Stab
REGIE: Marcus O. RosenmüllerDREHBUCH: Mathias Schnelting
SCHNITT: Claudia Klook
KAMERA: Ralph Kaechele
MUSIK: Florian Teslofff
PRODUCERIN: Anna-Lena Dwyer
DARSTELLER: Anna Loos (Helen Dorn), Franziska Hartmann (Katharina Tempel), Ernst Stötzner (Richard Dorn), Tristan Seith (Weyer), Nagmeh Alaei (Dr. Isabella Aligheri), Max Koch (Timo Berger), Matthias Koeberlin (Holger Krawitz), Marc Hosemann (Roman Wulf)
Schnitt.
Helen Dorn ist der Vorfall mit der jungen Sanitäterin sichtlich an die Nieren gegangen. Jedoch ist dies nicht ihr Fall und sie muss ihn abschütteln, denn in einem Park ist ein junger Mann Tod aufgefunden worden. Michael Bröder lautet sein Name und er stammt, wie man sagt, aus „gutem Hause“. Michi, wie ihn seine Freunde genannt haben, ist erschlagen worden. War er in eine Prügelei verwickelt? Im Rahmen der Obduktion werden Aufputschmittel in seinem Blut entdeckt. Gut, die hat er illegal eingenommen. Aber ansonsten war Michael ein unbeschriebenes Blatt, ein Abiturient, der kurz vom Abschluss stand, ohne Vorstrafen, beliebt bei seinen Freunden. Wurde er möglicherweise das Opfer eines Racheaktes? Sein Vater ist ein bekannter – so genannter – Sanierer. Der hat sich im Rahmen seiner Arbeit manch einen Feind gemacht. Hat einer dieser Feinde nun möglicherweise einer ausgesprochenen Drohung Taten folgen lassen?
Das ist möglich. Allerdings kann Helen Dorn nicht von dem Fall der Sanitäterin lassen, der sie emotional belastet. So kommt sie an ein Überwachungsvideo, auf dem niemand anderes als der tote Abiturient zu sehen ist. Michael war auf dem Volksfest zu der Zeit – als die Sanitäterin angegriffen worden ist.
Zufall?
Die Inszenierung des 14. «Helen Dorn»-Falles gönnt der Zuschauerschaft – zumindest temporär – einen Wissensvorsprung. Tatsächlich ist der tote Abiturient niemand anderes als der junge Mann aus der S-Bahn, dessen Verfolgung der Sanitäter Holger Krawitz aufgenommen hat. Doch hat der ihn auch erschlagen? Zunächst einmal deutet alles darauf hin, denn Krawitz erhält eine durchaus nachvollziehbare Hintergrundgeschichte. Der Sanitäter aus Überzeugung hat die Nase voll davon, ständig angepöbelt oder gar angespuckt zu werden. Als ehemaliger Soldat ist er außerdem jemand, der sicher auch einen gesunden, jungen Mann zu Boden ringen kann, wenn es notwendig ist. Dieser Sanitäter gibt sich nun die Schuld an dem Geschehen, denn er war nicht da, als seine Kollegin ins Koma geprügelt worden ist. Immer wieder richtet die Kamera ihren Fokus auf diesen Mann, der von Matthias Koeberlin als ein verlorener Idealist dargestellt wird, der seinen Beruf wirklich liebt und doch an ihm verzweifelt.
Das Thema Gewalt gegen Sanitäter wurde zuletzt bereits in dem Dresdner «Tatort» «Rettung so nah» filmisch aufgearbeitet. Wo im «Tatort» jedoch in erster Linie ein gesellschaftlich relevantes Thema mit dem Anspruch eines pädagogischen Erziehungsauftrages dröge und unspannend abgearbeitet worden ist, wird Krawitz' Verzweiflung tatsächlich spürbar. Dieser Mann leidet. Jedoch ist er kein passiv leidender Mann: in ihm brodelt eine tickende Zeitbombe, die bei Erschütterung explodieren kann. Was nicht bedeutet, dass sie bereits explodiert wäre, denn ja, er mag Michael verfolgt haben. Aber hat er ihn auch umgebracht?
Wendungsreich ist das Drehbuch von Mathias Schnelting und die Kriminalhandlung ist von Regisseur Marcus O. Rosenmüller adäquat und angenehm verschachtelt umgesetzt worden. Angenehm, da die Verschachtelung nie unübersichtlich wirkt. Darüber hinaus versteht die Regie am Ende durchaus an den Spannungsschrauben zu drehen und bietet - dank der Kameraarbeit von Ralph Kaechele – sehr wohl komponierte Bilder. Mit Kaechele, der 2012, man höre und staune, die Kamera einer Stop-Motion-«SpongeBob Schwammkopf»-Weihnachtsepisode geführt hat und immer wieder über den Tellerrand deutscher Bilderzeugung hinausschaut, hat die Serie einen Glückstreffer gelandet. Schon der letzte «Helen Dorn»-Spielfilm, sein Debüt als Kameramann im Rahmen dieser Reihe, überzeugte auf visueller Ebene. «Helen Dorn – Wer Gewalt sät» belegt, dass dies kein Zufall gewesen ist.
