Stab
Drehbuch: Philip Koch, Jana Burbach und Benjamin SeilerRegie: Philip Koch und Florian Baxmeyer
Darsteller: Henriette Confurius, Emilio Sakraya, David Ali Rashed, Melika Foroutan, Oliver Masucci, Benjamin Sadler
So geschehen in «Tribes of Europa», das seine Handlung im Jahr 2074 verortet, aber bis auf ein paar Science-Fiction-typische Artefakte optisch mehr nach Jungsteinzeitdrama aussieht – wahrscheinlich, weil der Clan, dem die Hauptfiguren angehören, vornehmlich im Wald haust und Technik für Teufelszeug hält: Die hat ja erst zu der Katastrophe geführt, wegen der man jetzt wieder im Wald leben muss.
Man hat sich also von der Welt zurückgezogen, sammelt in freudiger Isolation irgendwelche Beeren, ist hermetisch, aber unter freiem Himmel abgeschottet vom Rest der Welt, wo man in erstaunlicher Sicherheit seine Kinder großzieht. Nur, dass die eben, sobald sie das Erwachsenenalter erreicht haben, nicht so sind, wie sich das die Eltern einmal vorgestellt haben. Denn als ein hochtechnisiertes Flugobjekt abstürzt, gehen die Jungspunde schnurstracks zur Unfallstelle, um es sich genau anzusehen – und bergen dort ein geheimnisvolles Artefakt.
Da können die Eltern und Anführer des Waldclans auch schon nicht mehr die Zeit zurückdrehen und alles ungeschehen machen: Denn finstere Mächte jenseits des Waldes, wo der Weltuntergang zwar zu einer völligen Umwälzung der Lebensbedingungen, aber nicht zum Ende des technischen Fortschritts geführt hat, setzen alles daran, um das Artefakt in ihre Finger zu bekommen. Ein Krieg ist nicht mehr aufzuhalten.
Was in dieser Beschreibung der neuen deutschen Science-Fiction-Serie von Netflix bisher völlig unerwähnt blieb? Richtig – die Namen der Figuren, was sie können, was sie wollen, in welchen Beziehungen sie zueinander stehen. Denn all das erscheint im Auge von «Tribes of Europa» zweitrangig, weshalb letztlich auch diese Serie schnell wieder in Vergessenheit geraten dürfte: Mehr als eine uninspirierte Mischung altbekannter Science-Fiction-Stereotypen hat sie nämlich leider nicht zu bieten: Die Figuren wirken austauschbar und beliebig, das Setting einfallslos und von vielen anderen bekannten Stoffen kopiert, die Backstory ist tausendmal interessanter als die eigentlich gezeigte Handlung.
Eine weitere lahme, handzahme Sci-Fi-Serie mit umständlicher, aber uninteressanter Handlung und spannungsarmen Figuren für Allesgucker, könnte da das Fazit lauten. Doch das würde den Kern nicht treffen: Denn «Tribes of Europa» hätte auf Basis seines Konzepts ja wirklich etwas Spannendes zu erzählen gehabt. Was passiert mit diesem Europa, wenn es nicht mehr zusammenhält, wenn es auseinanderdriftet und in „Stämme“ zerfällt? Wie wird man auf diesem Kontinent in 50 Jahren tatsächlich leben – und wenn man sich wirklich für die Variante mit den rivalisierenden Wald- und Technikstämmen entscheidet: Welche Entwicklungen pflastern dann den Weg dorthin, warum kommt es zum Untergang von Staaten, Gesellschaften und einem ganzen Kontinent? Wie hat der technologische Fortschritt zum völligen Zusammenbruch des normalen Lebens geführt, und weshalb machen die Einen trotzdem weiter damit, während die anderen zwischen den Bäumen herumhoppsen? Fragen über Fragen, die wirklich interessant gewesen wären – und die aus diesem lauen, beliebigen Science-Fiction-Ersatz wahrscheinlich eine spannende Serie mit massenweise klugem Diskussionsstoff gemacht hätten.
«Tribes of Europa» ist bei Netflix zu sehen.
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