Interview

Simon M. Schulz: ‚Drehbuchautor*in zu sein ist kein einsamer Job mehr‘

von

Die Kontrakt 18 Mitbegründer*innen Kristin Derfler, Annette Hess, Orkun Ertener und Volker A. Zahn sowie der K18-Hochschulsprecher Simon M. Schulz über bisherige Erfolge und zukünftige Herausforderungen der Drehbuchautor*innen-Initiative.

Was sind die Pläne von Kontrakt 18 für das Jahr 2021?
Kristin Derfler: Wir haben die letzten Monate genutzt, um nach diesen ersten zwei Jahren, in denen wir die Branche aufgemischt haben, Bilanz zu ziehen, uns breiter aufzustellen und neue Initiativen auszuhecken. Es gibt jetzt eine Kontrakt 18-Presseabteilung, unsere Ombudsstelle vernetzt K18-Autor*innen bei Vertrags-Problemen mit zwei renommierten Medienanwälten, die uns überdies auch in politischen Fragen beraten, und es haben sich überdies diverse Arbeitsgruppen gebildet, u. a. zu den Themen Regie, Serien, Berufsbild und Diversity.

Autoren sind häufig Einzelkämpfer. Wie sieht das bei Kontrakt 18 aus?
Annette Hess: Anfangs gab’s in unregelmäßigen Abständen Konferenzen in Köln, Hamburg und Berlin. Jetzt findet der direkte Erfahrungsaustausch über unsere internen Netzportale und über unseren inzwischen monatlich stattfindenden Digital-Stammtisch statt.

Orkun Ertener: Wir informieren uns auf diesen Plattformen gegenseitig und fortlaufend über unsere Erfahrungen mit Regie, Produktion und Sendern, positive wie negative. K18 funktioniert deshalb auch als vitale Wissens- und Erfahrungsbörse, und wir erleichtern uns auf diese Art gegenseitig die Entscheidung, ob wir mit bestimmten Partnern zusammenarbeiten wollen, oder nicht. Das ist gelebte Solidarität, um die uns viele Menschen in der Branche beneiden.

Wie ist die Bilanz nach gut zwei Jahren Kontrakt 18?
Volker A. Zahn: Sehr vieles hat sich zum Positiven verändert. Autor*innen in Deutschland wird jetzt deutlich mehr Wertschätzung entgegengebracht als in den Jahren vor unserer Gründung. Nicht umsonst nannte uns die Tageszeitung „Die Welt“ erst kürzlich „die wahrscheinlich erfolgreichste Aktionsgruppe, die es seit Jahrzehnten im deutschen Film gegeben hat.“ Man kommt an uns nicht mehr vorbei, und viele Mitstreiter*innen aus den Bereichen Produktion, Sender oder Regie, die anfangs geschockt oder verärgert waren, haben inzwischen erkannt, wie wertvoll es ist, sich unserer Expertise umfassend und auf Augenhöhe zu versichern. Und wie absurd es war – und stellenweise noch ist –, uns von Leseproben fernzuhalten oder ein Mitentscheidungsrecht bei der Regie-Besetzung zu verwehren.

Spätestens seit dem Fall Anika Decker vs. Till Schweiger ist öffentlich bekannt, dass es zwischen Regie und Autor*innen, aber auch zwischen Produktion und Schreibenden immer wieder auch zu schwerwiegenden Vertragsverletzungen kommt. Wo und wie sieht Kontrakt 18 die Chancen, den notwendigen Schulterschuss zu realisieren?
Volker A. Zahn: Wir müssen weiter Druck machen, dürfen bei Vertragsverhandlungen nicht einknicken oder uns mit „weichen“ Formulierungen und netten Absichtserklärungen zufriedengeben, und wir müssen offensiv das starke Signal in die Branche senden: Wenn ihr außergewöhnliche Inhalte von guten und motivierten Autor*innen haben wollt, müsst ihr mit uns auf Augenhöhe arbeiten. Ansonsten sehen wir keine Basis für eine fruchtbare Kooperation und suchen uns lieber andere Partner.

