Die Kino-Kritiker

«Der Fall Richard Jewell» – Ein Held, der vom Thron gestoßen wurde

von   |  1 Kommentar

Clint Eastwoods neuester Streich ist Dank Corona schon ein paar Tage alt. Allerdings wird er den Durchbruch nur im Home Video-Bereich schaffen.

Er starb 2007 mit nur 44 Jahren und kämpfte elf Jahre lang um seine Rehabilitierung seiner Person. Richard Jewell war der Wachmann, der am 27. Juli 1996 im Centennial Olympic Park in Atlanta eine Rohrbombe fand und sofort die Evakuierung des Geländes einleitete. Damit rettete er vielen Besuchern das Leben und wurde von den Medien zunächst als Held gefeiert.

Doch dann wendete sich das Blatt. Das FBI verdächtigte ihn, die Bombe selbst gelegt zu haben, um endlich die Aufmerksamkeit zu bekommen, nach der er sich so lange sehnte. Angesehene Zeitungen wie die New York Post und TV-Sender wie CNN begannen eine unvergleichliche Hetzkampagne gegen den schwergewichtigen Jewell. Er würde genau in das Schema des einsamen Bombenlegers passen, hieß es. Sehr viel sachlicher berichtete die Journalistin Marie Brenner den Fall in ihrem Artikel ‚American Nightmare: The Ballad of Richard Jewell“, der im Februar 1997 in der Vanity Fair erschien. Auf diesen Artikel basiert nun die filmische Wiederaufnahme des Falls, mit der Hollywoodlegende Clint Eastwood seine 38. Regiearbeit abliefert.

In 30 Minuten geht die Bombe hoch
Am Abend des 27. Juli 1996 findet anlässlich der Olympischen Spiele eine gutbesuchte Veranstaltung statt. Der Aufseher Richard Jewell (Paul Walter Hauser) findet einen Rucksack, der ihm verdächtig vorkommt. Und tatsächlich ist darin eine Bombe versteckt, die in 30 Minuten hochgehen soll. Sofort leitet Jewell alle erforderlichen Schritte ein und kann dadurch Schlimmeres verhindern. Er wird öffentlich gelobt, was beim FBI-Agenten Tom Shaw (John Hamm) Misstrauen auslöst. Mit einem Durchsuchungsbefehl wird das Haus von Richard seiner Mutter Bobi (Kathy Bates) gestürmt, mit der er zusammenlebt.

Die übereifrige Reporterin Kathy Sculls (Olivia Wilde) bekommt Wind davon und bläst sofort ins gleiche Rohr. Obwohl es keine Beweise gibt, wird Richard Jewell wird diffamiert, ja, wegen seiner Leibesfülle sogar beleidigt. Zum Glück schaltet sich Anwalt Watson Bryant (Sam Rockwell) ein, um Jewells Unschuld zu beweisen. Doch ausgerechnet sein Klient steuert in seiner Naivität dagegen, immer noch fest davon überzeugt, er könnte den Behörden helfen, den wahren Täter zu überzeugen.

Der Wahrheit verpflichtet
Die große Stärke dieses Films ist es sicherlich, dass Clint Eastwood eine sachliche Aufarbeitung des Falls sehr am Herzen gelegen haben muss. Er weiß, was er erzählen will, hält sich im Grunde genommen an die Fakten dieser wahren Geschichte und konzentriert sich auf das Wesentliche. Dennoch ist «Der Fall Richard Jewell“ »ein semidokumentarisches Drama, sondern bleibt ein Spielfilm, wozu auch gehört, die Zuschauer emotional einzubinden. Die titelgebende Hauptfigur gewinnt alle Sympathien, für die man immer mehr Mitleid empfindet wie für einen Outsider, der in der Schule gehänselt wird. Paul Walter Hauser, bisher auf Nebenrollen an der Seite von Emma Thompson («Late Night») oder Margot Robbie («I, Tonya») festgelegt, spielt gekonnt die Einfalt und Hilflosigkeit seines Charakters heraus, ein Muttersöhnchen und Waffenfanatiker, der genau deshalb auch ins Visier der psychologisch geschulten FBI-Agenten gerät.

Nur das sich diese zu sehr darauf festbeißen, und genau das prangert der Film an und zieht zugleich die Presse in die Verantwortung, die nur darauf aus ist, Quoten und Auflagen mit der skandalumwitternden Story zu erhöhen. Besonders die von Olivia Wilde («Tron: Legacy») gespielte Journalistin kommt dabei dermaßen schlecht weg, dass Eastwood dafür sogar gerügt wurde, es sich damit zu einfach gemacht zu haben. Hier das Opfer, dort die Täter, die einen Mann auf Grund von Vorurteilen zu Unrecht an den Pranger stellen. Eine typische Schwarzweißfärbung, die aber funktioniert, wenn am Ende im Gerichtssaal die Gerechtigkeit siegen soll, und das macht Eastwood trotz aller Distanziertheit dann doch mit einem gewissen Maß an Pathos, was wiederum typisch amerikanisch ist.



Ein Filmheld ehrt echte Helden
Clint Eastwood selbst wurde einst durch Western- («Für eine Handvoll Dollar») und Polizeifilme («Dirty Harry») in weltberühmt. Vor der Kamera war er also stets der Held, hinter der Kamera aber blickt der in diesem Jahr 90 gewordene Star gerade in seiner wohl letzten Schaffensphase auf die echten Helden, die durch das wahre Leben hervorgebracht wurden. Tom Hanks als Flugzeugkapitän in «Sully» gehört ebenso dazu wie Bradley Cooper als im Irak eingesetzter Scharfschütze in «American Sniper» oder die sich selbstspielenden US-Soldaten in «15:17 to Paris», die 2015 einen Anschlag auf einen Zug vereiteln konnten. Alltagshelden und zugleich Männer, die sich schon beruflich zu Ordnungshütern und somit zu Höheren berufen fühlen. Aber stets stellt Eastwood wie am im Fall Richard Jewell deren Ecken und Kanten heraus.

Fazit: Ein auf Tatsachen beruhendes Drama, das zeigt, wie schnell man von der Gesellschaft unschuldig an die Wand gestellt werden kann. In Zeiten von Facebook und ‚Fake News‘ aktueller denn je.

«Der Fall Richard Jewell» kann gestreamt und gekauft werden.

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Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
Torsten.Schaub
06.12.2020 11:05 Uhr 1
Mh, fraglich ob der Film außerhalb von USA ein Erfolg wird, da die Geschichte nur dort bekannt war. Überall anders werden Leute den Film wohl nur wegen seiner Handlung schauen wollen und das werden nicht so viele sein.

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