Gerade mal 22 Jahre alt war Jonas Dassler, als er in Fatih Akins Thriller «Der goldene Handschuh» (verfügbar u.a. bei Amazon Prime, Sky, iTunes, Google Play, Chili) Fritz Honka (†63) verkörperte, einen Mann aus dem Hamburger Trinkermilieu der Siebzigerjahre, der mehrere Frauen ermordete und zerstückelte. Gewiss die bisher schwierigste Rolle des Jungstars aus Remscheid, der zuvor schon durch Filme wie «Das schweigende Klassenzimmer» und «LOMO» die Aufmerksamkeit auf sich zog. Doch wie hat es der heute in Berlin lebende Schauspieler geschafft, sich in die kranke Psyche eines Killers hineinzubegeben? Damit nicht genug, musste er auch noch Nacktszenen mit über 40 Jahren älteren Frauen spielen. Nicht ganz normal für einen jungen Mann, oder?
Wie ist es Ihnen selbst damit ergangen, in die Rolle des Fritz Honka zu kriechen?
Das war eine sehr komplexe Vorbereitung auf allen Ebenen, weil es klar war, dass es diese Maske und diese Altersspanne geben würde. Dann gibt es den Roman von Heinz Strunk über einen Menschen, den es tatsächlich gab. Man war also mit sehr viel auf einmal konfrontiert und das musste ich erst mal ordnen.
Wie sind Sie vorgegangen?
Als erstes habe ich das Buch gelesen, das von Heinz sehr gut recherchiert war. Er kam an Materialien, die bisher noch gar nicht veröffentlicht wurden. Dann habe ich versucht, mich in diese krankhafte Psychologie eines Serienmörders zu belesen. Irgendwann musste ich das zusammenrütteln und zu einer eigenen Interpretation dieses Menschen kommen.
Können Sie das näher erläutern?
Ich spiele eine reale Figur, und als ich in Hamburg war, hieß es oft: ‚Ich kannte Honka auch, er hat bei mir um die Ecke gewohnt’ oder ‚Ich habe ihm die Haare geschnitten und er ist immer so gegangen und hat so gesprochen.’ Irgendwann musste ich mich davon aber befreien, um die Figur für mich selber finden zu können.
Wann kam dieser Moment?
Tatsächlich als ich diese Maske hatte sowie das Kostüm, die Zähne und den Dialekt. Dinge von außen, die aber das Innere ganz stark beeinflusst haben.
Wie kam diese Maske zustande?
Wir haben sehr lange getestet. Im ersten Casting war noch die Überlegung mir man meine echte Nase zu deformieren. Ich stopfte mir einen Gummipfropfen in die Nase mit der Folge, dass der mir in die Nebenhöhle gerutscht ist. Da musste ich sofort zum HNO-Arzt.
Das war also nicht der richtige Weg...
Dann haben sich drei unheimlich tolle Maskenbildner der Sache angenommen, die Nase zu präparieren. Das hat dann jeden Morgen vor Drehbeginn drei Stunden gedauert bis ich fertig war.
Wie schwer war es für Sie, nach einem Drehtag wieder Abstand zur Rolle zu finden?
Ehrlich gesagt war die Vorbereitungszeit viel schwieriger für mich, weil ich mir selber Grenzen setzen musste: Wann höre ich auf über die Rolle nachzudenken? Mir fiel es schwer, die Tür zuzumachen und nicht mehr darüber nachzudenken. Das war ein Prozess, den ich lernen musste. Beim Drehen war es dann viel einfacher für mich. Dabei half mir die Maske, sobald sie runter war, war ich wieder raus aus der Rolle.
Nun sind Sie erst 22 und mussten sich mit so einer abgrundtiefen Thematik beschäftigen. Das musst doch irgendwas mit Ihnen gemacht haben...
Wir hatten eine psychologische Betreuung am Set. Das war gut einfach zu wissen, dass es die Möglichkeit gab, mit jemanden zu sprechen. Aber ehrlich gesagt war es die Arbeit mit Fatih Akin, die half, eine kritische Distanz dazu zu schaffen. Über die Wirkung haben wir direkt am Set gesprochen. Er hat auch immer darauf geachtet, dass es immer ein Spiel bleibt.
Ein Spiel?
Ja, am Set ist es eine Szene mit Schauspielern die sich darauf vorbereitet haben und sich sozusagen hineinbegeben. Eine Gewalt- oder Vergewaltigungsszene zu drehen funktioniert nur auf einer Spielerebene. Alle lassen sich in dem Moment darauf ein und vertrauen einander. Nur deshalb konnten wir solche Szenen miteinander spielen. Letztlich war es eine Choreographie. Man spielt die Gewalt äußerlich, hat aber immer die schützende Hand auf dem Hinterkopf seines Partners. Das war für mich essentiell.
Weil Sie Szenen auch nackt spielen mussten?
Das sind unsere Körper, die da zusammenspielen und das hat auch noch mal mit dem Vertrauen unter uns Spielern zu tun. Fatih hatte uns einen Rahmen gegeben, bei dem kein Druck bestand, und auch wenn es im Drehbuch stand wurde immer diskutiert wie wir das filmen und was ist zu sehen. Es ist ein Film über sexuelle Gewalt und sexuelle Frustration, damit waren Sex und Körper Teil davon.
Konnten Sie auch so etwas wie Verständnis für Fritz Honka aufbringen?
Trotz seiner kranken Psyche, die ihm zum Monster machte war mir klar, dass er ein Mensch war. Einer von gleicher Spezies und irgendetwas scheint in uns drin zu sein, dass das möglich ist so zu werden. Honka war jemand, der durch Krieg und familiäre Umstände in zerrüttete Zustände geriet. Er versuchte sein Leben in normale Bahnen zu lenken.
Sie haben mal geäußert, Sie könnten mit allen Figuren, die Sie gespielt haben, Bier trinken gehen. Gilt das auch für Honka?
Das ist natürlich so ein cooles Statement (lacht), aber tatsächlich würde ich das. Denn ich muss alle meine Figuren, die ich spiele, auch irgendwie lieben. Ja, ich würde mit Honka ein Bier trinken und ihm sagen: ‚Hör auf, lass’ den Scheiß.’
Auf der Berlinale sprach jeder über Ihre Rolle als Fritz Honka, jeder kennt Sie nun. Wie nehmen Sie das gerade selbst wahr?
Wenn ich merke, ich bewege Leute mit meiner Arbeit, macht mich das sehr glücklich. Es geht mir nicht um Erfolg, denn der ist vergänglich und Preise sind wie es Juliette Binoche auf der Eröffnung so schön sagte, letztlich nur Gegenstände, von denen irgendwann der Lack abblättert. Das wahre Gold ist die Arbeit, und weiter arbeiten zu können ist für mich der größte Preis.
Vielen Dank für das Gespräch.
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