Stab
USA 2020/21SHORWUNNERIN: Sarah Lampert
MUSIK: Lili Hadn, Ben Bromfield
EXECUTIVE PRODUCERS: Debra J. Fisher, Sarah Lampert, Anya Adams, Jeff Tahler u.a.
PRODUCERIN: Claire Welland
KAMERA: Gavin Smith
DARSTELLER: Brianne Howey, Antonia Gentry, Diesel La Torraca, Jennifer Robertson, Felix Mallard, Sara Waisglass, Scott Porter, Raymond Ablack
EPISODEN: 10 (50 bis 58 min)
Es ist aber auch vor allem ein Ort, an dem die Familie endlich Normalität erleben kann. Georgia wurde mit 15 Mutter. Und es sind in den Jahren ihre Teenagerzeit einige Dinge geschehen, die sie daran gehindert haben, ein normales Leben führen zu können. Was alles geschah, das offenbart sich in Rückblicken. Irgendwann jedoch hat sich ihr Leben in halbwegs geordnete Bahnen bewegt, könnte man zumindest meinen. Bis der Tod ihres Mannes erneut eine Wunde gerissen hat. Eine Wunde, die nun in Wellsbuy verheilen soll. Für einen Neuanfang.
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Die kurze Inhaltsangabe lässt natürlich Erinnerungen an eine höchst erfolgreiche Serie der frühen 2000er vor dem geistigen Auge erscheinen: «Gilmore Girls». Die Ausgangssituation (Mutter, Anfang 30, etwas wild und „beziehungsgfordert“, lebt mit ihrer vernünftigen Teenager-Tochter in einer netten kleinen Stadt) wirkt erst einmal identisch. Nun hat sich das serielle Erzählen weiterentwickelt, allgemein werden Geschichten dramatischer, komplexer erzählt – folglich braucht es einen dramatischen Einstieg (den Tod des Stiefvaters) und es darf etwas kontroverser werden (Georgias bewusster Einsatz ihrer Äußerlichkeit). Fertig ist «Gilmore Girls 2.0».
Es ist gar nicht auszuschließen, dass dies tatsächlich der Gedanke gewesen ist, mit dem die Planungen an der Serie ihren Anfang genommen haben. Doch irgendwann auf dem Entwicklungsweg hat die Serie dann eine unerwartete Abzweigung genommen, denn schon am Ende des ersten Teils erfahren wir, die Zuschauerschaft, dass Georgia ihren Ehemann kunstvoll ermordet hat.
Warum?
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Vom Ton her wechseln sich Drama und – durchaus – schwarzer Humor ab. Das alles ist temporeich inszeniert. Was also gibt es an der Serie zu kritisieren, einer Serie, die, siehe Texteinstieg, ungemein erfolgreich für Netflix gelaufen ist?
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Das Problem ist nur, dass diese Traumata keine Singularität bleiben, Momente der Vergangenheit, die abgeschlossen sind und aus denen Georgia für die Gegenwart und Zukunft Erfahrungen gesammelt hat. Die Autorinnen und Autoren basteln eine Welt, in der ständig Gefahren für Frauen wie Georgia lauern. Wo Männer grundsätzlich nicht gut sind, wo Menschen wie Georgia, die mal von der Spur abgekommen sind, sich im Grunde ihr Leben lang dafür rechtfertigen müssen. Was bedeutet, dass, egal, was Georgia auch anstellt – eine Entschuldigung auf sie wartet. Um diesen Gedanken interpretatorisch auf die Spitze zu treiben: Georgia wird als ein Opfer dargestellt, das doch nur zurückschlägt, weil es kein Opfer mehr sein will - was dann auch ihr Morde entschuldigt.
Ja, Mehrzahl. Georgia hat nicht nur ihren Ehemann ermordet, sie wird im Laufe der ersten Staffel einen zweiten Mord begehen. Und es sind beides Morde, denn beide Taten sind wohl geplant, eiskalt ausgeführt und sie sind nicht notwendig (notwendig in einem literarischen, klassisch-dramaturgischen Sinne, der eine handelnde Figur in eine Enge treibt, aus der nur noch die ultimative Verteidigung einen Ausbruch ermöglichen kann). Nein, die Morde sind eigentlich die einfachsten Wege, sich ihrer Probleme zu entledigen.
Was bedeutet, … dass «Ginny & Georgia» in Wirklichkeit eine Serie über eine Teenagertochter und ihre Mördermutter ist? Nun, «Ginny & Georgia» ist schon etwas mehr, es ist ja auch eine Coming-of-Age-Serie bezüglich der Ginny. Aber ja, es ist auch die Geschichte einer Mörderin, die, wenn sie in der nächsten Staffel einen weiteren Mord begehen sollte, sogar als Serienkillerin bezeichnet werden darf. Was die Serie jedoch als eine Art Nebensächlichkeit betrachtet. Ja, Georgia neigt zu radikalen Problemlösungen, aber das muss man verstehen, sie hatte eine schwere Jugend.
Stellen wir mal einen Gedanken in den Raum und die Serie hieße «Ginny & George» und George wäre ein attraktiver George Clooney von 30 Jahren, der für seine Teenagerkinder einen Neustart plant, sich einer Bürgermeisterin andient und der seine Ehefrau umbringen würde (aus Gründen, die sogar im Laufe der Staffel erklärt würden): Wie käme solch eine Serie beim Publikum wohl an? Wohl nicht gut. Zumindest dann nicht, wenn der Ton der Serie der gleiche wäre wie der von
«Ginny & Georgia», also durchaus humorvoll, sarkastisch, immer wieder auch gemein. Es heißt nicht umsonst, dass der Ton die Musik macht. Eine Musik, die hier ziemlich quer spielt. Dass Georgia darüber hinaus eine fürchterliche Egoistin ist, die behauptet, für ihre Kinder zu handeln, in Wirklichkeit aber nur an sich denkt, selbst dann, wenn sie sich an sich klammert (die Betonung liegt auf „sich“)... Das sei nur am Rande erwähnt, da dies immerhin, der Spoiler darf sein, tatsächlich im Laufe der Spielzeit im Verhältnis von Ginny zu ihrer Mutter thematisiert wird. Dass die Autorinnen und Autoren dann aber – ohne einen nachvollziehbaren Grund – auch Ginny „eine mitgeben“, das ist wirklich unangenehm. Ginny nämlich bandelt bald mit einem netten Kleinstadtjungen an.
Das ist schön. Junge Liebe halt, ach ja.
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Ganz ehrlich: Es ist anzunehmen, dass die Macher/innen dieser Serie im Gespräch behaupten würden, «Ginny & Georgia» sei eine Serie über starke Frauen. Das ist sie aber nicht. Georgia ist vollkommen irre. Und Ginny wird demontiert, weil, weil, weil es halt so sein muss. Es muss nicht auf jede Frage eine Antwort geben.
Natürlich ist dies nur die erste Staffel einer Serie und das Ende deutet einen Bruch bezüglich der Figur der Georgia an. Möglich, dass sie in der zweiten Staffel sein darf, was sie in Wahrheit längst ist: Eine eiskalte, brutale, egomanische Mörderin. Während Ginny Entscheidungen treffen muss, die kein Teenager treffen sollte. Wenn das der Fall sein sollte, gilt es natürlich das Gesamtbild zu betrachten und diese Kritik wäre damit hinfällig. Wenn nicht – dann nicht.
«Ginny & Georgia» ist bei Netflix streambar.
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