Cast & Crew
- Regie: Fabio Mollo, Lyda Patitucci
- Drehbuch: Ezio Abbate, Ivano Fachin, Giovanni Galassi, Tommaso Matano
- Kamera: Benjamin Maier
- Schnitt: Luca Montanari, Filippo Maria Montemurro, Mirko Platania
- Musik: Giorgio Giampà, Ginevra Nervi, Carmelo Emanuelle Patti
Allein ist da diese eine Erinnerung, die nicht zu dem Geschehen passen will. In diesem Flashback steht da eine junge Frau in der Lobby des Hotels. Sie trägt eine Waffe in ihrer Hand, richtet diese auf Annas Mutter und tötet sie. Anna muss das alles mit ansehen. Dann wendet sich die Mörderin Anna zu – und Anna blickt in ihr eigenes Gesicht, bevor sich ein Schleier der Ohnmacht über das Geschehen legt.
Der Einstieg in die italienische Serie ist nicht uninteressant. Vor allem auf der Ebene der Figurenzeichnung sticht sie hervor, denn das Tempo, mit dem sie den Charakteren Tiefe verleiht, ist erstaunlich. So ist über Anna bereits nach wenigen Minuten quasi alles gesagt, was man über sie wissen muss. Sie stammt aus dem Dorf, hatte eine wenig liebevoller Beziehung zur kalten Mutter, ist nach deren Tod (schwanger) nach Mailand gegangen. Ist dort gescheitert und sucht nun einen Neuanfang. Den sie ihren Kindern Daria und Mauro quasi zwangsweise verordnet. Daria ist derweil ein Mädchen, das aus ihrem Herzen keine Mördergrube macht und sagt, was sie denkt. Der Umzug ist dumm (was stimmt, denn er ist nicht geplant). In ihrer neuen Schulklasse erklärt sie unumwunden, dass niemand sie mögen muss, sie mag auch die meisten Menschen nicht – und als zwei Mitschüler ihren Bruder Mauro dessen Hörgerät stehlen, scheut sie den körperlichen Konflikt nicht. Dabei ist Daria nicht laut oder unleidlich. Sie ist taff. Sie sagt, was sie denkt und sie zögert nicht lange, wenn jemand ihrem Bruder zu nahe kommt, diesen zu verteidigen.
Ihr Bruder Mauro ist indes ein sehr sensibler junger Mann. Seine bereits erwähnte Schwerhörigkeit lässt ihn die Welt besonders intensiv wahrnehmen. Er ist intelligent und dabei sehr zurückhaltend. Auf seine Weise ist der das totale Gegenteil seiner Schwester, dennoch ist ihre Bindung eng. Sie ergänzen einander fast symbiotisch.
Durch ihre taffe Art findet Daria recht überraschend sehr schnell eine Freundin. Micki ist die Tochter ihrer (erzkonservativen) Klassenlehrerin und des Gemeindeförsters. Sie ist von Darias Art begeistert (und auch ein bisschen verliebt). Zum Unbill ihres Freundes Lukas, einem gleichfalls eher sensiblen jungen Mann, mit dem sie quasi aufgewachsen ist und den sie zweifelsohne liebt – aber nur als allerbesten Freund. Der nun wiederum in Daria eine Konkurrenz sieht.
Klare Glocken, klare Story
Ebenso, wie die Figuren sehr schnell sehr klar gezeichnet werden, geht die Story in Siebenmeilenstiefeln in der ersten Episode voran. Mauros sensible Art seine Umwelt wahrzunehmen, führt ihn in ein Zimmer des leerstehenden Hotels. Ist die Tür verriegelt, schafft er es dennoch sie zu öffnen. Um in dem Zimmer seine Mutter vorzufinden. Das heißt, er entdeckt eine Frau, die seiner Mutter aus dem Gesicht geschnitten ist. Aber... sie ist nicht seine Mutter. Oder doch... Auf jeden Fall verschwindet Anna an diesem Tag. Und Lukas, der auf Daria eifersüchtig ist, da sie ihn um das Mädchen bringt, das er liebt, bringt durch sein Verhalten die Glocken im Kirchturm zum Läuten. Glocken, die gar nicht existieren.
