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Vor allem aus der Perspektive jener Frauen, die Newton ablichtete und damit weltberühmt machte. Der Journalist und Filmemacher Gero von Boehm nahm Newtons 100. Geburtstag am 31. Oktober 2020 zum Anlass, seinem früheren Freund ein filmisches Denkmal zu setzen.
Ein Berliner erobert die Welt
Sein richtiger Name war Helmut Neustädter. Schon in seiner Jugend hatte der Berliner eine Schwäche fürs Fotografieren und schöne Frauen. Also begann er eine Lehre in einem Fotolabor, doch kurz nach seinem 18. Geburtstag flüchtete der junge Mann, weil er als Jude unter der Herrschaft der Nazis sein Leben bedroht sah. Seine erste Station war Singapur, danach landete er in Australien, woher sich zunächst als LKW-Fahrer über Wasser hielt.
Nach Kriegsende fand er zu seiner alten Leidenschaft zurück, fotografierte wieder, nahm die australische Staatsangehörigkeit an und fand in June Browne, mit der er bis Lebensende verheiratet war, die Frau seines Lebens. Er fing an für Modemagazine zuarbeiten und kam schon bald mit den attraktivsten Frauen zusammen, die ihm vollends vertrauten, weshalb sie sich auch für ihn auszogen. Der Rest ist Geschichte.
Ein Wiedersehen mit den Schönheiten von gestern
Aber taten es seine Models wirklich aus freien Stücken und fühlten sie sich gar bedrängt? In Zeiten der #metoo-Debatte berechtigte Fragen, die Gero von Boehm hier auf den Grund geht. Namenhafte Schauspielerinnen wie Charlotte Rampling («Angel Heart»), Popstars wie Grace Jones („Slave in the Rhythm“) und Topmodels wie Claudia Schiffer und Nadja Auermann kommen zu Wort und verlieren dabei nicht ein böses Wort. Charlotte Rampling behauptet gar, dass ihre Karriere ohne Newton sicherlich anders verlaufen wäre, weniger spektakulär, und Grace Jones äußert sich zu dem Schwarzweißfoto aus den Achtzigern, auf dem sie nackt in Ketten gelegt dasitzt.
Die Assoziation war eindeutig und zugleich so provokativ, dass man einen Skandal heraufbeschwor. Grace Jones lacht darüber, stellt klar, dass das Ganze ein Spiel war und auch sie schon Männer gefesselt hätte. Fakt ist aber auch, dass solche Aufnahmen heutzutage undenkbar wären. Die Dokumentation ist damit auch eine Reise in eine Vergangenheit, in der vielleicht sogar eine größere Lust und Lässigkeit vorherrschte. ‚Bad and Beautiful‘ - damals eine zulässige Symbiose, heute gäbe es an ‚Political Correctness’ kein Vorbeikommen mehr.
Es bleibt die Kunst
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Bereits 2002 nahm er sich ihm in «Helmut Newton - Mein Leben» vor. Dass von Boehm ein Händchen hat, großen Persönlichkeiten nah zu kommen, bewies er auch mit Filmporträts über Karl Lagerfeld, Maximilian Schell oder Hape Kerkeling. Sein Balanceakt, Helmut Newton in seiner Ganzheit zu erfassen, ist ihm auch diesmal wieder gelungen. Man bleibt interessiert, ist oft gerührt und hat am Ende das Gefühl, das Helmut Newton hier ins richtige Licht gesetzt wurde.
Fazit: Eine aufschlussreiche Hommage an einen großen Fotografen, der gewiss kein Sexist war, sondern ein Frauenverehrer.
«Helmut Newton – The Bad and the Beautiful» ist käuflich erwerblich.
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