Stab
DARSTELLER: Yvonne Catterfeld, Götz Schubert, Jan Dose, Stephan Grossmann, Tijan Marei, Alexander Finkentwirth, Christoph Letkowski, Katrin Wichmann, Monika Lennartz, Hermann BeyerREGIE: Till Franzen
KONZEPT/DREHBUCH: Sönke Lars Neuwöhner, Sven S. Poser
KAMERA: Timo Moritz
SCHNITT: Tatjana Schöps
MUSIK: Andreas Weidinger
PRODUKTIONSLEITUNG: Gabriele Goiczyk
PRODUZENTIN: Jutta Müller
REDAKTION, Jana Brandt und Adrian Paul (MDR) und Katja Kirchen (ARD Degeto)
Seither fühlt er sich für die junge Frau verantwortlich, hilft ihr, hat ihr einen Job besorgt. Alexandra, die Tote, hatte keine Feinde. Sie hatte weder eine kriminelle Vergangenheit noch hat sie sich in zwielichtigen Kreisen bewegt. Und in der alten Hefefabrik war sie wahrscheinlich nur, da sie verrückt nach Escape-Room-Spielen war, selbst anfing, solche Spiele zu planen und sich am Abend ihres Todes auf der Suche nach tollen Locations befand. Wobei... sie Sandras Jacke trug! Hat der Mörder sie möglicherweise in der Dunkelheit verwechselt? Ist er irrtümlich Alexandra gefolgt im Glauben, sie wäre Sandra? Und dann ist da der Versuch eines Einbruchs ins Butschs Wohnung. Der Mord, der Einbruchsversuch...
Spart nicht überall!
«Wolfsland – Kein Entkommen» zeigt sehr unschön auf, wie man an den falschen Stellen einer Produktion spart. Es ist ja löblich, dass man in den Produktionsstuben der ARD offenbar mit einem spitzen Bleistift rechnet, damit die Finanzprüfer nicht über die Verschwendung von Gebührengeldern moppern. Das Problem ist leider, dass es im Rahmen einer filmischen Erzählung nun einmal Notwendigkeiten gibt, die inszenatorisch aufgearbeitet werden müssen, wenn sie im Rahmen einer Dramaturgie eine wichtige Rolle spielen. In diesem Fall wäre dies etwa der Verdacht, dass die Figur des Goran Tonka in den Fall verwickelt sein könnte. Nicht ein- oder zweimal äußert Butsch Schulz diesen Verdacht, im Grunde ist es der Verdachtsfaden, der sich durch seine Ermittlungen zieht. Demnach wäre es nicht nur logisch – es wäre notwendig -, den Zuhälter irgendwann mit dem Verdacht zu konfrontieren und ihn zur Rede zu stellen. Das aber
• braucht einen Drehtag
• erfordert einen entsprechenden Drehort
• benötigt ein anwesendes Drehteam (siehe Drehtag)
• braucht den entsprechenden Darsteller, der natürlich auch noch einmal gebucht werden muss.
Das alles kostet Geld. Also wird eine mögliche Verwicklung immer wieder erwähnt, ohne sie jedoch greifbar zu machen. Getreu dem Motto: „Du, ich glaube, der Goran steckt hinter dem Geschehen.“ „Dann sollten wir ihn sprechen.“ „Ach nö, der ist immer so gemein.“ Macht das Sinn?
Stattdessen richtet sich der Fokus der Geschichte rund die Hälfte der Spielzeit ausschließlich auf die beiden Hauptdarsteller, die viel reden, aber die Handlung nicht voran bringen. Eine Handlung, die etwa die erste Hälfte der Spielzeit damit verschwendet, eine Gefahr zu behaupten, die nie spürbar, nie anwesend, nie wirklich greifbar ist.
