Die Kritiker

«Anna und ihr Untermieter – Aller Anfang ist schwer»

von

Gegensätze ziehen sich an. Das gilt in der Realität, mehr aber noch im Fernsehen und dem Kino. Bewegte Bilder leben von ihren Konflikten.

«Anna und ihr Untermieter»

DARSTELLER: Katerina Jacob, Ernst Stötzner, Berit Vander, Katharina Schlothauer, Andreas Birkner, Camilla Renschke, Dominik Buch, Murali Perumal, Amorn Surangkanjanajai, Rainer Will, Nora Huetz

REGIE: Ralf Huettner
DREHBUCH: Martin Rauhaus
KAMERA: Thorsten Harms
SZENENBILD: Irene Piel
KOSTUMBILD: Kerstin Westermann
MUSIK: Steffen Britzke
TON: Jörg Kidrowski
PRODUKTIONSLEITUNG: Olav Mann, Sandra Moll (ARD Degeto)
PRODUCERIN: Katharina Walther
Eine Geschichte zweier Menschen, die sich sofort total sympathisch sind und den Rest ihres Lebens miteinander verbringen wollen? Das ist langweilig. Nein, am Anfang muss ein Gegeneinander stehen, das im Verlauf einer Geschichte überwunden wird. Klappt das in «Anna und ihr Untermieter – Aller Anfang ist schwer»?

Wenn zwei Menschen in einer Komödie aufeinandertreffen, die so gar nichts gemeinsam zu haben scheinen, muss es eine Art Schnittmenge geben, die das (mehrfache) Zusammentreffen dieser beiden Personen glaubhaft erklärt. Ein gemeinsames Hobby zum Beispiel. Oder eine gemeinsame Mission; irgendetwas, das den Graben, der anfangs unüberbrückbar erscheint, im Laufe der Spielzeit zusammenschrumpfen lässt. Die Spannung einer solchen Erzählung ergibt sich nicht aus der Frage, ob sich diese zwei sehr unterschiedlichen Menschen am Ende einer Geschichte kriegen oder nicht. Die Spannung ergibt sich vielmehr aus dem – Wie?

Es ist schwierig, „die“ Komödie zu finden, die man möglicherweise als Blaupause dieser Art von Lustspiel benennen könnte. Das Genre der Screwball-Komödie der 1930er- und 1940er-Jahre lebte massiv von den Gegensätzlichkeiten ihrer Hauptfiguren, ihren Wortgefechten und dem unausweichlichem Happy End. Was wären in den 1960er Jahren Rock Hudson und Doris Day ohne ihre gegenseitigen Anfeindungen gewesen? Nur zwei schöne Menschen auf Technicolor.

Schon Shakespeare wusste, dass die ganz, ganz große und reine Liebesgeschichte nur in einer Tragödie enden kann und ließ das Publikum am Schicksal von «Romeo & Julia» verzweifeln. Zum Lachen jedoch brachte er die Menschen mit «Der Widerspenstigen Zähmung», einer Geschichte, die inzwischen so oft verfilmt worden ist, dass das englischsprachige Wikipedia den filmischen Adaptionen einen eigenen Artikel widmet. Dass heutige Adaptionen des Stückes Shakespeares Original in der Regel etwas dehnen, da Shakespeares Frauenbild ein ganz, ganz klein wenig aus der Zeit gefallen ist, ändert nichts an der Bedeutung seines Stückes.



Die Handlung
«Anna und ihr Untermieter – Aller Anfang ist schwer» setzt nun zwei Menschen in den Fokus der Geschichte, die ihr Leben bereits bis zu einem gewissen Punkt gelebt haben. So beginnt der von Ralf Huettner («Vincent will Meer») inszenierte Spielfilm mit dem letzten Tag der Anna Welsendorf im Berufsleben. Anna ist Anfang 60 und offenbar hat sie ihre Anstellung als Verkäuferin in einer Parfümerie nicht ganz freiwillig aufgegeben. Anna ist frustriert. Im Jobcenter hat man ihr gesagt, sie sei zu alt für einen neuen Job, sie selbst findet sich dann auch noch zu fett als dass sie vielleicht mit Charme einen potenziellen Arbeitgeber noch becircen könnte... Allein die Tatsache, dass sie jetzt etwas mehr Zeit für ihre Enkelin Nele hat, erheitert sie. Die Frage ihrer Tochter Karin, ob sie nicht eine kleinere Wohnung beziehen möchte, ihre jetzige Wohnung sei schließlich, meint Karin, etwas zu groß für eine alleinstehende Dame ihres Alters, lehnt Anna entschieden ab. Anna, die ehrenamtlich noch bei der Telefonseelsorge arbeitet, weiß um den Wert ihrer Wohnung mit Garten – mitten in Köln. Soll sie ihr kleines – eigenes - Paradies aufgeben, um zur Miete in einer kleineren Wohnung zu leben? Bei den hohen Mietpreisen? Nein. Um finanziell etwas besser über die Runden zu kommen, entschließt sie sich daher, ein Zimmer, das sie eh nicht nutzt, unterzuvermieten.

