Die Kritiker

«Fritzie – Der Himmel muss warten»

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Brustkrebs. Die Diagnose ist eindeutig. Und gleich Thema der ersten Szene der sechsteiligen Serie «Fritzie – Der Himmel muss warten». Da sitzt Lehrerin Fritzie Kühne im persönlichen Gespräch mit ihrer Ärztin und weiß nicht so recht, wie sie die Worte der Medizinerin einordnen soll. Krebs? Sie? Zur Primetime wagt sich das ZDF an ein Thema, das immer noch tabuisiert wird. Im Gewand einer leicht konsumierbaren Familienserie.

Cast & Crew

  • Darsteller: Tanja Wedhorn, Nick Julius Schuck, Florian Panzner, Neda Rahmanian, Tobias Licht, Gisa Flake, Rosmarie Röse
  • Headautorin: Kerstin Höckel
  • Autorinnen: Christiane Bubner, Katja Grübel
  • Kamera: Oliver-Maximilian Kraus
  • Musik: Moritz Freise, Biber Gullatz, Andreas Schäfer
  • Szenenbild: Adrienne Zeidler
  • Produzentin: Beatrice Kramm
  • Redaktion: Kathrina Görtz, Kristl Philippi
  • Regie: Josh Broecker
Tabus werden oft und gerne behauptet. Ein Tabu ist nämlich auch immer ein Verkaufsargument, das auch vom ZDF im Rahmen der Bewerbung dieser Serie eingebracht wird. Da darf man gerne die Frage stellen: Wer tabuisiert denn heute noch Brustkrebs? Also bitte. Dafür ist diese verfluchte Krankheit viel zu präsent. Aber ganz von der Hand zu weisen ist diese Tabuisierung nicht, die hier vom ZDF aufgebrochen wird, denn die Krankheit im Rahmen einer Familienserie im ZDF-Stil – also mit schönen Menschen in einem gediegenen, hübsch anzuschauenden Umfeld – zu thematisieren, das ist ein Balanceakt. Wird es rührselig, schmiert man schnell in verkitscht melodramatische Untiefen ab. Wird es zu kopflastig, wird es das Publikum eher abschrecken. Wo also setzt man den Hebel an, um sich der Thematik in ihrer gebotenen Ernsthaftigkeit zu nähern?

Tod eines Schülers


Es war im Jahr 1980 als die TV-Serie «Tod eines Schülers» das deutsche Publikum entsetzte. Die Serie beginnt mit dem Selbstmord des Schülers Claus Wagner. In sechs Episoden erzählt die Serie aus sechs verschiedenen Perspektiven, was diesen jungen Mann in den Selbstmord getrieben hat. Damals, 1980, war der Suizid eines jungen Menschen tatsächlich ein Tabu. Auch, weil man nicht über die Dinge gesprochen hat, die junge Menschen belasten mögen. Probleme, hieß es da, „da muss man durch“. Aber was, wenn ein junger, sensibler Mensch, diese Probleme nicht mehr ertragen kann? Die Serie hat seinerzeit viele Diskussionen angestoßen, ja es wurde ihr sogar der so genannte Werther-Effekt vorgeworfen, sprich: Angeblich hat die Serie junge Menschen inspiriert, sich umzubringen. Auch wenn Studien belegen konnten, dass dies schlicht nicht stimmt, verschwand die Serie – nach einer Wiederholung 1983 – für 26 Jahre im Giftschrank, bevor sie für eine DVD-Auswertung freigegeben wurde.

Im Giftschrank wird «Fritzie – Der Himmel muss warten» mit Sicherheit nicht landen. Sie bewegt sich thematisch auch jenseits von echten Tabubrüchen. Aber immerhin, und das muss man den Machern zugestehen, haben sie einen Ansatz gefunden, der zum Nachdenken anregt. Im Fall der Lehrerin Fritzie Kühne nämlich geht es um die Verdrängung der Diagnose.