Simon M. Schulz: Ich erlebe täglich an der Filmhochschule, dass eine neue Generation von Regisseur*innen und auch Producer*innen heranwächst, die eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit Autor*innen sucht - um Geschichten zu finden, die noch nie erzählt wurden. Ich glaube, darin liegt eine große Chance für alle Seiten, den Markt in den kommenden Jahren aktiv gemeinsam zu gestalten. Denn dann können wir auch das tun, was wir alle wollen: Herausragende Geschichten erzählen.

Es gibt etwa 800 Drehbuchautor*innen in Deutschland, nicht mal die Hälfte kann vom Schreiben leben. Warum haben Kontrakt 18 „nur“ knapp 100 Autor*innen unterschrieben?
Annette Hess: Die Zahl der ERST-Unterzeichner*innen im Juni 2018 lag bei 96, eine schon damals unerwartet hohe Zahl. Mittlerweile habe fast 180 Autor*innen den Kontrakt 18 unterzeichnet, und sie gehen damit enorme Risiken ein: Sie stehen mit ihrem Namen für Anliegen, die leider vielen Menschen in der Branche noch immer ein Dorn im Auge sind und riskieren, bei bestimmten Projekten erst gar nicht in Betracht gezogen zu werden. Und dann gibt es auch jene Fälle, in denen eine Einigung im Sinne von K18 nicht zustande kommt und Autor*innen von einem Projekt zurücktreten oder es platzen lassen. Es ist absolut verständlich und nachvollziehbar, dass sich diesen Gefahren und Risiken nicht jede(r) aussetzen will.

Warum sollten auch junge Autor*innen bei Kontrakt 18 unterschreiben?
Simon M. Schulz: Drehbuchautor*in zu sein ist kein einsamer Job an der Schreibmaschine mehr. Writers Rooms erfordern Kommunikations- und Führungsqualitäten. Wenn wir Showrunner*innen, Creative Producer und neue Perspektiven hervorbringen wollen, müssen wir uns vernetzen und solidarisch miteinander umgehen. Wir brauchen ein selbstbewusstes Netzwerk, in dem man sich gegenseitig den Rücken stärkt und hilft. Genau das ist Kontrakt 18 für junge Autor*innen.

Welche Ideen gibt es, um diese jungen Autor*innen bzw. die Berufsanfänger*innen ins Boot zu holen?
Simon M. Schulz: Erst Mal: Den einsamen Kampf gegen die Windmühlen weniger einsam machen. Die Filmhochschulen legen jungen Drehbuchautor*innen immer noch viele Steine und veraltete Lehrpläne in den Weg. Vernetzung und Weitergabe von Wissen und Erfahrung helfen schon viel. Ganz konkret sollen dafür zeitnah ein Mentoren-Programm zwischen K18-Autor*innen und Nachwuchs sowie ein Forum für die K18-Newcomer entstehen. Außerdem: Zur Berlinale gibt es ein sehr gut besuchtes Vernetzungstreffen - 2022 steht Nummer drei an.
Womit kämpfen Drehbuchautor*innen trotz Kontrakt 18 immer noch?
Kristin Derfler: Es gibt nach wie vor Widerstände, schwer nachvollziehbare Vorbehalte und Ängste. Beispielsweise, dass Autor*innen „zu stark“ werden könnten.

Was meint „zu stark“?
Kristin Derfler: Alle wollen „starke Geschichten“, das bedeutet aber eben auch, weniger schale Kompromisse machen zu müssen. Creator*innen einer Serie müssen die Hoheit über die gesamte Stoffentwicklung behalten dürfen. Und zwar deshalb, weil nur sie den Stoff wirklich kennen, durchdringen und beim Schreiben jedes Mal neu inhalieren, also permanent weiterentwickeln. Hier besteht immer noch ein eklatantes Missverhältnis zwischen denjenigen, die den Stoff bewerten und kritisieren, und denjenigen, die den Stoff tatsächlich entwickeln. Wenn diesbezüglich die Arbeitsprozesse klar definiert sind, dann herrscht auch mehr Einigkeit darüber, wie mit der jeweiligen Kritik umzugehen ist: Nämlich diese stets als Anregung und nicht als Dogma zu verstehen.

Orkun Ertener: Es ist auch nicht so, dass wir einen Zustand anstreben, in dem wir mit Zigarre im Mund beaufsichtigen, dass unsere kreativen Ergüsse von den Kolleg*Innen der anderen Gewerke eins zu eins umgesetzt werden. Kontrakt 18 bedeutet erhebliche Mehrarbeit für die Autorin, den Autor, die zusätzlich zum Schreiben geleistet werden muss, in vielen Fällen bereits geleistet wird, und die letztendlich dem – gemeinsamen – Ergebnis zugutekommt. Darum geht es im Kern, nicht um Machtspielchen.

