Die Kritiker

«Polizeiruf 110 – Tod einer Toten»

von   |  1 Kommentar

Eine Frau liegt tot im Wald. Erschossen. Aus nächster Nähe. Als wäre der Fall nicht schon schlimm genug, hat ihre Tochter den Mord offenbar mitbekommen. Sie sitzt im Wagen der Mutter. Im Wagen einer Frau – die vor vier Jahren bei einem Autounfall verbrannt ist. So steht es in einem Polizeibericht.

Cast & Crew

  • Regie: David Nawrath
  • Drehbuch: Michael Gantenberg, David Nawrath, Paul Salisbury
  • Kamera: Tobias von der Borne
  • Musik: Markus Weber
  • Ton: Marcus Vetter
  • Schnitt: Dagmar Lichius
  • Produzentin: Iris Kiefer
  • Darsteller: Claudia Michelsen, Felix Vörtler, Pablo Grant, Christian Kuchenbuch, Henning Peker, Ben Münchow, Steffen C. Jürgens, Luisa Céline Gaffron, Deborah Kaufmann
Im «Polizeiruf 110» haben es Hauptkommissarin Doreen Brasch und ihr Kollege Kriminalrat Uwe Lemp mit einem mehr als absonderlichen Fall zu tun. An den Polizeiberichten gibt es keinen Zweifel. Diese Frau, Jessica Mannfeld, ist vor Jahren mit ihrem Freund Alex Zapf bei einem Autounfall verbrannt. Ebenso unzweifelhaft ist es Jessica Mannfeld, die dort im Wald liegt. Mit einer frischen Schusswunde. Die Kugel wurde aus nächster Nähe abgefeuert, der Mord war eine Hinrichtung. Die – vielleicht hätte verhindert werden können? Uwe Lemp zumindest macht sich Vorwürfe. Genau zur Tatzeit hat er unweit der Fundstelle einen Mann angefahren. Er hat ihn offensichtlich nur gestreift; tatsächlich ist der Mann, als Uwe nur kurz, um einen Krankenwagen zu rufen, sein Smartphone aus seinem Auto holen wollte, aufgestanden und weg gerannt. Weshalb Uwe Lemp die Sache auf sich beruhen ließ – hatte er doch zuvor auf einer Party ordentlich gebechert. Was er seiner Kollegin Doreen schließlich auch anvertraut. Vor allen nagen die Zweifel an ihm in den Moment, in dem er ein Foto von Alex Zapf zu sehen bekommt, jenen Alex Zapf, der vor vier Jahren bei einem Autounfall verbrannt ist und den er in der Tatnacht auf einer einsamen Landstraße angefahren hat.

Die letzten Vollhonks


Was bewegt deutsche Fernsehkommissare dazu, sich immer, immer, immer, immer und zwar wirklich immer wie die letzten Vollhonks benehmen zu müssen, wenn sie persönlich in einen Fall involviert werden? Und warum glauben Autoren, dass das Publikum das so sehen will. Natürlich geht es beim Schreiben einer Geschichte nicht darum, möglichst viel Gefälligkeitssoße über einer Geschichte auszuschütten, um es möglichst jedem Zuschauer recht zu machen. Um Gottes Willen, natürlich nicht. Aber es nervt. Es nervt derart, dass positive Aspekte einer Story da schnell aus dem Fokus geraten.

Natürlich ist Uwe Lemp geschockt. Während er hackedicht über die Landstraße tuckerte und fast einen Menschen überfahren hätte, wurde nur ein paar Meter von seinem Aufenthaltsort eine junge Frau ermordet. Was, so die Frage, wenn er den Abend bei Cola und Chips verbracht hätte? An sich brechen die Autoren Michael Gantenberg, David Nawrath (auch Regie) und Paul Salisbury zunächst mögliche am Horizont aufflackernde Klischees – indem sie Uwe Lemp die Möglichkeit geben, sich gegenüber seiner Kollegin zu erklären. Offen und ehrlich. Einer Kollegin, die ihn in der Form deckt, dass sie geflissentlich darüber hinweg sieht, dass er getrunken hatte. Tatsächlich hätte er doch nichts tun können.

In der Folgezeit aber stürzen dann doch – zumindest kurzzeitig – die Klischees über die Story herein. Lemp verhält sich bockig, redet mit seiner Partnerin nicht, lässt sie de facto alleine. Immerhin neigt er nicht zu Alleingängen und versaut dadurch die Ermittlungen, wie dies sehr oft und gerne in deutschen TV-Kriminalfilmen fast schon zelebriert wird. Nerven tut sein Verhalten dennoch. Vor allem das Nicht-Reden. Man möchte die Sender fast bitten, solche Geschichten mit einer Warntafel zu versehen: „Die folgende Sendung kann Spuren von Klischees enthalten.“ Mannomann.

Die Story selbst braucht ihre Zeit, um sich zu finden. Was auch mit der zähen Inszenierung der ersten Hälfte dieses «Polizeirufes 110» zu erklären ist. Nach Vorschrift werden Bilder ohne Tiefe kreiert. Menschen sitzen an Tischen zusammen und reden. Menschen stehen beieinander. Und reden. Die Kamera wackelt nicht. Es fallen keine unschönen Schatten ins Bild. Über das Niveau einer Vorabend-«Soko» kommt das alles nicht hinaus.

