Die Kritiker

«Verunsichert - Alles Gute für die Zukunft»

von   |  3 Kommentare

Nach wahren Begebenheiten erzählt der ARD-Mittwochsfilm mit Henny Reents in der Hauptrolle von einer Versicherungsjustiziarin, die die Seiten wechselt.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Henny Reents als Franziska Schlüter
Karoline Bär als Judith Broichhausen
Steve Windolf als Ulf Buschmann
Martin Brambach als Franz Sachtler
Serkan Kaya als Denizhan Özhan
Daniel Wiemer aös Jochen Schlüter
Picco von Groote als Anne Strelau

Hinter der Kamera:
Produktion: Zeitsprung Pictures GmbH
Drehbuch und Regie: Jörg Lühdorff
Kamera: Philipp Timme
Produzenten: Michael Souvignier und Till Derenbach
Stellen Sie sich vor, Sie sollen den generischsten Film über skandalöse Vorgänge in einem undurchsichtigen bürokratischen Gebilde drehen. Sie würden ihn wohl zunächst mit der Einblendung „Nach einer wahren Begebenheit“ einleiten, um schon einmal zu verdeutlichen, dass das Anrüchige und Abstoßende der nächsten eineinhalb Stunden genauso im echten Leben stattfindet, ohne sich dabei aber auf journalistisches Terrain zu begeben, wo einem die Pflicht zur Wahrhaftigkeit die hemmungslose Zuspitzung skandalöser Abläufe verbieten würde.

Ihre Hauptfigur, eine rothaarige Frau namens Franziska Schlüter (Henny Reents), wäre wohl Justiziarin in einem Versicherungsunternehmen namens Aescuria und verbrächte seit einigen Jahren ihre Arbeitstage damit, Ablehnungsbescheide für Berufsunfähige und Verunfallte zu formulieren, die seit Jahren Geld in die Kassen spülen, nun aber nach einem tragischen Unglück im Regen stehen gelassen werden. Weil die wenigsten Schreibtischtäter aus Soziopathie Böses tun, sondern vielmehr aus so banalen Gründen wie nicht hinterfragter Pflichterfüllung, führen sie ein bürgerliches Leben in einem schönen Haus, zusammen mit einem Mann, der Physiotherapeut ist, und einem Sohn, der Paul heißt. Sie sind nett, irgendwie unscheinbar, freuen sich über Alltäglichkeiten wie den anstehenden Skiurlaub. In der Öffentlichkeit sprechen, das wäre nicht so ihr Ding. Am Schreibtisch fühlt sich eine Franziska Schlüter viel wohler als bei einem Plädoyer vor dem Landgericht.

Eines Tages steht dann plötzlich die Nachbarin auf der Matte und druckst herum, sie habe ein Problem mit der Aescuria. Als Franziska sich breit schlagen lässt, sie zuhause zu besuchen und sich dort Näheres anzuhören, wird ihr der Ehemann im Rollstuhl vorgestellt, der nach einem Verkehrsunfall nicht mehr gehen, geschweige denn weiter als Gärtner arbeiten kann. Die Versicherung sagt nun, schuld an der Arbeitsunfähigkeit könne auch eine nicht näher definierte Tumorerkrankung sein – und verweigert deshalb die Zahlung. Die Teenager-Tochter des Mannes trägt die nun auch vom Publikum gefühlte Entrüstung vor: „Papa hatte nen Unfall und danach konnte er nicht mehr laufen. Da muss man kein Mediziner sein.“ Der Papa reagiert darauf so souverän wie fernsehwirksam resigniert: „Greta, komm schon.“

Als ein paar Tage später noch eine aufgelöste Französin die Antragsablehnungsabteilung der ominösen Aescuria stürmt, um den seelenlosen Aktenleuten mit einem Foto ihres Ehemannes vor dem Gesicht herumzuwedeln, der sich auf Franziskas Zahlungsverweigerung hin das Leben genommen hat, ist der Ruf der Heldin endgültig vernommen. „Das fühlt sich für mich schon lange nicht mehr richtig an“, begründet sie ihrem schmierig-verwegenen Vorgesetzten gegenüber die Kündigung.

