Serientäter

«Normal People» Staffel 1: Wenig kann so viel sein …

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Wir leben in einer Zeit der Bestenlisten, in der ständig nach neuem „Binge-Material“ gesucht wird, und Serien angefangen, abgebrochen, gehypt oder verrissen werden. Kaum ein Tag vergeht, ohne dass der nächste potenzielle Hit angekündigt wird. Und obwohl all das zutrifft, gilt «Normal People» nach wie vor als Geheimtipp. Zeit, dies zu ändern!

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Wer sich aber nicht damit begnügt, lediglich für ein paar Minuten in die erste Folge reinzuschauen, sondern sich bereitwillig in das Geschehen hineinziehen lässt, wird ziemlich schnell erkennen, dass das Hulu-BBC-Three-Projekt nicht zufällig mehrfach für einen Emmy nominiert worden ist: in den Kategorien „Outstanding Directing“, „Outstanding Casting“ sowie „Outstanding Writing for a Limited Series, Movie or Dramatic Special“. Denn die Symbiose dieser drei als auszeichnungswürdig erachteten Leistungen stellt so gesehen das Alleinstellungsmerkmal dar, das verhindert, dass man «Normal People» als typischen Vertreter eines Genres einfach wegsortieren kann. Diese zwölf Episoden hinterlassen einen bleibenden Eindruck, weil mehrere Menschen ihr Handwerk so gut verstehen (unter anderem diejenigen, die für die äußerst atmosphärische musikalische Untermalung verantwortlich zeichnen), dass das entstandene große Ganze so viel mehr geworden ist als die Summe seiner „Einzelteile“.

Im Kern geht es nämlich auch um Selbst- und Fremdwahrnehmung und damit letztlich um eine Frage, die sich aus dem Titel der Serie ableiten lässt: Bin ich „normal“? Das Interessante ist nun die Antwort. Verkürzt könnte diese in etwa folgendermaßen lauten: Es ist normal, nicht normal zu sein. Das wäre allerdings viel zu plakativ und hätte mehr mit einem Kalenderspruch als mit echtem Tiefgang zu tun. Hier steht der Weg zur Erkenntnis im Vordergrund und weniger die Erkenntnis selbst – und das spannenderweise in zweifacher (individualisierter) „Ausführung“.

Die Hauptfiguren befinden sich quasi von Anfang an in einem einzigen großen Wechselbad der Gefühle – manchmal ist es auf „hoher See“ windstill und manchmal tobt ein regelrechter Sturm; und obwohl es im ersten Moment so aussieht: Nicht immer dreht sich alles um ihre Gefühle füreinander. Es geht mindestens genauso sehr um sie als Individuen, die aus verschiedenen Gründen mit sich hadern. De facto sind beide jedoch sehr unzufrieden, und die Ursachen dafür haben doch mehr miteinander zu tun, als es zuerst den Anschein hat. Wenn sie aber zusammen sind, können sie diese Unzufriedenheit ausblenden.

„Seelenverwandte*r“ ist inzwischen bedauerlicherweise zu einem geradezu inflationär gebrauchten Begriff geworden, dem in Deutschland auf STARZPLAY beheimateten Format gelingt es allerdings eindrucksvoll, einer sinnentleerten Worthülse wieder zu altem Glanz zu verhelfen. Die zwei geben einander Kraft und helfen sich wiederholt dabei, über sich hinauszuwachsen. Sie erleben den jeweils anderen auch in seinen verwundbarsten Augenblicken – wobei ihre komplexe Beziehungsstruktur maßgeblich dazu beiträgt, dass diese Situationen nicht die Ausnahme bleiben.

Man kommt immer wieder mit dem Duo an einen „Soll es vielleicht einfach nicht sein?“-Punkt. Doch exakt gegen ein Nicken als Reaktion auf diese Frage erzählen Regisseurin Hettie MacDonald und Regisseur Lenny Abrahamson auf Grundlage der Bücher von Alice Birch, Mark O’Rowe und der ebenfalls stark eingebundenen Sally Rooney „bildgewaltig-intim“ und konsequent an. Sie ermöglichen es den Zuschauerinnen und Zuschauern, das zu spüren, was zwischen den Zeilen steht beziehungsweise immer mitschwingt. Man nimmt förmlich den Atem der „Verbundenen“ wahr und sitzt gefühlt stets mit im Zimmer, läuft neben ihnen durch die Straßen oder lauscht ihren Unterredungen am Strand aus nächster Nähe. Kurz: «Normal People» versteht es, eine Unmittelbarkeit zu erzeugen, die einen mehrfach vergessen lässt, dass es sich hierbei um Fiktion handelt.

