so richtig an Fahrt aufgenommen hat. Wer sich da längst von dem zwar stets atmosphärischen, allerdings zweifellos trägen Geschehen abgewendet hat, dem ist hieraus definitiv kein Strick zu drehen.

Fazit


Regisseur Jonas Alexander Arnby inszeniert ein diskussionswürdiges Thema als düsteren, leider zu Anfang sehr zähen Mysterythriller. Ein gewagtes Unterfangen, das teilweise aufgeht. Unter anderem, weil Nikolaj Coster-Waldau der moralische Zwiespalt permanent ins Gesicht geschrieben steht.

«Suicide Tourist – Es gibt kein Entkommen» ist ab dem 2. Juli in den deutschen Kinos zu sehen.

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