Warum empfinden wir einen Menschen als böse? Und woher rührt die unheimliche Faszination, die von Psychopathen wie Charles Manson oder Serienmördern wie Jack the Ripper ausgeht? Warum verdrängen wir selbst nur allzu gerne das alltägliche Böse in uns selbst? Das sind die zentralen Fragen, denen sich die Kriminalpsychologin und Bestsellerautorin Julia Shaw in ihrem Buch "Böse" stellt.
Dabei erscheint das, was wir als böse bezeichnen, in einem völlig neuen Licht. Das Böse ist nicht etwas, das nur in der Welt von Massenmördern zu finden ist, sondern das in jedem Einzelnen von uns beheimatet ist. Mit ihrem Buch beleuchtet Julia Shaw, basierend auf neuesten neurowissenschaftlichen Erkenntnissen, die Schattenseite der menschlichen Psyche und verdeutlicht anhand psychologischer Fallstudien, dass jeder Mörder an 364 Tagen ein völlig normales, "gutes" Leben führen und am 365. Tag zum Täter werden kann.
Aggression, Sadismus, Perversion und Pädophilie - ein Plädoyer gegen das Böse
Julia Shaw sieht das Böse als etwas, das es objektiv gesehen gar nicht gibt. Homosexualität und Ehebruch waren vor gar nicht allzu langer Zeit ernsthafte Verbrechen und sind es in einigen Ländern dieser Erde bis heute. Das einstmals vermeintlich Böse ist heute allerdings für die meisten Menschen zur Normalität geworden. Daraus zieht Julia Shaw den Schluss, das das Böse nicht mehr ist als nur ein Wort, ein subjektives Konzept, das von gesellschaftlichen Strukturen geprägt wird.
Warum sind immer die anderen schuld?
In ihrem Buch beschäftigt sich Julia Shaw eingehend mit dem Thema des von Psychologen als "kognitive Dissonanz" bezeichneten Phänomens. Wir erfinden stets plausible Rechtfertigungen für die eigenen Verhaltensweisen, die uns selbst böse erscheinen lassen könnten. Sei es das versteckte Mobbing im Büro, die ständigen gegen andere gerichteten Schuldzuweisungen, die selbst bei kleinsten Verfehlungen von uns selbst ablenken sollen oder der Pädophile, der beteuert, das von ihm verletzte Kind wirklich zu lieben - was bringt uns dazu, für die Ursachen unseres Fehlverhaltens immer neue Ausreden zu suchen? Julia Shaw versucht, uns mit unserer dunklen Seite zu versöhnen und uns zum Nachdenken zu bringen.
Charles Manson, Jack the Ripper oder Hitler - worin unterscheiden sich deren Gehirne von denen anderer Menschen?
Fragt man Julia Shaw, muss diese Frage eindeutig mit "gar nicht" beantwortet werden. Die als Beraterin für Polizei und Justiz tätige Wissenschaftlerin analysiert sowohl das 1961 durchgeführte berüchtigte Milgram-Experiment, als auch das Stanford-Prison-Experiment von 1971 und kommt zu dem Schluss, das jeder von uns nur durch gewisse Rahmenbedingungen "gute" oder "böse" Verhaltensweisen an den Tag legt.
Man könnte Ihr Buch durchaus als Statement gegen die weitverbreitete Dichotomie von Gut und Böse sehen. Julia Shaw möchte uns dazu bringen, etwas genauer hinzusehen, bevor wir eine Vorverurteilung aussprechen und unseren Blick dafür schärfen, dass auch Verbrecher im Hochsicherheitstrakt Menschen sind. Und oftmals Menschen, die ein Leben ohne große Verfehlungen geführt haben, bis zu jenem einen verhängnisvollen Tag, der sie plötzlich zur Inkarnation des Bösen werden ließ. Es ist sicher kein Plädoyer, menschliche Grausamkeiten zu verharmlosen, aber es ist der Versuch, uns dazu zu bewegen, die Dinge nicht nur Schwarz oder Weiß zu sehen.
Böse: Die Psychologie unserer Abgründe ist im Buchhandel verfügbar.
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