Aufbau und Unterwerfung, Kooperation, Kompromisse und Kampf - so wird der neue Roman "Über Menschen" der Erfolgsautorin Juli Zeh beschrieben. In dem knapp 400 Seiten starken Werk der Gegenwartsliteratur kommen Menschen zu Wort, die sich innerhalb der Corona-Krise mehr mit sich beschäftigen müssen, als ihnen vielleicht lieb ist. Das Buch ist 2021 als Hardcover im Luchterhand Verlag erschienen und erobert direkt die gängigen Bestsellerlisten.
Im Fokus des Romans steht Dora, eine 36-jährige Marketing-Agentin aus Berlin, die sich einen Resthof auf dem Land gekauft hat - kurz, bevor Corona in den Mittelpunt gerückt ist. Sie lässt sich von Impulsen steuern - und genau so, wie sie sich verhält, verhält sich auch der sprachliche Stil des Romans. Ist sie gerade mit sich und ihrem Terrier im Reinen, fliegen die Sätze wie malerische Festungen über die Seiten. Hadert sie mit sich, dem Verlassen ihres Klimaschützer-Freundes und dem Rest der Welt, ist die Sprache abgehackt und düster.
Während der Leser mit Dora gemeinsam versucht, aus dem Resthof ein blühendes, charmantes Landhaus mit eigenem Gemüsegarten zu machen, eskalieren rundherum die Botschaften zum Lockdown, zu Infektionszahlen und Querdenkern. Dora kämpft inmitten dieser lebensbestimmenden Meldungen ihren eigenen Kampf mit sich selbst.
Sie rebelliert gegen alles: Den zugewachsenen Bauerngarten, die Meldungen aus der Großstadt, die Konventionen. Sie gibt sich dem dörflichen Männerangebot hin und beginnt, ihr Handy zur Nebensache zu machen. All dies geschieht, als habe sie keinen Einfluss darauf - Juli Zeh versteht es, Dora selbst fassungslos und fasziniert auf ihr eigenes Verhalten blicken zu lassen.
Doras Liaison mit einem ländlichen Nazi kommt für beide überraschend - und zeigt ihr einmal mehr, wie schwierig es ist, prinzipientreu zu sein, wenn man einsam ist und Social Distancing mehr als nur eine Schlagzeile im Netz.
"Über Menschen" ist eines der Bücher, bei denen der Leser bestürzt auf Verhaltensweisen blickt, die erklärbar sind, aber nicht charmant. Es ist kein moralischer Zeigefinger - im Gegenteil. Es ist ein moralischer Spiegel der Gesellschaft in einer Krisenzeit, die Stärken und Schwächen gleichermaßen hervorbringt. Das Buch zieht den Leser unmittelbar zwischen die Seiten, macht das Aufhören schwer und lässt nachdenklich zurück - mit dem Bewusstsein, ein Stück mehr über Menschen gelernt zu haben.
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