Einmal im Jahr gibt es in den USA eine ganz besondere Nacht. In der Purge-Nacht dürfen alle Bürger ihren Aggressionen freien Lauf lassen. Von abends 19 Uhr bis zum nächsten Morgen 7 Uhr darf also geplündert, gefoltert und sogar gemordet werden, ohne strafrechtlich belangt zu werden. Damit will man die Kriminalitätsrate in den USA möglichst niedrig halten. Zum Glück ist das nur eine düstere Zukunftsvision, die sich James DeMonaco bereits 2013 für den im Jahre 2022 spielenden Horrorthriller «The Purge – Die Säuberung» ausgedacht hatte. Damals spielte noch Ethan Hawke die Hauptrolle eines Vaters, der sein Haus verbarrikadieren muss, um seine Familie zu schützen. Bei Herstellungskosten von gerade mal drei Millionen US-Dollar spielte «The Pruge» weltweit knapp 90 Millionen US-Dollar ein. Nach zwei Fortsetzungen und einem Prequel geht DeMonaco als Drehbuchautor und Schöpfer der «Purge»-Reihe nun den nächsten folgerichtigen Schritt. «The Forever Purge» spielt mit der Idee, was passieren würde, wenn ein reaktionärer Bevölkerungsanteil das Gesetz einer sowieso schon illiberalen Regierung endgültig in die eigene Hand nehmen würde. Der Film spielt zwar im Zukunftsjahr 2048, aber Erinnerungen an die Erstürmung des Kapitols in Washington am 6. Januar 2021 werden wach.
Anarchie auf ewig
Seit die ‚Neuen Gründerväter Amerikas‘ in den USA die Macht an sich gerissen haben, hat sich die alljährlich ausgerufene Purge-Nacht bewährt. Die einen gehen in dieser Nacht schwerbewaffnet auf die Straße, um sich ‚auszutoben‘, die anderen verstecken sich in technisch hochgesicherten Häusern oder suchen Schutz in versteckten Bunkern. Erst kürzlich sind Adela (Ana de la Reguera) und ihr Ehemann Juan (Tenoch Huerta) aus Mexiko vor dem Drogenkartell geflohen, um in den USA ein neues Zuhause zu finden. Überall begegnet ihnen Hass und Rassismus, besonders Juan kriegt das als Hilfsarbeiter auf der Ranch von Dylan Tucker (Josh Lucas) vom eigenen Boss zu spüren. In der Purge-Nacht wären Adela und Juan also willkommene Opfer für rechtsradikale Meuchler. Aber sie können sich im Verborgenen halten und hoffen nach der offiziellen Beendigung der Purge-Nacht wieder auf ein ‚normales‘ Leben. Doch eine besonders hartnäckige Gruppierung ruft die ‚Forver Purge‘ aus. Sie denken: Warum nur eine Nacht, wenn man das Land permanent vom ‚Gesindel‘ säubern kann?
Was wäre, wenn…
Der fünfte Teil der «Purge»-Filmreihe ist eine Dystopie, wie man sie sich für die Zukunft nicht wünschen möchte, und doch ist «The Forever Purge» bereits die Überspitzung gegenwärtiger Strömungen, wie sie gerade fast überall auf der Welt erkennbar sind. Der Film bleibt aber in den USA und wurde bereits ein Jahr nach der Wahl von Donald Trump zum 45. US-Präsidenten konzipiert. Dass die beiden Hauptcharaktere aus Mexiko stammen, dürfte also vor dem Hintergrund, dass Trump eine Mauer zum Nachbarsland zur Lösung des Migrantenproblems errichten wollte, also kein Zufall sein. Vorausschauend nahmen der aus New York stammende Drehbuchautor James DeMonaco und der mexikanische Regisseur Everardo Gout auch den Anstieg von Populismus und Rechtsextremismus in die Geschichte auf. Aber sie konnten nicht ahnen, dass die Realität ihre Filmfiktion noch vor dem verschobenen Kinostart (ursprünglich sollte «The Forever Purge» im Juli 2020 starten) einholen würde. Schon als Donald Trump in einem TV-Duell mit Joe Biden einen Appell an die rechtextremistische Gruppe der ‚Proud Boys‘ richtete, wurde einem mulmig zumute. Als am 6. Januar 2021 durch die Anstachelung von Trump das Kapitol erstürmt wurde und damit die Staatsgewalt ausgehebelt wurde, ergab das ein erschreckendes Bild und erinnert jetzt an das, was in «The Forever Purge» passiert: Der Mob ist nicht mehr kontrollierbar, es herrscht Anarchie. Was wäre, wenn der Aufstand Erfolg gehabt hätte und Donald Trump weiterhin regieren würde. Man möchte es sich nicht ausmalen.
Der Ursprung allen Übels
In letzter Konsequenz ist «The Forever Purge» aber dann doch nur ein Thriller, der unterhalten will und die dafür erforderlichen Actionsequenzen liefert: Verfolgungsjagden, Explosionen und vor allem Schießereien, womit man eigentlich auch die Waffenvernarrtheit vieler Amerikaner anprangern sollte - vielleicht sogar der Ursprung allen Übels und Ideengeber für Filme wie «The Purge» samt Fortsetzungen. Trotz seiner Gesellschaftskritik hat man nicht das Gefühl, dass sich der fünfte Teil dazu positionieren will. Letztendlich müssen sich hier auch jene aufrüsten, die angegriffen werden, um sich verteidigen zu können. Somit werden schließlich alle zu Gewalttätern. In der Zukunft herrschen also wieder Zustände wie einst im Wilden Westen. Das Recht als Selbstverteidigung wurde nun mal vor mehr als 200 Jahren im 2. Zusatzartikel der US-Verfassung verankert – leider.
Fazit: In «The Forever Purge» wird ein noch düsteres Zukunftsbild gemalt, und doch spiegelt der Film mehr die momentane Stimmungslage in den USA. Ein gespaltenes Land – auf der einen Seite die Radikalen, auf der anderen die Liberalen. Daraus entspinnt sich ein blutiges Horrorszenarium mit gesellschaftskritischem Unterton.
«The Forever Purge» ist im Kino zu sehen.
Es gibt 2 Kommentare zum Artikel
01.09.2021 11:50 Uhr 1
09.09.2021 08:52 Uhr 2