Auftritt Herr Kurtz. Werner Kurtz ist Witwer und Pensionär. Er war Leiter des Ordnungsamtes Köln-Süd und als solcher ein stets absolut korrekt werkender Beamter. Diesen Beamten lässt er auch bei der Betrachtung des Zimmers erkennen. Sein Auftreten ist arrogant, seine Sprache patzig und von oben herab, bevor er die Wohnung tatsächlich bewerten kann, muss er sie erst einmal bewohnen, um objektiv über ihre Qualität urteilen zu können. Sagt er genauso!

Was für ein Kappes
Sorry, liebe ARD, aber wer nach dem ersten Aufeinandertreffen von Anna und Herrn Kurtz nicht umschaltet oder im Stream schaut, was Netflix oder Prime zu bieten haben, setzt sich aus Spaß an der Freude auch schon einmal mit dem nackten Hintern auf glühende Kohlen.

Um diese mehr als barsche Kritik wirklich fassbar zu machen, sei noch einmal ein Blick auf den Moment erlaubt (und wiederholt), in dem Tochter Karin Anna fragt, ob Anna die Wohnung nicht verkaufen möchte und Anna dies vehement ablehnt. Explizit erwähnt Anna in diesem Zusammenhang nicht nur die hohen Mietpreise in Köln, die sie nicht willens ist zu bezahlen – nein, ebenso explizit erwähnt sie ihren Garten, der dann hinfort wäre. Um die Bedeutung des Gartens hervorzuheben, spielt sich während des Gespräches von Mutter und Tochter eine kleine Szene ab, in der Nele mit einem spritzenden Wasserschlauch einen Wasserball jagt und dabei großen Spaß empfindet.



Der Garten ist somit als kleines, persönliches Paradies des Wohlbefindens etabliert.
Gleichzeitig wird Anna als eine sympathische, anpackende Frau (siehe ihr Engagement in der Telefonseelsorge) dargestellt. Sie wirkt vielleicht frustriert aufgrund ihres Jobverlustes, keinesfalls aber deprimiert. Nein, Anna wird als eine Frau, die mit beiden Beinen im Leben steht in die Geschichte eingeführt. Man spürt als Zuschauer: Da ist eine Frau, die das Herz auf dem rechten Fleck trägt und die das Beste aus ihrer neuen Lebenssituation machen wird. Und die in einer Stadt mit hohen Mietpreisen wohnt. Einer Stadt, in der sich viele Menschen auf der Suche nach Wohnraum befinden. Dies muss nicht erwähnt zu werden. Mit der Thematisierung der Mietpreissituation verlässt der Film seine fiktive Erzählwelt und stößt in die Realität vor. Eine Realität, in der viele Menschen bezahlbaren Wohnraum suchen. Studenten zum Beispiel, die oft eh nicht viel Geld haben und verzweifelt solche Zimmer suchen, wie Anna nun eines anbieten wird. Was bedeutet, in der realen Welt hätte eine Frau wie Anna nun die Qual der Wahl zwischen Dutzenden Bewerberinnen und Bewerbern.

