Es ist verrückt. Zwölf Jahre sind ins Land gegangen, zwölf Jahre und hunderte Artikel über die großen und kleinen Dinge des Fernsehgeschehens. Und nicht ein Artikel über das Phänomen «Schlag den Raab». Anscheinend gab es Wichtigeres zu schreiben in dieser Zeit, vielleicht interessanteres. Aber dass «Schlag den Raab» mir in diesen Jahren nicht einen Artikel wert war – abgesehen von einer kleinen Kolumne über Matthias Opdenhövels Abgang zur ARD –, überrascht mich dennoch. Stefan Raabs Spielshow war eine der wenigen TV-Sendungen, die mich kontinuierlich begeisterten. Und für die ich die Samstagabende sogar vor dem Fernseher verbrachte. Mit Chipstüte und Cola – wenn schon, dann richtig gehen lassen. Blicke ich also auf meine persönlichen Sternstunden der vergangenen TV-Jahre zurück, gehört «Schlag den Raab» dazu, unbedingt. Es folgt eine längst überfällige Lobesrede.
Mai 2009: «Schlag den Raab» Ausgabe 17
Mitternacht ist längst überschritten und es ist eines der Duelle, von dem man früh wusste, dass es lange andauern wird. Dass Stefan Raab in Student Nino Haase einen ebenbürtigen Gegner gefunden hat. Dann ist es rund 01.30 Uhr in der Nacht, es ist das legendäre letzte Spiel: Wer es gewinnt, siegt im gesamten Duell. Einer der typischen «Schlag den Raab»-Momente. Auch, weil ein ordinäres Spiel über Sieg oder Niederlage entscheidet: Billard. Noch nie war es so spannend wie in diesem Moment. Im Studio kann man nun eine Stecknadel fallen hören, in Millionen Haushalten gerade auch.
Momente der absoluten Stille und Konzentration wechseln sich ab mit gelegentlichen Jubelschreien und Applaus, wenn eine Kugel versenkt wurde. Es geht um drei Millionen Euro, die bis dato höchste Gewinnsumme in der Geschichte der Show. Ein lautes „Shit“ schallt aus Raab heraus, als er ein Loch knapp verfehlt. Die Zuschauer im Publikum tuscheln. Aufregung pur. Für Nino sieht es gut aus, eine Kugel liegt direkt vor dem Loch. Eigentlich leichtes Spiel. Aber was ist schon leicht in so einem Moment? Nino setzt kalt und schnell an, ist offenbar völlig im Tunnel. Und verwandelt genauso schnell die Kugel. Drei Millionen Euro gehören ihm.
Solche Momente gibt es zahlreiche in der Geschichte dieser großen Samstagabendshow. Sie wurde damals schon als letzte Bastion dieses Genres gefeiert, bevor es ausstirbt. Man sollte recht behalten: Nach «Schlag den Raab» hat kein klassisches Showformat mehr den Samstagabend so geprägt. Mit dem Ende der Show trat auch Stefan Raab selbst von der TV-Bühne ab. Er hat Wichtiges hinterlassen.
Dezember 2011: Thomas Gottschalks letzte «Wetten, dass..?»-Show
Ein mehr oder weniger ungeplanter Abgang nähert sich seinem finalen Akt. Nach Samuel Kochs Unfall in einer «Wetten, dass..?»-Ausgabe im Jahr 2010 entscheidet sich Thomas Gottschalk, das Format nicht mehr weiter zu moderieren. Die Abschiedstour fällt allerdings ausufernd aus: Nach einigen regulären Ausgaben und einem Sommer-Special folgen noch drei Spezial-Folgen, die sich allerdings nur marginal von gewöhnlichen «Wetten, dass..?»-Shows unterscheiden. Insofern fällt der Abschied des größten Showmasters von seiner größten Bühne weniger emotional aus als geglaubt. Zumindest bei mir. Es war ein würdiger Abgang, demütig und erhaben. Thomas Gottschalks Abschiedsrede lässt mich in Erinnerungen schwelgen: an Bagger-Wetten, an Michael Jacksons großen Auftritt mit dem „Earth Song“, an Gerhard Schröders umstrittenen Besuch, an die Brustmuskelzucker-Wette, an Hund Rico und die Stofftier-Wette, an Modern Talkings Comeback, an Meat Loafs Kuss-Orgie, an die großen Kameraschwenks durchs Publikum beim Beginn jeder Sendung und an die orchestrale Musik. «Wetten, dass..?» ist auch Popkultur und repräsentiert die Entwicklung der deutschen (TV-)Geschichte. Eine Show, über die man spricht am Montag danach. Auch zu meinen Zeiten, als ich auf dem Schulhof rumtobte. 2011 wird ein letztes Mal groß über «Wetten, dass..?» und Gottschalks Abgang gesprochen. Ein Abschied, von dem ich damals das Gefühl hatte, dass er nicht für immer sein sollte. Und tatsächlich wird es 2021 ein einmaliges Comeback geben. Nichts lieber als das!
