Die Kritiker

«Heute stirbt hier Kainer»

von

Die hessische Provinz als Kulisse für einen deutschen Western? Martin Wuttke ist auf jeden Fall der Fremde, der in die kleine Gemeinde irgendwo im Nirgendwo kommt und dessen Anwesenheit alleine ausreicht, um eine Lawine ins Rollen zu bringen, welche dem Bestatter des Ortes viel Arbeit und den Zuschauern einen lakonisch-schwarzen Spaß beschert!

Stab

STAB:
DARSTELLER: Martin Wuttke, Britta Hammelstein, Justus von Dohnányi, Alexander Hörbe, Michele Cuciuffo, Jule Böwe, Bless Amada, Martin Feifel, David Grüttner
REGIE: Maria-Anna Westholzer
DREHBUCH: Maria-Anna Westholzer, Michael Proehl
KAMERA: Armin Dierolf
TON: Christian Mathias
MUSIK: Matti Rouse
BESETZUNG: Mathalie Mischel
Wuttke ist Ulrich Kainer. Kainer ist ein Mann mit einer dunklen Vergangenheit. Welche Art von Drecksarbeit er früher ausgeübt hat, bleibt im Verborgenen. Heute lebt er von einer kleinen Rente. Allein, in einem kleinen Apartment, ohne Familie. Bis zu dem Tag, an dem ihm sein Hausarzt offenbart, dass er ein todkranker Mann ist. Immer wieder verliert Kainer das Bewusstsein. Einfach so. Der Grund dafür sitzt in seinem Kopf und wird ihn irgendwann umbringen. Soweit aber will es der Mittfünfziger nicht kommen lassen. Er bestimmt, wann er geht. Über seine alten Verbindungen ist es für ihn leicht, an eine Waffe zu kommen. Er braucht nur eine Kugel. In der Stadt sterben will er jedoch nicht. Er wurde in einem Dorf geboren, das es heute nicht mehr gibt, da es einem Stausee weichen musste. Aber irgendwo dort draußen wird es einen Ort wie sein Heimatdorf geben. Also begibt er sich auf eine zufällige Zugfahrt und landet in einem kleinen Kaff namens Oberöhde irgendwie in Oberhessen.

Als er auf dem Weg ins Dorf einen seiner Ohnmachtsanfälle erlebt, verbringt er die Nacht unfreiwillig am Ufer eines Sees, wo ihn Marie entdeckt. Marie hat Ulrich bereits auf der Fahrt ins Dorf kennengelernt. Sie weinte, er gab ihr ein Taschentuch. Ohne sie nach dem Grund zu fragen. Irgendwann kennt er Maries Lebensgeschichte. Ihr Mann ist abgehauen. Sie ist nun eine alleinerziehende Mutter. Sie muss den kleinen Hof am Leben erhalten. Eigentlich will Kainer dies alles nicht wissen. Andererseits vermietet Marie ein Gästezimmer in ihrem Hof. Es gibt schlechtere Orte um von der Bildfläche abzutreten. Also nimmt er nicht nur ihr Angebot an, in ihrem Gästezimmer zu verbleiben. Sein Anzug ist durch die Nacht am Ufer lädiert, Ersatzkleidung hat er nicht – der Ballonseidetrainingsanzug ihres Ex-Mannes jedoch sollte ihm passen. Nur damit man ihn in diesem Aufzug gleich für einen Mafiakiller hält.

Im Dorf nämlich hat Dorf-Fürst Heinz Graber, unter anderem Besitzer des einzigen Supermarktes vor Ort, gerade durch einen miesen Trick verhindert, dass Cesare, der einzige Gastwirt weit und breit, am Dorfplatz, direkt neben dem Supermarkt, einen Bio-Markt eröffnen kann. In dem Moment, in dem Kainer das Gasthaus Cesares aufsucht und sich prompt das Gerücht verbreitet, der Kerl in dem hässlichen Ballonseidenanzug sei ein Mafiosi (da Cesare schließlich Italiener ist und die alle „was mit der Mafia“ haben), erkennt Cesare, dem dieses Gerücht nicht verborgen bleibt, seine Chance. Er bewirtet den Fremden mit einer derart auffälligen Freundlichkeit, dass diese auch wirklich niemanden verborgen bleibt. Dass Kainer darauf nicht gerade freundlich reagiert, beantwortet Cesare im Umkehrschluss mit devoter Unterwürfigkeit. Daher ist es bald kein Gerücht mehr, dass dieser Fremde definitiv ein Mafiakiller sein muss. Warum er ins Dorf gekommen ist? Um die Ehre eines Landsmannes zu verteidigen! Als dann tatsächlich die erste Leiche auf einem Hof gefunden wird – glaubt niemand, dass die Geschichte, die die dieser Leiche geführt hat, ganz anders gewesen ist als sie auf den ersten Blick aussehen mag.

«Heute stirbt hier Kainer» lebt ganz von Martin Wuttke und seiner Darstellung des Fremden. Ob dieser Kainer tatsächlich in seinem früheren Leben ein Killer gewesen ist, wird zwar nie endgültig beantwortet, es gibt allerdings auch keinen Grund, der daran echte Zweifel sät. Dass nun ausgerechnet der Killer für einen Killer gehalten wird, welcher dieser gar nicht sein will, ist denn auch die Grundprämisse, um die sich letztlich die gesamte Inszenierung dreht.