Damit zurück zum Auftritt von Herrn Kurtz, der von oben herab, patzig, unfreundlich Anna entgegentritt und sich in einer Art und Weise abschätzig der Vermieterin in spe gegenüber aufführt, dass die Bezeichnung „grunzdämlicher Affenarsch“ sogar in einer filmwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit diesem Werk durchaus als angemessene Wortwahl die Ansprüche der universitären Lehre erfüllen würde. Nichts, gar nichts, überhaupt nichts wirkt an diesem Mann auch nur im Ansatz sympathisch, freundlich, interessant. Er ist die fleischgewordene Flurwoche, ein grunzspackender Nörgelkopf, dessen schönste Ansicht die von hinten ist. Auf der anderen Straßenseite. In einer anderen Stadt! Herr Kurtz ist – um dies zu verstehen, braucht es etwa fünf Sekunden – jene Art von Beamter, denen all die Beamten, die anständig, aufrichtig und fleißig ihre Arbeit ausüben - ihren miesen Ruf in der Bevölkerung verdanken.

Und es gibt keinen einzigen, nicht den geringsten, überhaupt keinen, nicht einmal im Ansatz erklärbaren Grund, warum Anna diesem unfreundlichen Arsch ihre Wohnung vermietet.

Umschalten ist angebracht
Wir haben es in «Anna und ihr Untermieter» nicht mit einer leicht verpatzten Einführung in die Geschichte zu tun. Das kann passieren und lässt sich durchaus reparieren. Wir haben vielmehr eine sympathische Figur, Anna, die ohne jeden plausiblen Grund einem unsympathischen Dämlack den Einzug in ihr kleines Paradies gestattet. Dass ganz nebenbei die Figur der Anna durch diese Entscheidung vollkommen demontiert wird, scheint genauso wenig jemanden vom Lektorat aufgefallen zu sein. Wie soll die Figur der Anna als selbstbewusste, nicht auf dem Mund gefallene Frau im besten Lebensalter funktionieren, wenn sie freiwillig einen herumnörgelnden Ex-Beamten mit Freundlichkeitsallergie in ihr Leben einbrechen lässt? Wäre dies keine Komödie (was sie ja auch nicht ist, das mit der Komödie wird nur von der Presseabteilung des Senders behauptet), sondern ein Horrorfilm, wäre Anna das erste Opfer, das allen rot aufflackernden Alarmsirenen zum Trotz den die Kettensäge vor ihren Augen liebkosenden Serienkiller in ihr Haus einlädt.

Und sonst so?
Im Rest des Filmes geht es irgendwie um Annas Tätigkeit bei der Telefonseelsorge und einer anonymen, jungen Anruferin, die Anna in Selbstmordabsichten wähnt. Um die Frau ausfindig zu machen, braucht sie Herrn Kurtz' Hilfe, der als Korrektsatzbaufetischist natürlich erst einmal davon überzeugt werden muss, einmal, ein einziges Mal in seinem Leben etwas zu tun, was vielleicht ein bisschen gegen die Regeln verstößt. Nebenher wird übrigens auch noch erzählt, warum er aus dem Haus seines Sohnes (das früher sein Haus gewesen ist) auszieht und sich ein Zimmer sucht. Es hat etwas mit einem Vertrauensbruch zu tun, was aber egal ist, weil irgendwo im Hinterkopf stets der Gedanke wummert, dass sein Sohn gar nicht so unglücklich darüber sein dürfte, diesen Korintenkacker nicht mehr jeden Tag sehen zu müssen. So ist es vollkommen uninteressant, ob Anna und Herr Kurtz sich irgendwann – freundschaftlich – näherkommen, weil die gesamte Geschichte nach ihrem ersten Zusammentreffen behauptet ist, da niemand ein zweites Zusammentreffen mit einem Herrn wie Herrn Kurtz wünscht. Nicht in der Realität, nicht in der Kunstwelt des Filmes. Nirgendwo.

An sich ist es faszinierend zu beobachten, wie eine einzige Filmsequenz einen ganzen Film sprengen kann. Wäre Herr Kurtz einfach ein neuer Mieter im Haus, mit dem Anna nun Tür an Tür leben müsste, ja, das wäre vielleicht gegangen. Und ja, jeder Kritiker erzählt vom Hohen Ross der Nichtverantwortung herab, wie eine Geschichte hätte besser funktionieren können. Es ist eine Unart des Kritikerdaseins. Mea culpa dafür. Aber dieser Film macht es unmöglich, nicht darüber nachzudenken. Und sei es nur, um die 89 Minuten irgendwie sinnvoll herum zu bekommen.

Die Kritiker: «Anna und ihr Untermieter – Aller Anfang ist schwer» ist am Freitag, 9. Oktober 2020, um 20.15 im Ersten zu sehen.

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