Die öffentlich-rechtlichen Medienanstalten haben bereits letztes Jahr medienträchtig in den Innovationsturbo geschaltet. Ende 2020 eröffnete beispielsweise das SWR X Lab. Im Innovationshub des Südwestrundfunks sollen digitale Produkte und Services erfunden werden und zum Ausbau der Marke beitragen. Doch was ist mit kleinen Medienhäuser, die sich keine Innovationsabteilung leisten können? Aktuell läuft das Media Company Fellowship - ein Förderprogramm, das sich explizit an kleinere Medienhäuser richtet. Die Bayerische Landeszentrale für neue Medien und die Staatskanzlei Bayern unterstützen die Macher:innen mit Fördergeldern. Lokale und regionale Medienhäuser können so auch ohne eigenes Lab ihre Innovationskompetenzen ausbauen. Wir sprachen mit den Macherinnen hinter dem Projekt über Innovationen in der Medienbranche und darüber, wo Deutschland noch Aufholbedarf hat.
Innovation, ein oft benutztes und sehr umfassendes Wort. Was bedeutet Innovation denn für euch?
Lina Timm: Für mich ist Innovation nicht nur die super disruptive Idee, die die ganze Branche auf den Kopf stellt, sondern auch das klug durchdachte neue Feature, das ein gutes Produkt genau den einen Dreh besser macht, den es gebraucht hat. Das wird leider oft übersehen. Eigentlich sind alle richtig großen Innovationen durch viele kleine Verbesserungen entstanden.
Anita Zielina: Innovation bedeutet für mich nicht einfach wild neue Dinge auszuprobieren, ohne Strategie dahinter. Manchmal wird Innovation missverstanden, als reine Kreativität und nicht als Prozess. Dabei muss man sich über zwei Dinge bewusst sein. Erstens: warum macht man etwas, also was ist die Strategie dahinter? Zweitens: welche Ziele verfolgt man, also was ist das ideale Ergebnis für das Medium bzw. das Unternehmen? Wenn diese beiden Dinge zusammenkommen, dann ist Innovation im besten Fall ein sich ständig neu erfinden. Um zum Beispiel, Geschäftsmodellen, die sich wandeln, oder Nutzungsverhalten, das sich ändert, etwas entgegenstellen zu können, und kontinuierlich als Medienunternehmen erfolgreich zu sein.
Warum ist Innovation eine Stellschraube für Medienunternehmen, die auch in der Zukunft relevant sein möchten?
Lina Timm: Die Welt und die Bedürfnisse der Nutzenden drehen sich weiter - wer überhaupt relevant bleiben möchte, muss da mitgehen. Wie groß schon die Diskrepanz zwischen den Bedürfnissen der Mediennutzenden ist und den Angeboten, die Medienhäuser aktuell bieten, sieht man an allen großen Playern im Markt: Netflix, Google News, Telegram-Gruppen. Sie alle bauen exzellente, nutzerfreundliche Produkte. Die Produkte aus klassischen Medienhäusern halten da aktuell nicht mit. Wollen Medienhäuser aber auch zukünftig Nutzer und Nutzerinnen haben, MÜSSEN sie mithalten.
Anita Zielina: Wir sind in einer Medienwelt in der sich vieles radikal ändert. Junge Zielgruppen nutzen klassische Medien weniger: Broadcast-Unternehmen oder Fernsehen wird von Streamingdiensten abgelöst oder ergänzt. Die Geschäftsmodelle ändern sich ebenfalls. Rein digital finanzierte Medienunternehmen haben es wahnsinnig schwer. Wir sehen einen Shift to Subscription oder zur Membership. Medienhäuser müssen sich überlegen, wie sie Geld an ihren Nutzern, also den Zuhörer und Zuhörerinnen, Zuschauer bzw. Zuschauerinnen oder den Leser und Leserinnen verdienen. Und die größer gesprochene Medienwelt, also Plattformen wie Facebook, Instagram, Whats App oder TikTok, konkurrieren mit der Aufmerksamkeit und dem Medienkonsum-Budget jedes Einzelnen. Wir haben also viele neue Player im Markt an denen sich Medien messen lassen müssen. All diesen Dingen kann man nur mit Innovation begegnen. Man muss sich ständig fragen: Was sind wir für unsere Kunden und wie können wir den Journalismus, den wir machen, mehr diesen veränderten Produkten anpassen?
Lina, im Media Lab Bayern siehst du alltäglich innovative Ansätze, zum Beispiel Anwendungen für Redaktionen, die mithilfe von künstlicher Intelligenz Arbeitsschritte erleichtern oder Ergebnisse aus Researches für kundenzentrierte Produkte. Die Ideen sind da, warum finden nur wenige ihren festen Platz in Medienhäusern?