Ganz gelungen aber ist der Film leider nicht, wenn man ihn in einem Kontext mit dem letzten Fall, «Helen Dorn – Kleine Freiheit» betrachtet. Ein alter Fall verschlug die ansonsten in NRW agierende Ermittlerin gen Norden in die Freie und Hansestadt Hamburg. Hier lernte sie im Herbst 2020 ihre Kollegin Katharina Tempel kennen, die von Franziska Hartmann dargestellt wurde (und auch in diesem aktuellen Film dargestellt wird). In der Quotenmeter-Besprechung wurde seinerzeit gemutmaßt, dass mit der Ermittlerin Katharina Tempel eine neue Hauptfigur in die Serie eingeführt worden ist. So wurde der Figur der Katharina Tempel nicht nur eine umfangreiche Backstory mit einem neunjährigen Sohn und einem offenbar gewalttätigen Ex-Ehemann verpasst: ihr zur Seite wurde darüber hinaus ein vollständiges Ermittlerteam in die Story eingeführt. Ein recht umfangreiches Ensemble für einen einzelnen Trip nach Hamburg...
«Helen Dorn – Wer Gewalt sät» beweist nun die Richtigkeit der Annahme. Helen Dorns neues Einsatzgebiet ist Hamburg, Weyer hat sie begleitet und mit Katharina Tempel und ihrem Team steht bereits ein Ensemble bereit, das mit diesem Fall hauptamtlich seine televisionäre Ermittlungsarbeit aufnehmen kann. Doch leider gerät die Inszenierung hier etwas ins Schwimmen. Es ist offensichtlich, dass Helen Dorn nun in Hamburg ermittelt, um die Figur neu zu zeichnen. Etwas weicher zum Beispiel. Wenn sie etwa nach der höchst illegalen Beschaffung einer DNA-Probe Weyer bittet, diese auszuwerten und eben genau dieses eine Wörtchen benutzt, „Bitte“, ist Weyer verblüfft, denn „Bitte“ hat Dorn noch nie zu ihm gesagt. Auch die Alleingänge der Helen Dorn, für die die Hauptfigur seit dem Start der Serie 2014 bekannt ist, werden in diesem Film kritisch hinterfragt und es ist Katharina Tempel, die Helen zu verstehen gibt, dass Ermittlungsarbeit Teamarbeit ist. Die Art, wie Helen Dorn diese Kritik verarbeitet, ist überraschend: Sie nimmt sich der Kritik an. Ja, hier wird gerade eine Figur neu gezeichnet, um sie für die nächsten Jahre fit zu machen. Das ist löblich. Allein geht dies auf Kosten der anderen Figuren.
Wurde die Figur der Katharina Tempel in der letzten Episode als ruhige, freundliche Ermittlerin in die Serie eingeführt, als eine Frau, die über einen ausgeprägten Sinn für Humor verfügt und vor allem eine Ruhe mitbringt, die selbst eine Eigenbrötlerin wie Helen Dorn nachdenklich werden lässt, ist Katharina Tempel in diesem Film eigentlich nur eine Figur, die entweder ärgerlich oder sehr ärgerlich auf Helens Drang zum Solo-Trip reagieren darf. Dass Helen darauf durchaus empathisch reagiert, ist eine Sache. Dass keine weitere Entwicklung der Figur der Katharina Tempel stattfindet, ist jedoch mit Blick auf ihre Einführung irritierend. Agierte Darstellerin Franziska Hartmann in «Helen Dorn – Kleine Freiheit» auf Augenhöhe mit Hauptdarstellerin «Anna Loos», ist von dieser Gleichstellung in diesem Film nicht viel übrig geblieben. Diese Beobachtung wird Zuschauern, die der Reihe nicht regelmäßig folgen, wahrscheinlich kaum auffallen. Im Rahmen dieses Einzelfalles funktionieren die Figuren im Umfeld Helen Dorns als Stichwortgeber ohne Makel. Wer jedoch der Reihe folgt, wird diesen Makel zur Kenntnis nehmen.
Bleibt zu hoffen, dass der nächste Spielfilm der Reihe, «Die letzte Rettung», der erneut nach einem Drehbuch von Mathias Schnelting entsteht, diesen Makel ausräumt. Zumindest ein Momentum in diesem aktuellen Film, ein Fast-Zusammentreffen zwischen Katharina Tempel und ihrem Ex-Mann, ein Moment, der ohne weitere Erklärung für sich steht, lässt darauf schließen.
«Helen Dorn – Wer Gewalt sät» ist am Samstag, den 6. März 2021, im ZDF zu sehen.
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