Hinter den Kulissen
- Regie: Christian Alvart, Adolfo J. Kolmerer
- Drehbuch: Christian Alvart, Henner Schulte-Holtey, Erol Yesilkaya, Siegfried Kamml, Arend Remmers
- Produktion: Christian Alvart, Siegfried Kamml, Timm Oberwelland
- Cast: Emily Kusche, Wotan Wilke Möhring, Alexander Scheer, Laura Tonke, Annika Kuhl, Marc Benjamin, Lea van Acken, Aaron Hilmer, Urs Rehn, Tim Bülow uvm.
- Kamera: Christian Alvart, Christian Huck
- Musik: Max Filges, Christoph Schauer
Die Pandemie vor unserer Haustür
In «Sløborn» geht es um die gleichnamige (fiktive) Insel an der deutsch-dänischen Grenze, in der eine Handvoll Charaktere ihr Tagwerk verrichtet. Ein Ehepaar (Wotan Wilke Möhring und Annika Kuhl) kämpft mit der unausweichlichen Scheidung, die gemeinsame Tochter Evelin (Emily Kusche) sieht sich nach einer ungewollten Schwangerschaft mit einem Lehrer mit der Frage ob Abtreibung oder nicht konfrontiert, eine Gruppe schwer erziehbarer Jugendlicher (unter anderem Lea van Acken und Aaron Hilmer) erhält in dieser nordisch-herben Einöde eine letzte Chance auf Wiedereingliederung in die Gesellschaft und in der örtlichen Schule gibt es die typischen Probleme, die testosterongeladene Jungs und pubertierende Mädels eben so haben; vor allem zwischenmenschlich. Kurzum: Unter Zuhilfenahme noch einiger weiterer Nebenhandlungsstränge und Figurenkonstellationen bildet «Sløborn» einen zwar dramaturgisch zweckdienlichen aber letztlich doch bodenständigen Querschnitt durch eine Kleinstadt- respektive Dorfgesellschaft, in der jeder jeden kennt und sich Probleme rasch rumsprechen; insbesondere wenn eine Jugendliche mit ihrem Biolehrer schläft und dabei aus Versehen ein Kind entstanden ist.
Aus diesem Grund ist es naheliegend, dass die junge Emily nicht bloß das «Sløborn»-Plakat vollständig für sich beanspruchen darf, sondern auch als Schlüsselfigur innerhalb der Serie fungiert. Die Drehbuchautoren (neben Christian Alvart unter andrem Arend Remmers und Erol Yesilkaya) folgen von Anfang an ihr und ihren – salopp formuliert – Eskapaden, die allerdings jäh durchbrochen werden, als ein todbringendes Virus – die Taubengrippe – Sløborn erreicht und hier nach und nach die Menschen dezimiert. Mit zu Beginn nur kleinen Gesten, die unter dem (gerade durch Corona von uns allen zwangsläufig gesammelten) Wissen, wie sich so ein Virus verbreitet, aber eben von Anfang an bedrohlich wirken, macht die Serie klar: Das hier ist keine Soap über zwischenmenschliche Befindlichkeiten ihrer Pro- und Antagonisten (von Letzterem gibt es sowieso keine klassischen), sondern es geht um etwas, was viel größer ist als die Figuren selbst. In den ersten Folgen zoomt die Kamera immer mal wieder in Slow Motion (der Name der fiktiven Insel Sløborn leitet sich übrigens vom Begriff „Slow Burn“ ab) an Bewegungsabläufe heran, die für sich genommen gar nicht außergewöhnlich sind, denen unter dem Damoklesschwert namens Seuche aber eine ungeheure Bedeutsamkeit innewohnt: etwa wenn hier sorglos Trinkflaschen hin- und hergereicht oder sich an denselben Erdnüssen bedient wird.
Sobald das Seuchenthema ins Zentrum und die handelnden Figuren eher an den Rand rücken – dass so etwas skandalträchtiges wie eine Schüler-Lehrer-Beziehung nun plötzlich erzählerisch vernachlässigt wird, ist einzig und allein der Tatsache geschuldet, dass es nun eben etwas Anderes gibt, was die öffentliche Wahrnehmung dominiert – folgt «Sløborn» den Konventionen des Seuchenthrillers; nur eben im „Slow Burn“-Tempo. Und genau ab diesem Punkt erreicht die Serie ihre besonderen Stärken, aber auch ihre im Anbetracht der aktuellen Zustände so starke, zeitgeistige Relevanz – «Sløborn» ist aufgrund der Corona-Situation gleichzeitig hochaktuell wie zeitlos, da sich Alvart und Kolmerer unter ihrem Chaos darauf stützen, zu zeigen, was ein solcher Ausnahmezustand mit den festgefahrenen Strukturen einer Gesellschaft anstellt.
Während die Presse «Sløborn» von Anfang an vor allem staunend gegenüberstand, weil die Macher der Serie offenbar vor zwei Jahren in die Zukunft geschaut und unsere heutige Realität vorhergesehen haben (in Wirklichkeit kam Christian Alvart auf die Idee zur Serie, als es im asiatischen Raum vor ein paar Jahren bereits zu einem Pandemieausbruch kam, der allerdings nie die Ausmaße der Corona-Krise erreichte), kritisierte sie hin und wieder auch die von den Figuren abrückende Erzählweise. Irgendwann spielte es kaum noch eine Rolle, dass hier eine junge Schülerin mit einem Lehrer Sex hat oder wie sich die Jugendlichen in ihrem Erziehungscamp schlagen. Doch genau hiermit verpassen die Macher ihrem Format die notwendige Zeitlosigkeit. Denn es geht fortan nicht mehr um die persönlichen Belange der Charaktere, sondern um ihre Beeinflussung von außen. Wie bringt eine Seuche die alltäglichen, gesellschaftlichen Abläufe zum Stillstand? Was bleibt wie lange aufrechterhalten, was stürzt sofort in sich zusammen? Und wie unterschiedlich gehen all die davon betroffenen Menschen mit so einer Situation um? Ähnliche Fragen versuchte vor ein paar Jahren bereits die deutsche Serie «8 Tage» beantworten, scheiterte allerdings aufgrund ihrer Theatralik.
