Kamele, Western oder Englisch?
Darum geht es in «Gangs of London»
Nach der Ermordung eines berüchtigten Londoner Gangsterbosses muss sein Sohn nicht nur auf Mördersuche gehen, sondern die Machtposition seiner Familie im Zirkel der zahlreichen Banden der Londoner Unterwelt behaupten ..."Moment?! Wie ist das denn in meinen Castingbogen geraten?", lacht sie ebenso verwirrt wie amüsiert, als ich sie darauf anspreche. "Ich war zweimal in meinem Leben Kamelreiten – oder, sagen wir lieber: Ich saß zweimal in meinem Leben auf einem Kamel. Das letzte Mal mit 18. Aus Jux. In Köln. Ich war vollkommen überfordert", gesteht die seit nunmehr neun Jahren überwiegend in Los Angeles lebende Schauspielerin. Auch wenn es ein Rätsel ist, wie es in ihrem Profil gelandet ist, so hat uns diese Anekdote immerhin einen amüsanten Gesprächseinstieg verschafft. Davon angestachelt verrät Rashidi uns einen Grund dafür, weshalb solche Castingprofile nicht detailliert genug sein könnten:
"Ich wurde vor etwa eineinhalb Jahrzehnten für eine Rolle als Reiterin angefragt. Und damals war ich noch über jedes Rollenangebot dankbar, weshalb ich sofort euphorisch antwortete: 'Ich liebe Reiten!' Und das war auch nicht gelogen. Ich hatte aber verschwiegen, dass ich ein wenig aus der Übung war", so Rashidi. Also bezahlte sie aus eigener Tasche "unfassbar viele Reitstunden" an einer angesehenen Berliner Reitschule, um sich aufzufrischen. Erfolgreich. Am Set kam dennoch das böse Erwachen: "Am Set stellte sich heraus, dass wir mit Pferden drehen, die im Westernstil dressiert sind. Und ich hatte nur Englisch gelernt!" Also musste Rashidi am Set noch einen Western-Crashkurs nehmen, weil man es vorab versäumte, das nicht unerhebliche Detail zu klären, in welchem Stil im Film geritten wird.
Die Klaviatur verschiedener Sprachen
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Ein größeres Kompliment kann man natürlich nicht erhalten, als von Muttersprachlern für eine von ihnen gehalten zu werden.
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Narges Rashidi
Aber auch bei dieser Grundvoraussetzung gibt es Hürden zu nehmen: "Sprachen lernen ist für mich wie Musik lernen. In beiden Fällen sind die ersten zwei Wochen eine förmliche Qual. Ich komme gar nicht vorwärts, beschimpfe mich selbst und verfluche es, damit überhaupt angefangen zu haben – es sei doch aussichtslos." Sie käme geradezu ins Schwitzen und würde darüber den Schlaf verlieren. Das Geheimnis sei, durchzuhalten: "Woche drei ist bei mir dann komischerweise stets der Wendepunkt und ab dann läuft's tatsächlich ziemlich glatt."
"Ziemlich glatt" ist bescheiden gesagt – seit das britische Kriminal-Actiondrama «Gangs of London» in Großbritannien und den USA angelaufen ist, passiert es nicht selten, dass Menschen sie auf Kurdisch ansprechen, weil sie glauben, sie sei Kurdin. "Ein größeres Kompliment kann man natürlich nicht erhalten, als von Muttersprachlern für eine von ihnen gehalten zu werden." So ungeheuerlich geschmeichelt Rashidi sich deshalb auch fühlt – sie muss zugeben: Bei ihrem Ehrgeiz würde sie es nicht drunter haben wollen.
"Ich weiß doch, wie es ist, wenn jemand in einer deiner Muttersprachen spielt, sie aber nicht richtig gemeistert hat. Wann immer ich einen Film sehe, in dem jemand Deutscher sein soll und mit dem breitesten Akzent spricht …", meint Rashidi, ehe sie lachend ansetzt: "Dann bin ich richtig beleidigt!"
Nicht nur das Verbale zählt
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Ich wollte die 'Kultur hinter der Sprache' verinnerlichen. Ich wollte begreifen, wie jemand klingt, der diese Sprache von klein auf spricht, wenn er wütend ist. Ich wollte erkennen, welche Wörter Kurden mit den Händen betonen, und welche beiläufigen Bewegungen sie bei bestimmten Wortwechseln tätigen.