Die Inszenierung entscheidet sich in diesem Zusammenhang für eine durch und durch lakonische Darstellung der Hauptfigur. Egal, was um diesen Ulrich Kainer herum geschieht – der Mann bleibt cool. Hier und da deutet sich zwar an, dass er durchaus kurz davor steht durchzudrehen, aber der Mann hat eine Mission: Er will in Ruhe abtreten und daher – muss er ruhig bleiben. Dies ist seine letzte Reise und die lässt er sich von niemanden versauen. Was nicht einfach ist. Marie etwa hat sich in den geheimnisvollen Fremden verguckt und wenn dieser Ulrich Kainer ehrlich sein soll – findet er Marie ja auch sehr nett. Dieser Cesare wiederum mag ihn in Schwierigkeiten gebracht haben, ein übler Kerl aber ist er nicht. Dumm nur, dass eben an einem Punkt der Geschichte nun eine Leiche auf Kainers Konto geht (irgendwie zumindest), was wiederum einen Kommissar namens Decker ins Kaff lockt. Einen schmierigen Geier, dessen Abscheu fürs Dorfleben und seine Bewohner ihm direkt auf die Stirn tätowiert steht, was bedeutet, dass er nicht ganz freiwillig in dieser Gegend arbeitet. Dieser Polizist ist ein Mann, der sich definitiv kaufen lässt, wenn der Preis nur stimmt. Und dann ist da natürlich der Provinzfürst, der aufgeschreckt durch die Leiche eine Gruppe debiler Dorfnazis auf Kainer loslässt.

Um es auf den Punkt zu bringen: «Heute stirbt hier Kainer» macht richtig Bock. Über allem schwebt Martin Wuttke als wortkarger, vom Leben gezeichneter Killer, der sich für seinen letzten Gang den vermutlich falschesten Ort ausgesucht hat, den er auf der Landkarte finden konnte. Für das Drehbuch zeigt sich Michael Proehl verantwortlich, der 2014 bereits die Vorlage zu dem unfassbaren Shakespeare-Heroic-Bloodshed-«Tatort» «Aus Schmerz geboren» (hat und der auch in diesem Film seiner offensichtlichen Vorliebe für durchaus harte Action freien Lauf lässt. Denn hart ist «Heute stirbt hier Kainer» durchaus. Wenn Waffen zum Einsatz kommen, dann werden diese auch benutzt. Der Showdown von «Heute stirbt hier Kainer», der kann sich auf jeden Fall sehen lassen. Marie-Anna Westholzer heißt die Regisseurin (und Co-Autorin) dieses ARD-Spielfilmes, die gleichzeitig mit der Degeto-Produktion ihr Langfilmdebüt abliefert. Marie-Anna Westholzer ist auf jeden Fall ein Name, den man sich merken muss, denn die Regisseurin macht schlichtweg alles richtig. Sie zeigt zum Ende hin, dass sie Action inszenieren kann. Sie zeigt, dass sie Schauspieler führen kann. Vor allem aber beherrscht sie – Stille. Die besten Actionfilmregisseure sind in der Regel die, die echte Emotionen erzeugen können. Der Crashfaktor einen Actionfilmes basiert einzig und allein auf seinem Budget. Seine Emotionalität aber ist von dem Können der Person hinter der Kamera abhängig. Unabhängig von der Größe des zur Verfügung stehenden Etats.

«Heute stirbt hier Kainer» ist schwarz im Humor und hart, wenn es sein muss. Die Regisseurin jedoch verliert nie die Intention aus den Augen, die diesen Ulrich Kainer dazu veranlasst hat, diese Reise anzutreten. Und wenn sie daran erinnert, dann inszeniert sie Stille, in der die Kamera in Ruhe verweilt, in denen der Ton kaum mehr als ein Grundrauschen produziert. Dass die Regisseurin für ihr Langfilmdebüt ausgerechnet eine Art Western ausgesucht hat, erklärt sie wie folgt: „Anfang standen das Dorf und seine Gesetze: Jeder kennt jeden, Liebe vergeht, Hektar besteht, wir sind wir. Wenn man in die archaischen Grundstrukturen einer intakten Dorfgemeinschaft auf dem Land hineingeboren wurde, kennt man die Gesetze. Man hat der Kuh schon einmal auf den Arsch geschaut. Die Dorfgemeinschaft gibt dir Halt und zerreißt sich gleichzeitig das Maul über dich. Die Dorfwirtschaft ist das zweite Wohnzimmer, und man weiß Bescheid über jeden, der es betritt. Feste Strukturen, eigene Regeln und unglaublich viel Druck unterm Kessel, für den es einen von außen braucht, um ihn zu lösen. Und wenn er sich löst, sind wir im Wilden Westen. Dagegen steht Ulrich Kainer, ein Mann, der mit seiner Vergangenheit abgeschlossen hat und einfach nur seine gottverdammte Ruhe will. Dumm nur, wenn man die Rechnung dabei ohne einen Wirt und ein Dorf macht, das dir deinen Platz in seiner Mitte schon längst zugewiesen hat. Dem Dorf in dir entkommst du nie. Eine Dorfgemeinschaft wie diese und Figuren wie Ulrich Kainer sind vom Aussterben bedroht. Mit großem Bedauern. Deswegen gebührt ihnen auch ein fulminanter Abgesang, bei dem der Himmel voller Kugeln hängt.“

Fazit: Wenn es 2021 einen mit Gebührengeldern finanzierten Film gibt, den man im Ersten gesehen haben sollte, ist das «Heute stirbt hier Kainer».

Am Mittwoch, 21. April, 2015 Uhr im Ersten

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