Fritzie Kühne ist Mitte bis Ende 40. Sie ist Lehrerin, ihr Mann Stefan ist Polizist im gehobenen Dienst. Finanziell geht es ihnen gut, als Beamte sind sie abgesichert, Friede, Freude, Eierkuchen. Sohn Florian ist zwar ein stiller Typ, aber ernsthafte Gedanken muss man sich auch nicht über den 16-Jährigen machen. Eigentlich. Als Drogenfahnder nämlich ist Stefan etwas übereifrig, wenn es darum geht, den Sohn zu beschützen. Vor sich, vor der Umwelt, vor allem. Was gegenüber einem pubertierenden Jüngling eine eher mittelprächtig-gute Idee darstellt. Konflikte sind demnach vorprogrammiert. Und zu einem guten Teil hausgemacht. Aber ist das ungewöhnlich?

Nein.

Die Nachricht, die ihre Ärztin Fritzie Kühne denn auch überbringt, passt irgendwie nicht in dieses – in feste Bahnen – festgezurrte Leben. Krebs? Brustkrebs? OP? Fritzies erste Reaktion ist denn auch verwirrend.

Für die Ärztin.
Für die Zuschauer.

Der Tumor streut bereits. Eine schnelle OP ist unabdingbar. Ein Termin steht schon. Allerdings, sagt Fritzie, passe ihr dieser Termin so gar nicht. An dem Tag ist nämlich Elternsprechtag. Da kann sie gar nicht. Die Ferien fangen doch etwas später an. Vielleicht ist dann ja ein Termin frei.
Spricht sie und steht auf. Die Schule beginnt, sie kommt zu spät zum Unterricht.

Verdrängung - das ist das Thema


Fritzie verdrängt ihre Erkrankung. Obschon sie wie ein Damoklesschwert über ihr hängt, tut sie so, als wäre die Krankheit gar nicht da. Sie verschweigt ihre Krankheit dem Sohn und dem Mann, statt dessen stürzt sie sich in die Arbeit. Und da gibt es genug zu tun. Etwa den Ärger mit Hanna, einer jungen Umweltaktivistin, die die Welt retten will und durch ihre Aktionen Direktorin Selma Herzog in den Wahnsinn treibt. Oder da ist die Geschichte mit Otto, einem Jungen, der gemobbt wird.
Uh, das klingt nach der ganz großen Klischeekiste. Ein bisschen Mobbing hier, das etwas überambitionierte Mädchen da – und in der Mitte die Lehrerin, die das jetzt irgendwie erden muss. Doch halt, so simpel ist es nicht. Ja, hier werden ein paar Klischees ausgespielt, keine Frage. Aber Klischees müssen nicht schlecht sein – wenn sie nämlich den Zugang zu einer Geschichte erleichtern. Hanna etwa ist ein Mädchen, das ihrerseits Ängste lebt. Sie wirkt taff, im Grunde aber ist sie auch nur eine Teenagerin, die ihren Platz in der Gesellschaft sucht und, dieser Spoiler darf sein, noch eine wichtige Rolle im Verlauf der Handlung spielen wird, die über dieses Klischee der taffen Aktivistin hinausgeht.

Und die Mobbing-Geschichte?


«Fritze – Der Himmel muss warten» macht etwas, das sich deutsche Fernsehserien bis vor wenigen Jahren schlichtweg nie, nie, niemals getraut haben: Sie setzt auf die Intelligenz der Zuschauer. Deutsche Serien haben in einer Zeit, da international längst das Goldene Serienzeitalter angebrochen war, immer noch auf das erklärende Momentum gesetzt. Wenn eine Figur sich im Laufe einer Handlung grundlegend veränderte, wurde sie vor der Veränderung porträtiert, während der Veränderung – und nach der Veränderung. Hat sie in der Vergangenheit – zum Beispiel - Katzen geliebt und zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr – gab es definitiv eine Szene, die die Figur beim Knuddeln mit einem Kätzchen zeigte (niedlich), eine Szene, die die Veränderung einläutete (schlimm)– und die Szene, in der sie das Kätzchen mit Missachtung strafte (traurig). Alles schön aufbereitet, um den Zuschauer um Gottes Willen nicht zu überfordern und selbst Rückschlüsse ziehen zu lassen. Auslassungen in einer Erzählung? Hinfort, Teufel!