Welchen Rat gibt Kontrakt 18 allen Kolleg*innen, um von ihren Auftraggebern mit Respekt und auf Augenhöhe behandelt zu werden?
Volker A. Zahn: Autor*innen werden geschätzt und vielleicht auch gefürchtet, wenn sie engagiert um das Optimum ringen, wenn sie sich mit Leidenschaft für ihre Vision und ihre Figuren ins Zeug legen, aber dabei auch offen sind für Ideen und Kritik von außen. Als Autor liebe ich den kreativen Austausch, die harte konstruktive Diskussion, aber für diesen Ritt brauche ich Partner, die sich an die Regeln halten und mich nicht bloß wie den Umsetzenden ihrer Ideen oder Geschmäcker behandeln. Deshalb ist es so wichtig, dass wir Autor*innen uns gegenseitig austauschen, und deshalb macht es auch soviel Sinn, im Vorfeld klare vertragliche Vereinbarungen – wie eben Kontrakt 18 – zu formulieren.

Simon M. Schulz: Was Kristin erwähnt, rate ich auch meinen Kommilitonen: Klare Linien ziehen und auch kommunizieren. Erwartungen, Ansprüche und Prozesse definieren und mitteilen - das sorgt auf beiden Seiten für Sicherheit und Professionalität. Und wenn es eine Grenzüberschreitung gibt, sollte man auch das klare „Nein“ parat haben können.

Der Markt explodiert, der Bedarf nach Content ist während der Pandemie gewachsen. Was bedeutet das für die Drehbuchautor*innen in Deutschland?
Kristin Derfler: Stimmt, es wurden nie zuvor so viele Filme und Serien konsumiert wie in 2020. Und die Erfinder*innen all dieser originären Stoffe sind immer öfter auch in Doppelfunktion tätig: Als Autor*in und „Creative Producer“ oder „Executive Producer“, so wie es in Skandinavien oder den angelsächsischen Ländern längst Standard ist. Auch diese Entwicklung ist zukunftsweisend für K18 und wird von uns initiativ begleitet. Wir sind noch lange nicht fertig!

Wie steht Kontrakt 18 zu den so genannten Leitlinien der Sender und Produktionsfirmen?
Orkun Ertener: Fast alle Autorinnen und Autoren in Deutschland haben von Kontrakt 18 profitiert, weil die großen Sender und Produktionsfirmen als Reaktion auf unsere Initiative so genannte Leitlinien formuliert haben, in denen sie – orientiert an unseren Grundforderungen – zumindest ihre Absicht erklären, den Drehbuchautor*innen zusätzliche Mitspracherechte einzuräumen. Das ist ein schöner Erfolg, der aber nun gegen K18 in Stellung gebracht wird: Die eher wolkig formulierten Leitlinien sollen nämlich verbindliche Vertragsklauseln, wie wir sie einfordern, ersetzen. Kontrakt 18 steht aber für vertraglich zugesicherte Augenhöhe, unseren Ansprüchen wird mit Absichtserklärungen nicht genügt. Es ist schön, dass wir vertrauen sollen und vertrauen können, aber – wenn wir es einmal umgekehrt betrachten – unseren Vertragspartner reicht es auch nicht, dass wir die Absicht bekunden, ein bestimmtes Werk zu einer bestimmten Zeit in einer bestimmten Qualität abzuliefern. Die wollen, und zwar mit Recht, eine rechtsverbindliche Unterschrift von uns.

Wie reagiert Kontrakt 18 auf diese Entwicklung?
Annette Hess: Wir haben die Sender-Leitlinien gerade von dem bekannten Münchner Medienanwalt Dr. Nikolaus Reber prüfen lassen. Der hat unsere Einschätzung bestätigt, dass die Richtlinien juristisch nicht bindend sind und als Vertragszusatz eher als nette Geste und dekorative Heißluft-Nummer zu verstehen sind. Daher werden wir eine Sonderreglung für Kontrakt-18-Unterzeichner*innen anstreben.

