Debatte

Facebook, Twitter und die Zukunft der Redefreiheit in sozialen Medien

von   |  6 Kommentare

Twitter stufte erst die Tweets von Donald Trump als unwahr ein, dann wurde er von dem Unternehmen gesperrt. Die Inhalte seiner Gegner wurden hingegen nicht hinterfragt. Wie viel Macht haben soziale Netzwerke?

Nur wenige Unternehmen haben einen so raschen Anstieg und plötzlichen Rückgang des öffentlichen Vertrauens erlebt wie die Social-Media-Giganten unserer Zeit. In den frühen Tagen der sozialen Medien genossen Twitter, Facebook und Co einen altruistischen Ruf – ihr Zweck war es (anscheinend), Menschen näher zusammenzubringen. In den letzten Jahren, insbesondere nach den US-Präsidentschaftswahlen 2016, änderte sich die öffentliche Meinung zu Social Media jedoch massiv. Social-Media-Plattformen haben unsere Fähigkeit revolutioniert, sich über historische soziale, politische und geografische Grenzen hinweg zu verbinden. Wo früher Gatekeeper den Zugang zu Massenmedienplattformen regulierten, kann heute potenziell jeder - und jeder Inhalt - sofort Millionen von Personen erreichen. Diese Entwicklung bietet große Chancen, hat jedoch auch die Auswirkungen und den Schaden durch Desinformation und Hassreden vergrößert. Die Öffentlichkeit weiß heute, dass Social-Media-Plattformen großflächig dazu genutzt werden, Fake News zu verbreiten, dass private Benutzerdaten an Werbetreibende verkauft werden und dass einige Inhalte sogar zu Gewalt in der nicht virtuellen Welt geführt haben.

Das Internet bringt nicht nur Demokratie, Freiheit und Gleichheit. Auch in den sozialen Medien stehen die verfassungsmäßigen Werte unter Druck, und Demokratie ist nur selten die Norm. Online-Medienunternehmen erkennen an, dass selbst extremistische und terroristische antidemokratische Gruppen soziale Medien nutzen, um ihre Botschaft zu verbreiten. Trotz des Absturzes im öffentlichen Ansehen nutzt noch immer eine Vielzahl von Menschen soziale Medien als primäre Nachrichtenquelle. Dieser Umstand hat Regierungen auf der ganzen Welt dazu veranlasst, sich die Unternehmen, ihre Praktiken und die Verwundbarkeit ihrer Benutzer genauer anzusehen. Während Experten und Politiker versuchen, herauszufinden, was als nächstes zu tun ist, versuchen Facebook, Twitter und andere große Technologieunternehmen, ihre eigenen Änderungen vorzunehmen, um ihre Plattformen vor staatlichen Eingriffen zu schützen.

Nach Berichten über Völkermord in Myanmar verbot etwa Facebook dem obersten General des Landes und anderen Militärführern, die die Plattform nutzten, den Zugang, um Hass zu schüren. Das Unternehmen verbietet auch die Hisbollah u.a. wegen ihres Status als von den USA als ausländische Terrororganisation eingestufte Organisation, obwohl die Partei Sitze im libanesischen Parlament innehat. Wichtige politische Akteure aus Ländern, die unter US-Sanktionen stehen, werden teils ebenfalls von der Plattform verbannt. Gleichzeitig haben sowohl Facebook als auch Twitter an dem Grundsatz festgehalten, dass Inhalte, die von gewählten Beamten veröffentlicht werden, mehr Schutz verdienen als Material von "gewöhnlichen" Personen. Die Rede von Politikern erhält also mehr Macht als die des Volkes. Diese Position steht im Widerspruch zu zahlreichen Beweisen dafür, dass hasserfüllte Inhalte von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens einen größeren Einfluss haben als ähnlicher Content von normalen Benutzern.