Es wird, dramaturgisch brav, das Leben der Ermordeten durchleuchtet. So stellt sich heraus (siehe oben): Sie liebte Spiele im Escape Room. Also sucht man im Rahmen der Ermittlungen jene Organisatorin auf, an deren Spielen Alexandra regelmäßig teilgenommen hat. Dies wäre nun der Moment, in dem eine Geschichte Spuren in eine Welt des Scheins legen könnte. Spiele in Escape Rooms leben von falschen Spuren und Gewissheiten, von Tricks und Scheinwahrheiten. Eine solche Geschichte von Schein und Sein zu konstruieren, das könnte verdammt spannend sein. Man kann sich das aber auch sparen und die Ermittelnden einfach mit der Organisatorin reden lassen. Die in einer ziemlich heruntergekommenen Altbauwohnung an ein paar alten Computern sitzt und dort etwas entwickelt. Ja, sie entwickelt Escape-Room-Szenarien. Sie könnte aber auch Verpackungsdesigns entwickeln: denn was sie genau macht, spielt eigentlich keine Rolle. Im Grund ist sie nur eine dramaturgische Notwendig aus dem Lehrbuch, die den Ermittlern ein paar Auskünfte über die Tote erteilt. Sie kennt die Tote, ja. Sie kann den Ermittlern auch mitteilen, dass sie Alexandra schon länger nicht mehr gesehen hat, da Alexandra ihre Spiele nicht spannend (im Grunde nicht gefährlich) genug waren und sie wohl einen Kick gesucht hat, den kein seriöser Anbieter von Escape Room-Spielen ihr bieten konnte.
- © MDR/Molina Film/Felix Matthies
Viola (Yvonne Catterfeld) und Butsch (Götz Schubert) sind plötzlich im Leichenfundort eingesperrt: ein alter Kessel in der ehemaligen Hefe-Fabrik.
Oho – heißt das, dass sie vielleicht an den falschen Spieleentwickler geraten ist? Das wäre eine Idee... Die aber auch nicht erst aufgenommen wird. Stattdessen wird halt (Achtung: Wiederholung!) viel geredet. Über dies und das. Womit man eben Spielzeit füllt, wenn ein Film unbedingt 89 Minuten lang sein muss.
Es bedarf Sage und Schreibe der Hälfte der Spielzeit, bis überhaupt etwas geschieht, das die Geschichte tatsächlich voran bringt - und dann, man höre und staune - tatsächlich eine wohl durchdachte Story erkennen lässt. Und nicht nur das: Zum Ende hin wird die Story sogar richtig überraschend und kann sogar in der Inszenierung echte Spannung aufbauen. Nur wäre die Geschichte dieser «Wolfsland»-Spielfilmepisode, die kaum mehr als eine Kammerspielbesetzung auf kleiner Filmbühne bietet, zum Beispiel im Rahmen einer «Soko»-Serie besser aufgehoben gewesen, denn sie schafft es nicht, anderthalb Stunden Spielzeit mit Handlung zu füllen und ist daher im Grunde gezwungen, die erste Hälfte der Inszenierung mit Gerede und behaupteten Verdachtsmomenten zu strecken.
Unleidliche Charakterzeichnungen
Dieses Nichts färbt auch auf die beiden Hauptfiguren ab, die in der ersten Hälfte des Filmes derart unleidlich agieren, dass, wären sie reale Ermittler, die Dienstaufsichtsbeschwerde keine Frage des Ob wäre. Patzig, unfreundlich, von oben herab. Zwei Figuren, die persönliche Probleme (Viola leidet unter Alpträumen) an anderen Menschen (Zeugen, Kollegen) auslassen.
Während Zuschauer der ersten Stunde der Spielfilmreihe das Verhalten der beiden Protagonisten vielleicht noch in einen übergeordneten Kontext, basierend auf Geschehnissen früherer Filme, einzuordnen vermögen, dürfte es für einen Erstzuschauer kaum möglich sein, in den beiden Hauptfiguren so etwas wie Zugangsfiguren zur Handlung zu finden. Interessanterweise ändert sich dieses Verhalten auch in der zweiten Hälfte des Filmes ab dem Moment, in dem nicht mehr nur herumgeredet, sondern tatsächlich im Rahmen einer Kriminalgeschichte agiert wird. Bis dahin aber verwalten Catterfeld und Schubert im Grunde ihre Rollen nur, ohne tatsächlich aufspielen zu können. Für die Gaststars indes bleibt generell kaum mehr zu tun, als ihre Textzeilen brav aufzusagen.
Durch die weitaus komplexer gestaltete zweite Hälfte der Spielzeit und einer Auflösung, der eine große Tragik inne liegt, gelingt am Ende eine Versöhnung mit der Geschichte. Was nicht darüber hinwegtröstet, dass «Wolfsland – Kein Entkommen» für einen Spielfilm einfach zu wenig von allem bietet. Zu wenige Figuren, zu wenig Charakterzeichnung, zu wenig Geschichte, zu wenig Schauwerte.
Anmerkung: Ein kleiner Cliffhanger leitet zu dem kommenden Spielfilm «Wolfsland – Das Kind vom Finstertor» über.
Das Erste, Donnerstag, 03. Dezember 2020, 20.15 Uhr
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