Lina Timm: Viele Medienunternehmen haben gar nicht die richtigen Strukturen, um Innovation entweder selbst aufzubauen oder implementieren zu können. Für beides braucht es Freiräume zum Experimentieren und Testen. Experimente sind aber in der Kultur der Medienhäuser gar nicht angelegt. Mit einer Behauptung in einem journalistischen Artikel mit neuen Darstellungsformen zu experimentieren oder eine Recherche nur zur Hälfte online zu stellen, um zu testen wie das ankommt, ist grundsätzlich nicht zielführend - meistens sogar verheerend. Journalismus hat eine “Fertig!”-Kultur. Es wird nur publiziert, was fertig ist. Das verträgt sich überhaupt nicht mit moderner, digitaler Produktentwicklung und ist deshalb in den Häusern überhaupt nicht gelernt. Darin gehen die zarten Ideenpflänzchen regelmäßig ein.
Anita, du warst u.a. die erste weibliche stellvertretende Chefredakteurin beim Stern, Chefredakteurin bei der Neuen Zürcher Zeitung und bist nun an der Craig Newmark Graduate School of Journalism der City University New York (CUNY). Du hast also länderübergreifende Erfahrungswerte - ist die Umsetzung von Innovation ein internationales Problem?
Anita Zielina: Es ist eher ein internationales Thema als ein Problem. Wenn ich mit Angestellten des Wallstreet Journals oder der New York Times, in Deutschland mit Leuten von der Süddeutschen Zeitung oder dem Bayerischen Rundfunk, in Österreich mit Personen von der Standard oder in der Schweiz mit Kollegen bzw. Kolleginnen bei Ringier spreche - wir haben alle dieselben großen Fragen: Wie finanzieren wir uns in Zukunft? Wie bringen wir unseren Journalismus an den Mann und die Frau? Wie schaffen wir es jüngere, diversere Zielgruppen zu erreichen? Wie verändern wir Führungskultur und Unternehmenskultur? Deshalb machen wir bei uns in New York auch internationale Programme. Viele Teilnehmende haben dann das Aha-Erlebnis: Ich habe verstanden, dass wir alle dieselben Probleme haben - egal ob wir in Chile, Frankreich oder in Österreich sitzen.
Was können deutsche Medienunternehmen von anderen Ländern lernen?
Lina Timm: Die USA haben grundsätzlich eine andere Einstellung zu Entrepreneurship und Experimenten. Da tun sich die Unternehmen schon kulturell leichter als im sehr regulierten Deutschland. Das ist sicher etwas, was wir mal grundsätzlich lernen könnten. Und den Fokus auf eine gute User Experience zu legen. Das können Deutsche so gut wie gar nicht.
Anita Zielina: Es gibt vereinzelt in Deutschland extreme Vorreiterinnen und Vorreiter der Digitalisierung. Aber gerade wenn man sich die Großen in den USA ansieht, die Washington Post oder ähnliche, dann gibt es einige Trends, die schon sehr fortgeschritten sind. Einer davon ist mit Sicherheit das nutzerzentrierte oder auch produktzentrierte Arbeiten. Große Medienhäuser in den USA arbeiten mit Methoden, die den Konsumenten in den Mittelpunkt stellen. Schon ganz früh im Designprozess eines neues Angebots versuchen sie herauszufinden, was der Kunde bzw. die Kundin will und welche Bedürfnisse das Produkt bedienen kann. Das sehe ich in Deutschland oder Österreich in manchen Häusern, aber bei weitem nicht überall. Das führt auch dazu, dass in den USA die Medienunternehmen bereits etwas weiter sind, was das Thema digitale Erlöse angeht. Wir sehen, dass mit digitalen Abomodellen, Memberships, also Mitgliedschaftsmodellen, und innovativen Arten, Monetarisierung im Digitalen möglich ist.
Zusammen habt ihr nun ein Förderprogramm auf die Beine gestellt. Das Programm möchte Innovation dauerhaft im Unternehmen verankern. Dabei spielen die Aspekte Unternehmenskultur, Prozesse und Produkte eine Rolle. Warum diese drei Aspekte?
Anita Zielina: Das schwierige und spannende an Innovation und Transformation ist, dass es nicht ausreicht, einfach nur Geld in Technologie zu stecken. Man kann Millionen zum Beispiel in ein neues CMS stecken, wenn man sich allerdings nicht den Themen Kultur und Prozesse widmet, dann wird dieses Geld versanden. Aber genauso sehr, wenn man nur an der Kulturveränderung arbeitet, aber nicht an Struktur und Prozess rangeht und fragt: Wie arbeiten wir denn in unserem Newsroom? Oder wie arbeitet denn die Redaktion und der Verlag und das Produktteam interdisziplinär zusammen? Wie vermeiden wir Silos? Dann nützt halt auch der Wunsch nach Kulturveränderung und das Invest nichts. Das sind also drei Elemente, die man für notwendige Transformation braucht und keines davon ist optional.