Leider besagt die Legende, dass die, die sie hören, sterben werden.
Lukas hört sie auf jeden Fall klar und deutlich.
- © Netflix
Bedauerlicherweise ist «Curon» eine Serie, die mehr verspricht als sie halten kann. Sicher macht sie einiges richtig. Man baut als Zuschauer etwa sehr schnell eine enge Beziehung zu Daria und Mauro auf. Darias große Klappe (mit Herz) und Mauros sensibles Gespür für seine Umgebung machen die beiden zu idealen Protagonisten der Serie. Aber auch die anderen Figuren (da gibt es zum Beispiel noch Mickis ungestümen, kickboxenden Bruder oder Lukas' alleinerziehenden Vater, der seiner Katze offenbar mehr Liebe schenkt als seinem oft einsam und verletzlich wirkenden Sohn) sind bemerkenswert gut in Szene gesetzt.
Ebenso lässt sich die Serie wenig Zeit, um den Mystery-Aspekt zu etablieren. Wenn die (nicht vorhandenen) Glocken läuten, wird ein Unheil angekündigt. Das offenbar mit dem See und – siehe Anna – einem Doppelgängermotiv in Zusammenhang steht. Dazu bietet die Serie tolle, kühle Bilder, was also gibt es zu bemängeln?
Viel zu lang
Im Grunde ist es jenes Problem, mit dem viele TV-Serien des Goldenen Serienzeitalters zu kämpfen haben. «Curon» ist zu lang. Viel zu lang. Man kann darüber streiten, ob die siebenteilige Serie mit fünf Episoden besser fahren würde, mit sechs – oder vielleicht nur vier. Tatsache ist, dass sie gezwungen ist, die Suche nach Anna zu strecken. Soweit, dass man die Suche fast schon aus den Augen verliert, weil die Story gezwungen ist, einige Abzweigungen zu nehmen, die die Geschichte nicht wirklich voranbringen, sondern eher wiederholen. Spätestens nach dem Cliffhanger der zweiten Episode, der nicht nur einen „Wouh“-Moment kreiert, sondern den großen Mut besitzt, bereits zu einem frühen Zeitpunkt ein Rätsel der Welt von «Curon» zu lösen – da gerät die bis zu diesem Punkt straffe Dramaturgie gewaltig ins Schwimmen. So wird etwa irgendwann Mauros und Darias Vaters in die Geschichte eingeführt, der aber, dieser Spoiler darf sein, für die Handlung kaum Relevanz besitzt. Ja, es werden dadurch einige Momente aus Darias und Mauros Kindheit etwas tiefer beleuchtet, aber diese Momente sind für das Geschehen im Dorf am See vollkommen irrelevant und ziehen die Handlung nur in die Länge. Die Dramaturgie gleicht vor allem zwischen den Episoden drei bis sechs einer langen Autofahrt – für die der Fahrer die Auswahl zwischen zwei Strecken hat. Er kann die gut ausgebaute, dreispurige Autobahn ohne Tempolimit wählen. Oder eine Bundesstraße, die durch viele kleine Orte mit vielen roten Ampeln führt. Und im Fall von «Curon» vermeidet dieser Fahrer die Autobahn.
Mit der letzten Episode findet die Serie in ihre Spur zurück; vor allem ist da wieder das Tempo, mit dem die Serie in ihre Geschichte eingestiegen ist. Gerade die Art, wie die handelnden Figuren zusammenfinden, aber auch die Überraschungen, die sich aus diesem Zusammentreffen ergeben, sind bemerkenswert. Das alles ist clever durchdacht, der Cliffhanger, mit der die Serie (erste Staffel) endet, ist ein regelrechter Kracher. Es ist nicht die zweifellos visuell beeindruckende Umsetzung dieses Cliffhangers, der einen kalten Schauer auf dem Rücken erzeugt und der in Erinnerung bleibt. Vielmehr gelingt es der Geschichte einige der Hauptfiguren neu zu definieren – ohne in einen Widerspruch zu den zuvor erschaffenen Charakteren zu treten. Nur leider verläuft der Weg zu diesem Ziel teils sehr zäh.
«Curon» ist auf Netflix verfügbar.
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