Doch es ist ein schmaler Grat, auf dem die Tech-Riesen wie Facebook und Twitter balancieren. Obwohl die Löschung von Benutzerkonten politischer Akteure mit zweifelhafter Agenda kurzfristige Vorteile mit sich bringt, werfen solche Entscheidungen grundlegendere Fragen zur freien Meinungsäußerung auf. Wer sollte das Recht haben zu entscheiden, was wir sagen können und was nicht? Was bedeutet es, wenn ein Unternehmen einen Regierungsbeamten zensieren kann? Wenn weder Regierungen noch Führungskräfte zuverlässige Verwalter der Redefreiheit sind, was kann getan werden, um das Internet zu einem friedvollen Ort zu machen und gleichzeitig die Meinungsfreiheit zu schützen? Die Sperrung des Twitter-Kanals von noch US-Präsident Donald Trump in der vorvergangenen Woche legt diese Probleme offen. Sowohl Bundeskanzlerin Angela Merkel, Russlands Oppositionspolitiker Alexej Nawalny und beispielsweise das Wall Street Journal stimmen darüber ein, dass die Sperrung ein falsches Signal ist. Nawalny sagte: „Dieser Präzedenzfall wird von Feinden der Redefreiheit weltweit ausgenutzt werden, auch in Russland.“

Eine im Silicon Valley immer beliebtere Antwort besteht darin, zwischen Redefreiheit und "Reichweite" zu unterscheiden. Genauer gesagt: Posts online lassen, aber durch geringere Reichweite weniger sichtbar machen. Nach den Bombenanschlägen auf Kirchen und Hotels in Sri Lanka zu Ostern im Jahr 2019 verhinderte Facebook das erneute Teilen von Posts durch Freunde von Freunden, um zu verhindern, dass fragwürdige Inhalte zu weit oder zu schnell verbreitet werden. Die gleiche Taktik nutzte man in Äthiopien und Myanmar. Twitter hat wiederum versucht, Menschen davon abzuhalten, Fake News zu teilen, indem sie aufgefordert wurden, Artikel zu lesen, bevor sie sie erneut twittern. Plattformen fügen dem Content mehr und mehr Labels hinzu und warnen Benutzer, dass gewisse Inhalte irreführend seien. Doch auch hier gibt es berechtigte Fragen: Wer entscheidet, was glaubwürdig und was Fake News ist? Wann gilt ein Beitrag als Hassrede? Wo ziehen wir die Grenze zwischen künstlerischer Freiheit und Irreführung?

Die Zukunft von Social Media Riesen wie Twitter und Facebook aber auch die Art des sozialen und politischen Diskurses wird maßgeblich davon bestimmt werden, wie viel Macht wir den sich zum größten Teil selbst regulierenden Tech Giganten in Bezug auf freie Rede geben. Glauben wir als Gesellschaft, vielleicht sogar als ganze Menschheit daran, dass CEOs von Wirtschaftsunternehmen die Einhaltung grundlegender Menschenrechte vor den Profit stellen? Soll die Macht darüber, was im öffentlichen Online-Raum gesagt werden darf in den Händen der Internet-Elite liegen? Oder braucht es kontrollierende, nationale oder transnationale Gremien, um festzulegen wer, wann, was sagen darf? Oder sollen wir einfach darauf vertrauen, dass sich die Wahrheit am Ende schon durchsetzen wird, auch wenn die Vergangenheit häufig genug Beweise für das Gegenteil geliefert hat?

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Nr27
18.01.2021 12:51 Uhr 1
"Twitter stufte erst die Tweets von Donald Trump als unwahr ein, dann wurde er von dem Unternehmen gesperrt. Die Inhalte seiner Gegner wurden hingegen nicht hinterfragt."



Äh, was bitte? Erstens könnte es natürlich sein, daß die "Inhalte seiner Gegner" deshalb "nicht hinterfragt wurden", weil diese nicht permanent gegen sämtliche Twitter-Regeln (und sogar gegen Gesetze) verstoßen. Zweitens werden die "Inhalte seiner Gegner" aber natürlich sehr wohl hinterfragt und bei (angeblichen) Verstößen gegen die Regeln auch sanktioniert. Bei den Anti-Trump-Videos des Schriftstellers Don Winslow wurde beispielsweise nachweislich die Verbreitung eingeschränkt, obwohl diese zwar höchst polemisch, aber inhaltlich durchaus wahrheitsgetreu sind ... Und das ist nur eines von zahlreichen Beispielen.
AlphaOrange
18.01.2021 16:14 Uhr 2
Der Satz ist tatsächlich etwas blöde, zumal das so im Artikel dann gar nicht vorkommt. Die allermeisten "Gegner" Trumps posten halt keine Lügen und Gewaltaufrufe. Soll man eine Nancy Pelosi wegen Häme sperren?