Und das liegt vor allem an den Stars: Daisy Edgar-Jones und Paul Mescal, zwei echten Newcomern, die jedoch mutmaßlich nicht mehr lange als ebensolche gelten werden. Ihre in dieser Staffel gezeigten Performances lassen keinen Zweifel daran, dass es mehr als nur verdient wäre, wenn Casting-Direktorin Louise Kiely bei den diesjährigen Emmys ausgezeichnet werden würde. Rohdiamanten dieser Güteklasse zu finden, ist hochgradig selten, und den Mut zu haben, auf ein bekanntes Zugpferd zu verzichten, obwohl dies finanziell sicher machbar gewesen wäre, noch seltener. Und dieser Mut, auf unverbrauchte Gesichter zu setzen, hat sich nicht nur ausgezahlt, sondern war auch eine zwingende Voraussetzung, um bei der Zuschauerschaft die gewünschte Wirkung erzielen zu können: ein Höchstmaß an Authentizität.

Deswegen ist es auch vollkommen unverständlich, dass lediglich Mescal am 21. September die Chance hat, einen der bedeutendsten Preise der Branche zu gewinnen. Zum einen war es selten so offenkundig, dass die starken Leistungen der Hauptdarsteller primär darauf zurückzuführen sind, dass sie sich permanent gegenseitig gepusht haben, also der eine nie hätte ohne die andere so „strahlen“ können. Zum anderen ist es nicht sonderlich abwegig, dass im Falle einer erzwungenen Entscheidung nicht wenige die Darbietung von Edgar-Jones als die minimal stärkere benannt hätten, und zwar vermutlich mit der Begründung, dass ihr Spiel insgesamt gesehen das facettenreichere und nuanciertere ist. Diese feinen Übergänge von der einen zur anderen Emotion werden von ihr so gekonnt über minimale Veränderungen der Mimik oder der Betonung wahrnehmbar gemacht, dass man nur hoffen kann, dass ihre Szenen Schauspielstudentinnen und -studenten so frühzeitig wie möglich im Rahmen ihrer Ausbildung gezeigt werden.

In diesem Zusammenhang sollte wohl auch ein Fakt angesprochen werden, den einige zu einem großen Vorzug der Serie erklären – allerdings so, dass man gelegentlich beinahe von „Vorspiegelung falscher Tatsachen“ sprechen könnte. Ja, es ist richtig, dass «Normal People» seinem Anspruch, die Realität möglichst unverfälscht darzustellen, gerade auch in Bezug auf Nacktheit gerecht wird. Doch das meint nicht, dass Sequenzen, in denen es zum Sex kommt, nur des Effekts wegen eingebaut worden wären oder mit dem Hintergedanken, besonders provokant oder polarisierend sein zu wollen. Diese Minuten dienen vielmehr dazu, auf einer anderen Ebene die Entwicklung von Mariannes und Connells Beziehung respektive das, was sie auszeichnet, zu veranschaulichen. Somit lassen sie sich durchaus auch als Kritik an einem Phänomen der Gegenwart verstehen: der oftmals fehlenden Bereitschaft vieler, auch Schwierigkeiten gemeinsam durchzustehen beziehungsweise sich überhaupt zu binden und dem Hang dazu, von einer „lockeren Geschichte“ in die nächste „zu stolpern“. Die implizite Botschaft: Es macht einen Unterschied, ob man mit jemandem schläft, für den man viel empfindet und mit dem einen eine Menge verbindet oder ob man mit jemandem schläft, den man praktisch nicht kennt.



So werden diese Phasen der innigen Zweisamkeit zu einem Sinnbild für Vertrauen. Ebendieses entsteht aber bekanntlich nicht von jetzt auf gleich und kann auch (zeitweise) verloren gehen. Dies passt insofern zu den Studenten, weil sie bis zur letzten Einstellung damit beschäftigt sind, sich selbst zu finden. Dieser Prozess beinhaltet auch Rückschläge, jedoch ist das dann von ihnen geforderte „Sich-Berappeln“ elementar, um dem angesprochenen Ziel einen großen Schritt näherzukommen. Dies erfordert wiederum ein Überwinden von Selbstzweifeln, ein „Mit-sich-ins-Reine-Kommen“, ein Lernen aus den eigenen Fehlern und die Fähigkeit, sich selbst vergeben zu können. Darum hat die ständig wiederkehrende Frage „Bist du okay/Ist alles okay?“ fast etwas Leitmotivisches, wodurch sich auch die Verknüpfung zu dem Komplex „Wie definiert man eigentlich normal?/Bin ich normal?“ leicht herstellen lässt.

Denn die jeweiligen Antworten bilden schließlich das Fundament, auf dem diese tiefgründige, berührende, ruhige und dennoch mitreißende Serie fußt. Eine Serie, die die magischen drei Worte nur sehr sparsam verwendet, ihnen dadurch aber eindeutig mehr Gewicht verleiht und beim Publikum den Wunsch reifen lässt, mehr über diese „ungewöhnlich-normale“ Liebe zu erfahren.

Staffel 1 von «Normal People» ist auf STARZPLAY verfügbar.

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