Ein Ausrufezeichen


Immerhin setzt Christian Kuchenbuch einige Ausrufezeichen. Kuchenbuch ist Werner Mannfeld. Ein Landwirt. Und Vater der Toten. Er ist ein verbitterter, in die Jahre gekommener Mann, der auf den ersten Blick unfähig erscheint, andere Gefühle als eine nur schwer unterdrückte Wut in sich tragen zu können. Steht er in der Leichenhalle dem toten Körper seiner Tochter erstmals gegenüber, verleugnet er, dass sie es ist. Seine Tochter sei seit vier Jahren tot, sagt er und geht. Wenn er dann ihre Identität nicht mehr leugnen kann, ist alles, was er für sie empfindet, Hass. Mit 14, erzählt er Doreen Brasch, habe sie angefangen Drogen zu konsumieren. Aus Tabletten wurde irgendwann Heroin. Immer wieder habe sie ihren Eltern versprochen, mit dem Mist aufzuhören. Um jedes Versprechen zu brechen. Ihr Leben war ein einziges Dasein voller Lügen, Drogen, noch mehr Lügen, noch mehr Drogen. Ihren (vermeintlichen) Tod empfand er als Befreiung, denn damit endeten die Lügen endlich. Doch der Tod der Tochter hat seine Frau krank gemacht und die ist vor einem Jahr verstorben. Zerbrochen am Tod der einzigen Tochter.

Alles, was dieser Mann in sich trägt, scheint zu brodeln. Bis zu der Begegnung mit seiner Enkeltochter. Kuchenbuch braucht nicht mehr als ein Lächeln, um die Person, die er gerade kreiert hat, zerbrechen zu lassen. Nein, all die Wut, zeigt er mit nur einem kurzen Aufflackern eines Lächelns, ist in Wahrheit eine tiefe, nie überwundene Traurigkeit.

Die Drogensucht der Toten führt Doreen Brasch (während Lemp anfangs nervt, wirkt er später seltsam abwesend) in die Vergangenheit. Drogen hat die Tote nicht nur konsumiert. Ihre Sucht hat sich die Tote auch damit verdient, Drogen transportiert zu haben. Für einen Dealer, der hinter der Fassade eines seriösen Geschäftsmannes Magdeburg, ja halb Sachsen-Anhalt mit Drogen versorgt hat. Jessica und ihr Freund Alex waren die perfekten Kuriere. Nach Außen hin ein sympathisches, junges Pärchen auf Tour durch Tschechien oder der Slowakei. Niemand vermutete hinter der Fassade Drogenschmuggler.

Nun sitzt ihr Dealer im Knast. Verurteilt, weil zwei Zeugen den Mut aufgebracht haben, sich dem LKA zu offenbaren und auszusagen. Und wer, wenn nicht eine Landespolizeibehörde, hat die Mittel Menschen untertauchen zu lassen? Wenn Alex und Jessica ein neues Leben begonnen haben, warum sind sie dann nach Hause zurückgekehrt?

Das ist kein Spoiler


Es ist kein Spoiler zu verraten, dass die beiden Hilfe hatte, aus ihren alten Leben zu verschwinden. Zu einem recht frühen Zeitpunkt der Geschichte werden mit Anton Lobrecht und Pia Sommer zwei Ermittler eingeführt, die offenbar ein Auge auf einen anderen ehemaligen Dealer geworfen haben, der Jessica und Alex einst mit Drogen versorgt hat. Der hat nach einer Haftstrafe ein neues Leben begonnen. Was Lobrecht und Sommer ihm allerdings nicht wirklich glauben: Sie glauben, er sei einfach vorsichtiger und schlauer geworden. So streifen sich die Wege der Ermittelnden und in Pia Sommer findet Doreen Brasch eine engagierte junge Mitstreiterin, die sie mit Infos versorgt, die eigentlich unter Verschluss liegen, aber für diese Fall möglicherweise relevant sein können.

Während die erste Hälfte dieser Geschichte aus den Wäldern Sachsen-Anhalts (Außendrehs in der Pampa sind halt günstiger als Außendrehs in der Innenstadt mit all ihren Auflagen, Sperrungen, notwendigen Statisten, …) vor sich hinplätschert, ohne wirklich Funken fliegen lassen zu können, zieht die Story in der zweiten Spielhälfte deutlich an. Spätestens im dritten und letzten Akt überrascht sie dann sogar mit einer echten Kracherwendung, die so wirklich unvorhersehbar ist, aber definitiv nicht der Wendung wegen geschieht. Die Wendung fügt sich in diesem Moment absolut organisch in die Geschichte ein, so unvermittelt sie auch geschehen mag. Positiv bleibt auch anzumerken, dass die Tote – obwohl abwesend – eine vergleichsweise komplexe Persönlichkeit verliehen bekommt, die sie aus Personenbeschreibungen wie „Opfer“ oder „Ex-Junkie“ befreit. Diese Frau hat Fehler gemacht, sie hat einige Dinge richtig gemacht. Ob sie auch immer aus dem, was sie getan hat, die richtigen Schlüsse zog, das ist die Frage, die ihr diese Komplexität verleiht.

Fazit: Die Auflösung reißt es raus, ansonsten jedoch herrscht auf langer Strecke ein hinlänglich bekannter Dienst nach Vorschrift.

Das Erste zeigt «Polizeiruf 110: Tod einer Toten» am Sonntag, 20. September um 20.15 Uhr.

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Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
Sentinel2003
19.09.2020 14:40 Uhr 1
Nun, zumindest gucke ich den Magdeburger "Polizeiruf" NUR wegen Claudia Michelsen und Herrn Wörtler....:-)

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