Guten Tag, Herr Arens, vielen Dank für Ihre Zeit zum Interview. Sie bauen derzeit bekannte Marken wie «Terra X» oder «37°» im digitalen Bereich massiv aus. Im April ging beispielsweise der «Terra X»-Podcast an den Start. Betrachten Sie solche Formate als Ergänzung zum linearen Programm und sollen sie auf eigenen Beinen stehen?
Wir befinden uns derzeit in einer digitalen Revolution, in der sich die Balance zwischen linearen und non-linearen Angeboten erheblich verändert, selbstredend zugunsten der Web-Präsenz. Wir konzipieren unsere Programme inzwischen ganzheitlich, übergreifend, wobei die althergebrachte Priorität des Linearen immer weiter in den Hintergrund rückt. So bedeutende Marken wie «Terra X» oder «37°» kann man schon lange nicht mehr als reine TV-Produkte begreifen. Um jüngere Publika zu erreichen, platzieren wir unsere Inhalte auf den wichtigsten Digitalplattformen. Für jeden Kanal denken wir sie plattform- und zielgruppengerecht immer wieder neu. In diesem Sinne haben wir in den letzten 10 Jahren Social-Media-Angebote für «Terra X» bzw. «37°» auf Facebook, Instagram und YouTube entwickelt – und jetzt auch Podcasts. Die Inhalte sind um ihrer selbst willen interessant und können so selbstverständlich auf eigenen Beinen stehen. Allerdings entspringen sie nicht im luftleeren Raum, sondern immer im «Terra X»- bzw. «37°»-Kontext. Gleichzeitig sind die Kanäle untereinander vernetzt und weisen den User*innen auch den Weg zu den dokumentarischen Schätzen in unserer ZDF-Mediathek.
Über den Podcast sagten Sie, dass Sie gelernt hätten, Inhalte kürzer, aber mit derselben Sorgfalt herzustellen und zu publizieren. Besteht da aber nicht die Gefahr der Verknappung? Eine gute Dokumentation zeichnet sich ja nicht durch Kürze, sondern durch Vollständigkeit der Informationen aus.
Der «Terra X»-Podcast ist mitnichten eine Verknappung. Tatsächlich nehmen wir uns hier sogar noch mehr Zeit als in der Fernsehsendung «Terra X». Wenn ein Gespräch spannend ist, darf die Podcast-Folge auch gerne eine komplette Stunde oder mehr in Anspruch nehmen. Unser Moderator Dirk Steffens hat große Freude am wissenschaftlichen Diskurs mit hochkompetenten Gesprächspartner*innen. Übrigens ist in Sachen Podcast bereits unser nächstes Boot auf dem Wasser. Mirko Drotschmann, im Netz bekannt als «MrWissen2Go», wird ab Mitte September vierzehntägig, alternierend zu Dirk Steffens, einen Geschichtspodcast gestalten. Thema ist hier stets die Herleitung eines aktuellen gesellschaftlichen Phänomens oder Problems aus der Historie. „Bildungskrise“ oder „Müllentsorgung“ – alles Dinge, die es auch früher schon gegeben hat. Mirko Drotschmann spricht mit Historiker*innen und Expert*innen darüber, wie die damaligen Menschen damit umgingen und welche Lösungen gefunden wurden. Oder eben auch nicht. Kurze, spannende Informationshappen, die bereiten wir in unseren Social- Media-Kanälen wie Instagram und Facebook auf, das ist oft „snackable Content“. Sie sind ein Wert für sich, der User*innen aber auch für weiterführende Information gewinnen kann. Meine Aussage, dass ich gelernt habe, Inhalte kürzer, aber mit derselben Sorgfalt herzustellen und zu publizieren, hat sich auf diese Art der Distribution bezogen. Sie sehen also, dass wissenschaftliche Inhalte bei uns genau die Länge bekommen, derer sie bedürfen – ob Sekunden, Minuten oder Stunden.
Wie hat sich Ihr Informations-Konsum in den letzten Jahren verändert? Greifen Sie mittlerweile auch verstärkt auf Kurzinhalte zurück, um sich auf den neuesten Stand zu bringen?
Das hängt ganz von meinem täglichen Terminplan ab. Oft gibt es gar nicht die Wahl, längere Artikel sofort zu lesen, weil die Zeit dafür in diesem Moment nicht da ist. Dann bin ich für kompetente Kurzinformationen sehr dankbar. Mit drei Kindern im Haus habe ich in den letzten Jahren mitbekommen, wie wichtig die neuen Distributionswege auch für wissenschaftliche Inhalte sind, gerade bei jüngeren Generationen. Offen gestanden liebe ich jeden Morgen die überregionalen Zeitungen FAZ und Süddeutsche, weil bei mir die analytische Kraft des geschriebenen Wortes immer noch verfängt. Daneben stehen Reportagen und Dokus im TV, weil das Leben da draußen unmittelbar vor die Kamera gebracht werden kann, für mich eine unverzichtbare Erkenntnisquelle.