Nun ist der Teufel da, denn die Auslassung ist Teil dieser Serie und eine große Stärke. Nachdem Fritzie die Diagnose erhält, verändert sie sich. Obwohl wir als Zuschauer eigentlich keine Ahnung haben, wie sie wohl vor der Diagnose gewesen sein muss, ist es spürbar, dass sich da etwas verändert hat. Wenn sie etwa Otto nach einem Angriff in der Umkleidekabine der Schulturnhalle zu Hilfe kommt, wirkt sie aggressiv den anderen Jungs gegenüber. Wenn sie mit Otto spricht, dann sind dies keine salbungsvollen Worte. Nein, auch in ihnen schwingt eine gewisse Aggression mit, die ihm klarmacht, dass er sich am Ende selbst helfen muss. Wenn er sich wie ein Opfer verhält, wird er ein Opfer bleiben.

War sie vor der Diagnose wohl schon so?


Nein. Dies wird vor allem in den Szenen mit ihrer Direktorin klar. Selma ist jenseits ihres dienstlichen Miteinanders auch Fritzies Freundin. Es sind Blicke, manchmal auch eine Frage, die offenbaren, dass Selma eine Veränderung in ihrer Freundin erkennt. Eine Veränderung, die auch sie zunächst nicht erklären kann. Die Serie erspart sich auf diese Weise ein Vorspiel und schafft es, direkt durchzustarten. In eine Story, in der sich Fritzie schließlich auch die Frage stellt – was, wenn alles anders gelaufen wäre? Als Sportlehrerin zieht sie regelmäßig ihre Bahnen in einem Bad unter den strengen Augen von Milos, einem Bademeister, der sein Anderssein zelebriert. Gut aussehend, ungebunden, gibt er den Nonkonformisten. Der sich seiner Ausstrahlung bewusst ist und diese auch gnadenlos einsetzt.

Das klingt aber nach Klischee



Natürlich darf man da erst einmal mit den Augen rollen.

Der hübsche Bademeister, der reife Frauen aus deiner Umgebung träumen lässt?

Ja, mehr Klischee geht kaum. Doch auch in diesem Fall – funktioniert es, weil es eine simple Erklärung dafür liefert, wie eine an sich glücklich verheiratete Lehrerin mit Beamtenbesoldung, die mit ihrem Mann keine heimlichen Fesselspiele in Swingerclubs zelebriert, einen Typen wie Milos kennenlernt. Sie sucht ihn nicht, er ist eben da. Und so kommt man sich näher und bricht in der Regie Klischees, indem man die Schauspieler ihren Job machen und sie spielen lässt. Fritzie ist keine Ehebrecherin. Sie sucht nicht das Abenteuer. Aber sie ist in einem von Unsicherheit geprägten Lebensstadium. Da ist die Krankheit. Da sind die Fragen und dann ist da Milos, ein Mann ohne familiäre Pflichten, der einfach sein Leben lebt und für einen Moment einen Ausbruch aus allem bedeutet, was in diesem Moment wie eine Fessel wirkt, die Fritzie langsam erdrückt. Wie soll sie ihren Mann erklären, dass sie schwer krank ist? Wie ihrem Sohn? Wie soll sie akzeptieren, dass ihr Leben möglicherweise bald ein Ende finden wird? Hat sie dieses Leben richtig gelebt? Was heißt es, ein Leben richtig zu leben?

Gefühlsfernsehen mit Bonus



«Fritzie – Der Himmel muss warten» verschweigt ihre Herkunft aus dem ZDF-Gefühlskino nicht. Allerdings hat die Serie noch zwei Pfunde, mit denen sie aufwarten kann. Da ist zum einen die Laufzeit von sechs Episoden. Wo ein ZDF-Sonntagsfilm Gefahr liefe, bei dieser Thematik schnell in die Abgründe einer schmalzigen Dramuelette abzurutschen, hat «Fritzie – Der Himmel muss warten» sechs Episoden Zeit, die Geschichte der Lehrerin Fritzie Kühne zu erzählen. Sechs Episoden, in denen sie lebt, weint, verdrängt, akzeptiert, streitet, liebt. Vor allem sechs Episoden, in denen sie auch Fehler macht, die dennoch nie aufgesetzt wirken, um eine Dramatik der Dramatik wegen aufzubauen. Ihre Entscheidungen wirken stets nachvollziehbar. Auch jene, die definitiv falsch sind. Die Serie nutzt ihre Zeit.