Insgesamt aber schon gute und wichtige Gedanken. Trumps Tweets sind in ihrem eigentlichen Wortlaut sehr, sehr viel harmloser als so einiges anderes an Verschwörungstheorien, Gewaltaufrufen, Diffamierung, Mobbing und Beleidigungen, die durch die sozialen Medien schwingen, und unter dem Radar der Meinungsfreiheit durchrauschen. Die Frage, ob wirklich Zensur der richtige Weg ist, um nicht nur die schlimmen Dinge zu löschen, sondern auch die, die im Kontext schlimme Dinge nach sich ziehen könnten (nach Beurteilung privater Unternehmen), muss gestellt werden.



PS: Bitte Bindestriche nachbestellen! "noch US-Präsident Donald Trump" oder "Social Media Riesen" sind ihre verloren gegangen.
Friccs
18.01.2021 19:18 Uhr 3
Sehr guter Artikel weil er ausnahmsweise nicht einseitig ist. In Sachen Trump wurde mit zweierlei Maß gemessen, auch wenn es den richtigen getroffen haben mag. Seine Gegner konnten praktisch alles machen, es wurde nichts hinterfragt. Wie auch einige Kommentare hier belegen, denken manche, dass dies ja auch daran liegen würde weil es halt der Wahrheit entsprechen würde. Kontrolle und Kritik an andere Institutionen delegieren - der Kopf bleibt zuhause. Bei anderen Themen die nicht mehr so einfach zu bewerten sind, sieht die Sachlage ganz anders aus. Man steuert die Informationsströme und bestimmt was wichtig ist und was nicht. Grundsätzlich radikalisiert Social Media. Komplexe Themen werden auf 2 Sätze heruntergebrochen. Je extremer die Meinung, desto mehr Aufmerksamkeit generiert man. Die Mitte erodiert langsam. Schrecklich.
medical_fan
19.01.2021 11:29 Uhr 4
Naja, der Autor hat schon Recht.



Während Trumps Gegner oder die "Guten" allerlei Hass und Hetze gegen alles und jeden verbreiten können und die sozialen Medien (besonders Twitter) da nichts macht, da man auf dem linken Augen quasi blind ist, wird von der anderen Seite alles was konservativ, regierungskritisch oder Nicht-Mainstream ist gelöscht und gesperrt. Wäre Trump nen Demokrat wäre ihm das nicht passiert.



Ich mein nen Demokratischer Präsident konnte auch Geschlechtsverkehr mit ner Praktikantin machen und es dann noch leugnen nachdem man ihn dabei erwischt hat bzw. Beweise gegen ihn hatte.



Und was ist passiert? Nichts, die Öffentlichkeit stand weiter hinter ihm und nach kurzer Zeit war Gras über die Sache gewachsen weil er Demokrat war.



Biden könnte auch den 3. Weltkrieg anzetteln aufgrund seiner senilen Demenz und alle würden ihn noch bejubeln und als den besten Präsident überhaupt bezeichnen.



Aber gut die Leute wollen offenbar Politiker die nur blablabla und Politik für sich anstatt für das Volk machen.
AlphaOrange
19.01.2021 15:18 Uhr 5
Ehh... is klar.

Nur zur Erinnerung: Die Lewinsky-Affäre war monatelang dominantes Medienthema, der geleistete Meineid hat Clinton ein Impeachment eingehandelt. Twitter und Facebook gab es damals noch nicht. Nicht einmal myspace.



So sehr ich mit dem Tenor des Artikels mitgehe, so bedenklich finde ich, wenn hier als Gegenbeispiele immer von den "Gegnern Trumps" zu lesen ist, die ja angeblich viel schlimmer seien.
Neo
19.01.2021 15:37 Uhr 6
Kommt halt auch von den immer gleichen Leuten...



Ist doch verständlich, dass da mit zweierlei Maß gemessen wird. Wer viele Follower hat, hat auch eine gewisse Verantwortung.
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