Lina Timm: Wir haben mit dem Media Lab Bayern lange Zeit nur an dem Produkt-Aspekt gearbeitet und dachten, dass das Wissen über moderne Produktentwicklungsmethoden in den Häusern schlicht fehlt. Das tut es auch - aber das ist leider nicht alles. Die Projekte sind regelmäßig gescheitert, weil kein Prozess da war, wie es nach der Ideenphase mit ihnen weitergeht - und keine Kultur, in der dieser Prozess überhaupt einmal innovationsfördernd hätte aufgesetzt werden können. Die drei Aspekte einmal ganzheitlich anzugehen - und zwar auf Führungs- wie Mitarbeiterebene gleichermaßen, ergibt so viel Sinn!
Was genau ist mit Unternehmenskultur gemeint?
Lina Timm: Gute Frage, die Kultur eines Unternehmens umfasst so viel. Für mich ist dabei zentral: Welche Werte werden im Unternehmen gelebt und wie geht die Führung mit ihren Mitarbeitern um? Leadership ist ein zentrales Kulturthema, weil es viel vorlebt. Die Werte wiederum sind die Grundfeste, die so viel definieren. Ist das Reichweiten-Ziel wichtiger oder dass das Team aus einem Projekt etwas gelernt hat? Ist ein Experiment erlaubt oder ist Sicherheit im Ergebnis wichtiger?
Die Förderung richtet sich explizit an lokale und regionale Medienhäuser. Warum das?
Anita Zielina: Lokale und regionale Medienhäuser haben eigentlich eine unfassbar tolle Chance in diesem Transformationsprozess. Sie sind nämlich wirklich näher dran an ihrem Kunden, also auch physisch. Im besten Fall haben diese Medienhäuser also eine engere Beziehung und dementsprechend einen leichteren Zugang dazu den Kunden oder die Kundin zu überzeugen, ein Abo oder eine Mitgliedschaft abzuschließen. Gleichzeitig haben regionale und lokale Medienhäuser aber auch Herausforderungen. Wir bemerken, wie schwer es ist, Geschäftsmodelle der Zukunft zu entwickeln. Technologie- oder Innovationsstau sind hier zwei Begriff. Man hat versäumt, zu erarbeiten wie man junge Zielgruppen erreicht oder wie man sich digitalisiert. Wir sehen in diesem Programm die große Möglichkeit, regionalen Medienhäusern, Broadcastunternehmen, Verlagen, Radiosendern und so weiter dabei zu helfen, diesen Quantensprung zu machen. Dieses schwierige Jahr nach der Pandemie zu nutzen, um zu sagen: Jetzt stellen wir uns wirklich für die Zukunft auf.
Lina Timm: Gerade lokale und regionale Medienhäuser haben nicht die gleichen Ressourcen wie Unternehmen, die ein überregionales Verbreitungsgebiet haben. Sie trifft die Ambivalenz besonders hart: Die Printproduktion für die Verbreitung vor allem auch auf dem Land aufrecht erhalten und gleichzeitig digital vorangehen steht konträr zu strukturellen Herausforderungen - Stichwort: Netzausbau! Dabei ist die Digitalisierung so wichtig, um die jüngeren Zielgruppen zu erreichen. Außerdem sind lokale und regionale Medienhäuser der Kern der Medienvielfalt. Da ist es schon aus Gründen der Demokratieförderung wichtig, sie zu unterstützen.
Welche Kompetenzen außer Innovation werden für Medienhäuser in Zukunft entscheidend sein?
Lina Timm: Anpassungsfähigkeit. Wobei das für mich Innovation im Kern ist. Wenn meine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sich auf die unterschiedlichsten Anforderungen anpassen können und regelmäßig hinterfragen, ob das was sie tun so richtig ist oder es nicht noch besser ginge, dann überleben sie auch die nächsten 100 Jahre mühelos.
Anita Zielina: Eine weitere Sache, die immer wichtiger wird, ist Interdisziplinarität. Es wird immer weniger so sein, dass man sagt ich bin Journalist für Audio, Video oder Print. Es ist immer wichtiger zu verstehen, wie funktioniert Social Media, was ist in der Produktentwicklung wichtig oder was muss ich über Zahlungsbereitschaft meiner Konsumenten wissen. Als Führungskraft, Medienmanager:in oder Chefredakteur:in ist das bedeutend. Die klassische Art, wie Journalistenschulen bisher funktionieren ist anders: Du lernst wie du gut schreibst oder einen guten Video- bzw. Audiobeitrag machst, aber nicht notwendigerweise, dass du verstehst, wie die anderen Teile eines Medienunternehmens funktionieren. Dieses Verständnis ist aber essentiell.
Vielen Dank für das Interview!
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