Schon am nächsten Tag hat die Heldin erfolgreich die Seiten gewechselt und kämpft nun für die gute Sache. Dazu mietet sie sich bei einem etablierten, altertümlichen Kollegen ein, der sich bald als Vollalkoholiker entpuppt und sich trotz der großbürgerlichen Büroräume nur noch mit einer gemeingefährlichen Mandantschaft seine Trunksucht finanzieren kann. Aber auch Bill Gates hat ja mal in einer Garage angefangen, und wenn man nur vollends für das brennt, was man für Gerechtigkeit hält, kann man die auch unter diesen Bedingungen erstreiten.

Franziskas erster Mandant wird freilich der Rollstuhlfahrer von nebenan. Nun greift der Service-Gedanke des ARD-Mittwochs, und so erklärt unsere Heldin nun publikumswirksam, wie Prozesskostenfinanzierung funktioniert und wie sich ein Streitwert bemisst. Der Zuschauer soll ja auch noch was fürs Leben lernen, bevor der Stoff in die Phase eintritt, die man wohl am besten mit „emotionale Arbeit“ überschreiben würde: Franziska muss wachsen, steht nun plötzlich im Konflikt mit der besten Freundin und Ex-Kollegin, die dem Rollstuhlfahrer seit zwei Jahren die Hölle heiß macht, und mausert sich nun in leidiger täglicher Gerichtserfahrung mit vielen, vielen verbalen Rückschlägen zur veritablen, überzeugenden Prozessanwältin. Wenn es emotional nicht so läuft, sucht sie sich die nächste Wand, schlägt kräftig mit der Faust dagegen und schreit einmal laut „Scheiße!“. Am Schluss winkt die Genugtuung, trotz niedrigerer Vergütung ein besser Mensch als der Ex-Vorgesetzte zu sein.

Bei aller Polemik: Das Ziel eines solchen Films ist ja ehrenwert – und tatsächlich verwehrt sich «Verunsichert» auch all den brachialen Vereinfachungen und Verfälschungen des deutschen Justizsystems, zu denen sich viele ähnliche Projekte auf diesem Sendeplatz im Namen einer „gefühlten Gerechtigkeit“ gerne hinreißen lassen. Trotzdem nimmt der Film sein Publikum nicht ernst und belehrt es eineinhalb Stunden lang mit einer suggestiven Steuerung der erzwungenen Zuschauersympathien, anstatt sich emotional und psychologisch hintergründig auf seine Figuren einzulassen. So reiht «Verunsichert» Worthülsen und abgestandene Klischees aneinander, um am Schluss zu einer pathetischen Genugtuung statt einer wirklichen Erkenntnis zu gelangen – und gerät so zu billig und plump, um wirklich die Breitenwirkung zu erreichen, die dem Stoff gebühren würde.

Das Erste zeigt «Verunsichert – Alles Gute für die Zukunft» am Mittwoch, den 9. September um 20.15 Uhr.

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Es gibt 3 Kommentare zum Artikel
Sentinel2003
08.09.2020 06:15 Uhr 1
Ich wollte mir das Ding aufnehmen....nach dieser Kritik hat sich das völlig erledigt....
Irmgard2020
08.09.2020 13:23 Uhr 2
Lieber Herr Miller, gegen eine gute treffende Polemik ist ja nichts einzuwenden. Wenn sie dann noch inhaltlich treffend geschrieben ist, kann daraus durchaus etwas künstlerisch wertvolles werden. Wenn man aber versucht mit einer einzigen Idee 4/5 seines Textes zu füllen, in dem man die Inhalt nacherzählt und den Leser dermaßen ermüdet, dass er zu der eigentlichen Kritik nicht vordringt, ist das Ziel nicht erreicht.



Anderseits ist es ja schon wieder lustig - beinahe Postmodern, einem Film Fantasielosigkeit vorzuwerfen um die mit selber zu beschreiben. Das können Sie besser!
Familie Tschiep
09.09.2020 21:27 Uhr 3
Das ist ein wichtiges Thema, aber der Autor ist nicht gut. Mir ist es zu viel Betroffenheit, mehr Humor und mehr Leben, eine bessere Hauptfigur.

Phantasielosigkeit will ich dem Autor nicht vorwerfen, aber Mutlosigkeit. Was hatte David E Kelly daraus gemacht? Sicherlich weitaus origineller, mitreißender und mitreißender und weniger betroffen?

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