Die Kino-Kritiker

«Pieces of a Woman» – Leben und Tod so nah beisammen

von

Kornél Mundruczó und Kata Wéber verarbeiten bei dem Spielfilm die Todgeburt ihres eigenen Kindes.

Es war im letzten Jahr der Film auf den Filmfestspielen Venedig, der Publikum am meisten bewegt hat. Hauptdarstellerin Vanessa Kirby wurde gefeiert, wie authentisch sie doch die sich hinziehende Geburt eines Kindes verkörpern könnte. Über 20 Minuten dauert dieser hier quälende Prozess in «Pieces of a Woman». Doch es fühlt sich bedeutet länger an, weil man als Zuschauer so hautnah dabei ist als würde man selbst betroffen sein. Umso schlimmer dann der Ausgang dieser Exposition: Das Neugeborene verstummt nach wenigen Minuten.

Eltern und Hebamme können nur noch den Tod des Kindes feststellen. Ein schmerzlicher Moment, und spätestens hier verließen in Venedig weitere Zuschauer den Saal. Denn ab diesen Punkt kann es nicht besser werden und gewiss muss jeder selbst einschätzen, ob oder inwieweit er dem folgenden Geschehen noch weiterbeisitzen möchte. «Pieces of a Woman» ist definitiv kein Wohlfühlfilm. In einer Zeit, in der die weltweite Pandemie Menschen verzweifeln lässt, dient eine derart schwermütige Tragödie um Tod und Trauer sicherlich nicht der Ablenkung, sondern trifft tief ins Herz, und das vor allem Menschen, die momentan sowieso schon eine psychische Labilität verspüren.

Die Frage nach der Schuld
Martha (Vanessa Kirby) und Sean (Shia LaBeouf) sind überglücklich, denn das Paar erwartet sein erstes Baby. Sie haben sich für eine Hausgeburt entschieden, doch als bei Martha plötzlich die Wehen einsetzen, ist ihre betreuende Hebamme bei einer anderen Geburt. Eine Vertretung wird geschickt, die von der Situation schnell überfordert wirkt. Denn das Kind will nicht kommen. Die Geburt zieht sich hin, Martha stöhnt, schreit und wimmert, Sean fühlt sich völlig ohnmächtig. Dann passiert es doch. Ein kurzer Moment des Glücks, der abrupt endet, als das kleine Mädchen bewegungslos in den Armen der Mutter liegt. Wie mit dem Schmerz umgehen?

Der Verlust entzweit das Paar, während Martha versucht, schnell wieder in den Alltag zurückzufinden und alle Empfindungen der Trauer zu unterbinden, bittet Sean um Aufarbeitung und Neuanfang. Dabei kommt noch einmal zum Vorschein, dass sich der Brückenbauer seiner Frau, die aus besserem Hause kommt und weit mehr als er verdient, unterlegen fühlt. Seine Schwiegermutter Elizabeth (Ellen Burstyn) schaltet sich ein und fordert, dass ein Prozess gegen die unfähige Hebamme angestrebt werden sollte. Denn die Frage nach der Schuld könnte auch den Schmerz stillen.



Eigenerlebtes in symbolträchtigen Bildern
Ein äußerst intensiver Anfang, der einen zunächst fassungslos macht und erahnen lässt, dass die Talstrecke wohl noch lange nicht zu Ende ist und der Film uns genau in dieses emotionale Tief weiterführen möchte. Als stark sein, es zulassen, dass nicht alle gleich auf einen solchen unvorstellbaren Verlust reagieren. Das führt automatisch zu einer eigenen Auseinandersetzung und bei all jenen, die frei von dieser Erfahrung sind, poppt die Frage auf, wie man wohl selbst damit umgehen würde. Insofern hat Regisseur Kornél Mundruczó («Jupiter’s Moon»), der sich anfangs vor allem als Theaterregisseur u.a. auch in Deutschland einen Namen gemacht hat, gewissermaßen alles richtig gemacht.

Wie oft gelingt es schon, sein Publikum emotional dermaßen zu berühren. Dass sein Film so authentisch und ehrlich wirkt, hat sicherlich auch mit dem Umstand zu tun, dass der Ungare selbst ein Betroffener ist. Er und seine Partnerin Kata Wéber, die auch das Drehbuch zu «Pieces of a Woman» verfasste, verarbeiteten damit den Verlust eines eigenen Kindes. Sie wissen also, wovon sie erzählen und wie sehr das eine Partnerschaft im Nachhinein belastet und wie verschiedenartig auch das gesellschaftliche Umfeld darauf reagiert. Denn eine Todgeburt wirkt noch oft wie ein Tabu, was eine würdevolle Trauerarbeit schwermacht. Kornél Mundruczó setzt hierbei auf symbolträchtige Bilder, etwa der Bau einer Brücke über den Boston River, an den der Ehemann beteiligt ist. Ein starkes Bild für zwei Strecken, die Stück für Stück aufeinander zu kommen, so wie Martha und Sean, die nur diese eine Chance haben.

Fazit: Es sind die ersten 23 Minuten, die einen völlig fassungslos machen. Freude, Schmerz, Angst und Verzweiflung übertragen sich auch aufs Publikum. Äußerst gefühlsvoll, wenn auch meist tragisch und traurig.

«Pieces of a Woman» ist bei Netflix zu sehen.

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