Welche Reaktionen erwartet Kontrakt 18 auf diese angestrebten Sonderregelungen von Seiten der Sender und Produktionen?
Orkun Ertener: Wir wissen ja durch die Rückmeldungen vieler Redakteur*innen, dass unsere Initiative in den Sendern durchaus geschätzt wird. Mit Kontrakt 18 können wir unsere Expertise umfassend einbringen, und das kommt unterm Strich den Sendern und der Qualität ihrer Programme zugute.

Wo muss noch nachgebessert werden?
Kristin Derfler: Ein weiteres Themenfeld, das wir dringend zusammen mit dem VDD beackern müssen, ist die Anpassung der Vergütungsregelungen an die neue Marktsituation. Zahllose Produktionen, die Autor*innen zum Beispiel für öffentlich-rechtliche Sender geschrieben haben, werden über Streaming-Portale vermarktet, ohne dass die Urheber beteiligt werden oder Einblick in Vertriebs-Details bekommen.

Volker A. Zahn: Außerdem muss dringend über Vergütungsregelungen für die neuen Berufsbilder der Autor*innen geredet werden. Unsere AG Serien erarbeitet hierzu gerade einen entsprechenden Definitions-Katalog, an dem sich zukünftige Vergütungsregelungen orientieren können.

Wie sieht es bei den Verhandlungen mit Netflix aus bezüglich der Gemeinsamen Vergütungsregelung (GVR)?
Annette Hess: Dieses Thema betrifft Kontrakt 18-Autor*innen ganz besonders. Deswegen haben wir uns in den letzten Monaten aktiv in die Verhandlungen zwischen Netflix und dem Verband Deutscher Drehbuchautoren über eine GVR eingemischt. Wir versuchen vor allem zu verhindern, dass Netflix seine enormen finanziellen Erfolge nur zu verschwindenden Bruchteilen mit den Autor*innen teilt, die für genau diese Erfolge verantwortlich sind. Hinzu kommt: Keiner der aktuellen Streaming-Sender zahlt VG-Wort-Anteile, obwohl die Abrufzahlen leichter zu ermitteln sind als Bibliotheksentleihen. Auch das wollen wir ändern.

Niemand kommt um das Corona-Thema herum. Viele Künstler*innen stehen vor dem beruflichen Aus. Welche Auswirkungen hat die Krise auf die Kontrakt 18 Unterzeichner*innen?
Volker A. Zahn: Es gab zu Beginn der Pandemie, als Dreharbeiten abgebrochen oder gar nicht erst gestartet wurden, natürlich die Befürchtung, dass unsere Geschichten und Bücher weniger nachgefragt werden. Aber zum Glück hat sich die Situation trotz steigernder Infektions-Zahlen einigermaßen beruhigt. Eine Entwicklung, die wir vor allem den Kolleginnen und Kollegen an den Sets verdanken, die stellenweise unter schwierigsten Bedingungen dafür sorgen, dass unsere Geschichten verfilmt werden können.

Annette Hess: Natürlich vermissen wir den direkten Kontakt zu unseren Mitstreiter*innen, es diskutiert und streitet sich einfach besser im analogen Rahmen. Aber da geht’s uns wie vielen Menschen in anderen Branchen auch, kein Grund für ein Spezial-Lamento.

Wie schätzt Kontrakt 18 die kommenden Monate ein, die vermutlich auch weiterhin von Corona geprägt sein werden?
Volker A. Zahn: Wir hoffen natürlich, dass dieser Spuk bald vorüber ist. All das, was uns vor der Pandemie auf die Nerven gegangen ist, wird sich danach paradiesisch anfühlen: Stundenlange Drehbuchbesprechungen in unwirtlichen Senderräumen mit labberigen Brötchen und lauwarmem Kaffee, Leseproben mit notorisch nörgelnden Schauspieler*innen, endlose und ermüdende Verhandlungen mit Leuten, die sich übellaunig über unsere anmaßenden Forderungen echauffieren… es wird uns eine Freude sein!

Orkun Ertener: Und vielleicht trauen sich auch mal ein paar Senderverantwortliche und Autorenkolleg*innen, an all die spannenden, schrägen, dramatischen, traurigen und komischen Geschichten, die diese Pandemie hervorgebracht hat. Es gibt viel zu erzählen, schreiben wir’s auf!

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