Übrigens: Zu früheren Zeiten erkannte man einen guten TV-Journalisten unter anderem auch daran, wie leicht ihm die Schreibweise dieser Show fällt. Wie «Wetten, dass..?» geschrieben wird, sollte ihm blind von der Hand gehen: Die beiden Worte getrennt durch ein Komma, dann zwei Punkte, schließlich ein Fragezeichen. Übung macht den Meister..?
September 2013: Das Ende von «Breaking Bad»
„He made up his mind ten minutes ago.” Diese Szene in der drittletzten Folge von «Breaking Bad» geht mir durch Mark und Bein. Jacks Gang hat die Oberhand und hält Walter White und seinen Schwager Hank gefangen in der Wüste. Längst weiß Hank von Walters grausamen Machenschaften und seinem Drogenimperium. Und als Zuschauer ahne ich so langsam, dass die Stimmung diesmal eine andere ist: Bisher wurden die ganz großen Charaktere dieser Serie, mit denen man Jahre verbracht hat, verschont wurden. Walter, Skyler, Hank, Jesse. Hank ist einer von den Guten. Einer, der für das Recht kämpft. Und von dem man als Zuschauer das Gefühl hat, er als Einziger könne die Serie zu einem Happy End führen. Das Gefühl ist spätestens in diesen Momenten endgültig verflogen. Walter bettelt darum, Hank freizulassen, verspricht Millionen. Doch Gangleader Jack lässt sich nicht beeindrucken. Ich bekomme einen flauen Magen. Kann es wirklich so enden mit Hank?
Jack spielt kurze Psychospielchen, lässt seine Macht der Situation erkennen. Walter fleht weiter um Hanks leben. Doch dieser sagt irgendwann zu Walter: „He made up his mind ten minutes ago.” Jack habe sich schon entschieden, ihn umzubringen. Ich kann es nicht fassen. Vor Aufregung hoffe ich, dass ich den englischen Satz falsch verstanden habe. Und spule die Folge zwei Minuten zurück. Bis erneut der Satz fällt. Ich spule nochmal zurück. Er ändert sich wieder nicht. Ich will das Unvermeidbare offenbar nicht wahrhaben. Ein letztes Mal drücke ich auf Pause und atme tief durch. Wenn ich auf Wiedergabe klicke, lasse ich Hank sterben. Es ist einer dieser Momente, der mir zeigt, wie wahnsinnig groß Fernsehen sein kann. Und wie es mich mit Haut und Haar vereinnahmen kann. Ich drücke Start. Hank wird erschossen. Und «Breaking Bad» wird in diesen Momenten für mich zur größten Serie aller Zeiten. Weil es in mir solche Emotionen hervorrufen konnte wie kein anderes Fernsehereignis zuvor.
Januar 2014: «True Detective» Staffel 1
Das Zeitalter der goldenen TV-Serien ist im Januar 2014 längst angebrochen. Viele Jahre habe ich bereits mit den neuen Qualitätsserien verbracht, ob sie «The Sopranos» heißen, «The Wire», «Mad Men» oder eben «Breaking Bad». Die Highlights des Genres werden rarer, auch deshalb, weil viel mehr auf Masse produziert wird. Und dann diese Serie: Schon beim Intro ahne ich, dass «True Detective» ein Meilenstein wird. Die erste Folge über die Polizisten Marty Hart und Rust Cohle zieht mich in ihren Bann. Nicht nur wegen der mysteriösen Mordfälle, sondern auch wegen der besonderen Beziehung zwischen den beiden stilbildenden Charakteren. Es ist eine Serie, die große Bilder entwirft und sich viel Zeit nimmt für das, was sie erzählen will. Damals schrieb ich für Quotenmeter.de das folgende Fazit: „Es gibt Serien, die liebt man auf den ersten Blick, weil sie sofort erkennen lassen, dass alles stimmig ist. Diese hier ist so eine Serie, und sie könnte der „next big hit“ im umkämpften Serienmarkt sein, der ständig nach neuen, herausragenden Geschichten sucht.“
Auch der Rest der Staffel enttäuscht mich nicht, im Gegenteil: Von Folge zu Folge wird die Story spannender. Ob am Ende der dritten Folge, als der vermeintliche Serienmörder Reggie Ledoux in monströser Manier gezeigt wird. In der vierten Folge mit der sechsminütigen Sequenz ohne Schnitt. In den zahlreichen Verhör-Szenen, in denen Hart und Cohle philosophieren – über den Fall, aber auch über die großen Fragen des Lebens. Und am Ende der Serie, als dem Mysterium tief in den modrigen Sümpfen Louisianas nachgegangen wird. «True Detective» war der „next big hit“, den ich persönlich gesucht habe im Jahr 2014. Fünfmal habe ich diese Staffel seitdem nochmals geschaut, so oft wie keine andere. Sie verliert auch nach Jahren keinerlei Strahlkraft.
Mit diesen Zeilen beende ich vorerst meine Tätigkeit als Redakteur im Mediengeschäft. Ich danke dem Team von Quotenmeter.de für die Chance, meine Gedanken seit 2008 einem interessierten Publikum zugänglich machen zu dürfen, und für die jahrelange gute Zusammenarbeit mit allen Kollegen. Ebenfalls danke ich all meinen Lesern über diese Zeit für das Interesse und die aufmerksamen Kommentare. Auf bald!
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