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Narges Rashidi
"Ich wollte die 'Kultur hinter der Sprache' verinnerlichen. Ich wollte begreifen, wie jemand klingt, der diese Sprache von klein auf spricht, wenn er wütend ist. Ich wollte erkennen, welche Wörter Kurden mit den Händen betonen, und welche beiläufigen Bewegungen sie bei bestimmten Wortwechseln tätigen", so Rashidi. Nachdem sie die Aussprache in die Gesichtsmuskulatur und die Gestik ins weitere Körpergedächtnis bekommen hat, ging es weiter ans Ausarbeiten der Rolle, gemeinsam mit ihren Coaches und den «Gangs of London»-Regisseuren, wie Showrunner Gareth Evans, den Kopf hinter den gefeierten «The Raid»-Filmen.
Rashidi führt aus: "Das erklärte Ziel war: Es darf nicht gespielt aussehen. Nicht nur hinsichtlich dessen, dass meine Figur als Kurdin überzeugen soll. Sondern generell. Ganz gleich, ob in einer dramatischen Dialogszene oder in einer Actionszene. Man soll stets über meine Figur Lale denken: 'Die kann nicht anders. Die muss so.'"
Aufgrund dieses Aspekts ihrer Figur, die obendrein Rashidis bislang physischste Rolle ist, ist die Schauspielerin sehr froh darüber, dass deutsche Serienfans die Option haben, «Gangs of London» im Originalton zu erleben: "In «Gangs of London» treffen so viele Kulturen, Subkulturen, Herkünfte, Sprachen, Slangs und Traditionen aufeinander – wir haben uns enorme Mühe gegeben, das in den Dialogen widerzuspiegeln. Durch verschiedene Sprachen, durch Akzente und Dialekte – daher lege ich jedem die Originalfassung ans Herz. Sie ist so lebendig und ausdrucksstark!"
'Es muss eine Balance geben'
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In den Medien bin ich ständig 'die Migrantin'. Ich habe mich aber nie so gesehen – ich bin in einer Kleinstadt aufgewachsen und war dort immer 'die Narges von nebenan'. Aber sobald ich angefangen habe, in diesem Beruf zu arbeiten, wurde ich damit konfrontiert, dass ich anders sei.
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Narges Rashidi
Das heißt aber nicht, dass Rashidi hinsichtlich ihrer Rollenwahl wunschlos glücklich sei. Auf die Frage, ob sie ihr großes Sprachtalent benötigt, um ein Defizit an Rollenangeboten auszugleichen, antwortet sie nachdenklich: "Ich denke schon, dass das zutrifft. Vor allem jetzt, wo alles dank Streaming internationaler wird und immer mehr Film- und Serienschaffende darauf Wert legen, dass verschiedene Sprachräume und Kulturen korrekt repräsentiert werden, öffnet ein Hang zu unterschiedlichen Sprachen Leuten wie mir neue Türen. Und dennoch sind das in Relation deutlich weniger potentielle Rollen, als sie andere haben."
Denn als Tochter iranischer Einwanderer wurde Rashidi lange Zeit auf Parts wie "die Fremde" oder auf völlig stereotype Rollen beschränkt – und auch, wenn sie mittlerweile eine größere, bessere Auswahl hat und ausreichend Standing genießt, um gelegentlich vorgeschlagene, negativ-stereotype Rollen abzulehnen, "gibt es noch immer sehr viel Luft nach oben." Vor allem die deutsche Branche zieht sie zur Verantwortung: "Generell erhalten Menschen mit nicht-weißer Hautfarbe eine begrenzte Auswahl an Rollen, aber seit ich als Schauspielerin tätig bin, verbessert es sich schleichend. Doch in Deutschland verbessert es sich leider besonders langsam."
"Zwei Dinge können gleichzeitig wahr sein: Es kann richtig sein, dass es schön ist, dass verschiedene Menschen verschiedener Herkünfte verschiedene Geschichten erzählen. Denn je bunter, desto vielseitiger sind Film und Fernsehen und desto erfrischender bleiben sie. Und gleichzeitig kann es stimmen, dass es extrem bedauerlich ist, dass jemand wie ich noch immer meistens als 'Person of Color' gesehen und ausschließlich so erzählt wird", sagt Rashidi. "In den Medien bin ich ständig 'die Migrantin'. Ich habe mich aber nie so gesehen – ich bin in einer Kleinstadt aufgewachsen und war dort immer 'die Narges von nebenan'. Aber sobald ich angefangen habe, in diesem Beruf zu arbeiten, wurde ich damit konfrontiert, dass ich anders sei."
Energisch führt sie ihren Gedanken fort: "Ich lebe seit 33 Jahren in Deutschland oder den USA; ich bin Frau, Tochter, Freundin – ich bin keine Herkunft. Ich bin keine Hautfarbe. Ich liebe es, menschliche Geschichten über Personen zu erzählen, die multikulturell leben. Aber man sollte mich nicht darauf beschränken. Es muss eine Balance geben. Und die ist noch nicht erreicht."
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29.07.2020 19:37 Uhr 1