- © ZDF/Krzysztof Wiktor
Evelin (Emily Kusche) und ihren Brüdern (Maximilian Brauer, Ron Renzenbrink, Phileas Heyblom) ist die Flucht gelungen.
Eine Seuche ist irgendwann vorbei, die Gesellschaft bleibt. Mit «Sløborn» sezieren die Macher den Mikrokosmos einer Insel stellvertretend für die Gesellschaft an sich. Etwas, was im deutschen Serienbusiness selten getan wird. Blickt man auf die aktuell wohl erfolgreichsten (respektive prestigeträchtigsten) Formate wie «Dark» oder «How to sell Drugs online (fast)», dann ist da immer ein bestimmter Handlungsstrang, der sich stark charakterfixiert über viele Staffeln weiterentwickelt, sich aber selten auf die Allgemeinheit übertragen lässt. Es geht immer um eine bestimmte Klientel, einen von Anfang an festgelegten Teil der Gesellschaft. In «Sløborn» dagegen ergeben alle Teile ein großes Ganzes – wenngleich sich die Macher in der ersten Staffel noch nicht jedem einzelnen davon zur Genüge widmen. Etwas, was beabsichtigt ist. Die auf insgesamt vier Staffeln ausgelegte Serie soll in jeder Season eine andere Figurengruppierung näher beleuchten. Dass man von Charakteren wie etwa Ella (Lea van Acken) oder Devid (Aaron Hilmer) in Staffel eins kaum etwas zu sehen bekommt, ist daher kein Versäumnis, sondern – im Gegenteil – macht Lust auf die nächsten Staffeln. Und nicht zuletzt die Tatsache, dass in ihnen hoffentlich auch das Geheimnis um den exzentrischen Schriftsteller Nikolai Wagner (Alexander Scheer) enthüllt wird - das Highlight in der nicht gerade highlightarmen ersten Staffel von «Sløborn».
Nicht nur aufgrund von Corona ist «Sløborn» das Format der Stunde und international vermarktbar (die exzellente audiovisuelle Aufbereitung sei an dieser Stelle ebenfalls kurz erwähnt), sondern auch aufgrund des Aufgreifens von Fragen, Problemen und Gesellschaftsumbrüchen, mit denen wir abseits der Pandemie-Situation zu kämpfen haben. Das sukzessive Misstrauen in die Medien, die immer größere werdende Schere innerhalb gesellschaftlicher Schichten und die leichte Verführbarkeit durch redegewandte Anführer und simple „Wahrheiten“ aufgrund der mangelhaften Auseinandersetzung mit komplizierten Sachverhalten bilden ein kühnes Kaleidoskop aktueller weltweiter Missstände – und da es zu befürchten steht, dass diese auch in vielen Jahren noch nicht behoben sind, benötigt es die Seuchensituation gar nicht zwingend, um «Sløborn» weiterhin aktuell zu halten; die inhaltliche Brisanz ist längst nicht so Corona-exklusiv wie es auf den ersten Blick anmutet.
Aber durch die aktuelle Pandemiesituation hat «Sløborn» eben den Vorteil, dass durch die Überlappungen von Fiktion und Realität viel mehr Leute auf das Format schauen, als es vermutlich noch vor einem Dreivierteljahr der Fall gewesen wäre. Und so haben die Zuschauer dieser Tage die Möglichkeit, sich von den Qualitäten des deutschen Serienfernsehens zu überzeugen. Die liegen im Falle von «Sløborn» eben nicht in wie bei Netflix üblich kalkulierter Trendsucht und der Anbiederung an möglichst viele Demografien, um dadurch möglichst viele Zuschauer abzuholen, sondern in einem allumfassenden und trotzdem kantigen Erzähl- und Inszenierungskonzept, das gerade durch seine Slow-Burn-Attitüde in der Lage ist, all die Themen, die es auf seinen Schultern trägt, zu stemmen, ohne dabei in sich zusammenzustürzen. Das erfordert beim an moderne (Netflix-)Erzählmechanismen gewöhnten Publikum auch ein Stückweit Muße, sich auf dieses heutzutage ungewöhnliche, eher langsame Erzähltempo einzulassen – und auch die Akzeptanz dessen, dass zumindest in der ersten Staffel längst nicht alle Erzählfäden zu einem Ende finden oder zwischendurch gar komplett liegengelassen werden. Aber die Macher besitzen aus gutem Grund nie den Anspruch, alles zur Zufriedenheit des Zuschauers aufzuklären. Eine selbstbewusste Einstellung, mit der sich die deutlich stärkeren Geschichten erzählen lassen, als mit dem Willen, dem Zuschauer das Geschehen permanent inhaltlich einzuordnen. Ein bisschen was zutrauen, darf man seinem Publikum nämlich sehr wohl.
Die erste Staffel von «Sløborn» ist in der ZDF-Mediathek abrufbar sowie auf DVD- und Blu-ray-Disc erhältlich.
Es gibt 2 Kommentare zum Artikel
26.08.2020 17:25 Uhr 1
28.08.2020 01:29 Uhr 2
Ob ich mkir die restlichen 4 Folgen noch antun werde....ich weiß es nicht.