Das zweite Pfund heißt Tanja Wedhorn. Die Schauspielerin aus der grünen Ruhrpottstadt Witten ist seit Jahren die ungekrönte Kaiserin des deutschen Gefühlsfernsehen. Ob auf der «Kreuzfahrt ins Glück», «London, Liebe, Taubenschlag», in der Serie «Reiff für die Insel» oder seit 2017 als taffe Inselärztin in der «Praxis mit Meerblick»: Tanja Wedhorn, die ihren Durchbruch mit der ersten deutschen Telenovela «Bianca – Wege zum Glück» (2004/2005) feierte, ist das Gesicht des deutschen Gefühlsfernsehens – und damit wahrscheinlich eine der ganz großen unterschätzten Fernsehschauspielerinnen unserer Zeit. Wer sich seit nunmehr 15 Jahren in diesem Geschäft halten kann – und zwar mit Hauptrollen in Filmen und Serien (und dabei ignoriert, dass sie auch schon vor ihrer Telenovela keine ganz unbekannte Fernsehschauspielerin gewesen ist), ist am Ende wahrscheinlich vielseitiger, als dies der erste Blick offenbart.

So bewegt sich Tanja Wedhorn in der Serie auf den ersten Blick auf bekannten Pfaden. So weit steht Fritzie Kühne gar nicht von den Figuren weg, die sie sonst spielt. Allerdings sind da die Nuancen. Etwa die Traurigkeit, die sie vor der Welt verbirgt. Eine Traurigkeit, die den handelnden Figuren lange verborgen bleibt (glaubhaft), nicht aber den Zuschauern, denen sie einen tiefen Blick in ihr Seelenleben gewährt. Da sind die oft nur mühsam unterdrückten Aggressionen. Und immer wieder das Verdrängen. Tanja Wedhorn liefert ein facettenreiches Spiel, das nie gewollt oder übertrieben dramatisch wirkt. Es ist natürliches Spiel, das es leicht macht, einen Zugang zu dieser Figur und ihren Widersprüchlichkeiten zu finden. Dass sie dann in der sechsten und letzten Folge – an dem Punkt, an dem man als Zuschauer eigentlich die ganz große Dramatik erwartet – ihrer Figur einige humorvolle Aspekte abgewinnen kann, überrascht und hätte auch ganz leicht daneben gehen können. Aber: Es funktioniert. Auch, da das Drehbuch einen raffinierten Kniff findet, diese Entwicklung glaubwürdig stattfinden zu lassen.

Fazit: «Fritzie – Der Himmel muss warten» ist souverän erzähltes Serienfernsehen, das sich, um den Zugang zur Geschichte zu erleichtern, sicher einiger Klischees bedient, diese aber durch kluge Figurenzeichnungen überspielt. Ein Tabubrecher ist die Serie nicht, die Ernsthaftigkeit ihrer Geschichte aber verliert sie nie aus den Augen. Sie verleugnet ihre Herkunft im ZDF-Gefühlskino nicht, verleiht ihrer Story aber weitaus mehr Tiefe durch das konsequente Ausnutzen der Spielzeit. Nur eine große Bitte sei ans ZDF gerichtet: «Fritzie – Der Himmel muss warten» ist nun wirklich ein Titel, … Gute Güte.

Fritzie?

Der Himmel muss warten?
Da wird im Zweifel ein Publikum abgeschreckt, das hinter dem Titel knallharten ZDF-Gefälligkeitsschmalz erwartet und daher dann doch lieber die nächste Netflix-Serie bingewatched. Vielleicht hätte man diesen Titel noch einmal überdenken sollen. Ganz ehrlich!

«Fritzie – Der Himmel muss warten» startet am Donnerstag, 1. Oktober um 20.15 Uhr

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