Das ZDF-Programm wird von Krimi-Reihen und Nachrichten dominiert. Würden Sie sich wünschen, dass mehr Dokus und Wissensformate ausgestrahlt werden, wie beispielsweise am Vorabend?
Da fragen Sie natürlich genau den Richtigen. Nennen Sie mir mal einen Doku-Redakteur, der nicht gern wollte, dass seine Programme noch prominenter platziert werden. Aber wir stehen mit unserer Hauptredaktion „Geschichte und Wissenschaft“ insgesamt sehr gut da, gerade auch im Vergleich zu anderen Sendern. Wir verfügten immer schon über wichtige zentrale Sendeplätze für unsere Inhalte, nie wurden mir Mittel gestrichen. Gerade «Terra X» konnte sich immer auf die Unterstützung der ZDF-Geschäftsleitung und der Gremien verlassen. Ein weiterer wichtiger Punkt: Sie betrachten hier ja ausschließlich das Hauptprogramm des ZDF. Tatsächlich haben wir mit 3sat, ZDFneo und ZDFinfo ja weitere Ausspielwege für wissenschaftliche Inhalte. Die Zuschauer*innen der ZDF- Senderfamilie haben größtenteils rund um die Uhr die Möglichkeit, Dokus und Wissensformate zu sehen. In der Mediathek ohnehin, denn beispielsweise unsere «Terra X»-Sendungen sind dort in aller Regel zehn Jahre abrufbar. Allein hier haben sie die Wahl zwischen hunderten spannender Sendungen zu jeder Tages- und Nachtzeit.
Schon im Februar wurde bekannt, dass Mai Thi Nguyen-Kim im Rahmen von «Terra X» eine Sendung moderieren wird und bei ZDFneo eine neue Show erhält. Können Sie darüber mittlerweile näheres berichten?
Sehr gern! Denn die Sendungen befinden sich bereits in Fertigstellung. Auf dem «Terra X»-Sendeplatz startet Dr. Mai Thi Nguyen-Kim mit der Reihe «Wunderwelt Chemie» am 9. Oktober um 19:30 Uhr. In drei Folgen präsentiert sie hier die Meilensteine der Geschichte von Alchemie und Chemie und entfaltet das wirklich faszinierende Universum der Moleküle und deren Reaktionen. Beim Stichwort Chemie haben viele womöglich eine Abwehrhaltung, die aus Schulzeiten übriggeblieben ist. Aber die Art und Weise, mit der Mai Thi Nguyen-Kim, selbst promovierte Chemikerin, die Dinge erklärt, ist so klar und gleichzeitig so spannend, dass wir uns diesen Sprung in eine auch für «Terra X» ganz neue Themenwelt mit Freude getrauen. Übrigens wird Humor nicht zu kurz kommen. Denn Mai Thi Nguyen-Kim trifft in den Sendungen die Großen der Chemiegeschichte, wie beispielsweise Justus von Liebig oder Antoine de Lavoisier. Und die spielt alle Comedian Michael Kessler, was uns Riesenspaß in die Produktion gebracht hat. Bei der ZDFneo Show «MAITHINK X – Die Show» nimmt sich Mai Thi Nguyen-Kim Themen vor, die in der Gesellschaft emotional aufgeladen diskutiert werden – und durchleuchtet sie faktenbasiert, auf unterhaltsame Art und Weise. Es wird eine Unterhaltungssendung für Fans kritischen Denkens werden, die sich gerne mal eine halbe Stunde mit einem monothematischen Stoff beschäftigen wollen, um ihn besser zu durchdringen. Auch um eigene Gewissheiten zu hinterfragen. Sie sehen schon an dem Titel der Show, dass es uns wichtig war, die große Wissenschaftsmarke «Terra X» mit der großen Wissenschaftskommunikatorin Dr. Mai Thi Nguyen-Kim zu verknüpfen. Die Inhalte der Show werden auch auf dem begleitenden Instagram-Kanal stattfinden und darüber hinaus Eingang in die anderen Ausspielwege der digitalen «Terra X»-Welt finden.
Warum ist das Thema Chemie gerade in der aktuellen Zeit besonders von Bedeutung?
Es war immer ein bedeutendes Thema. Denn was könnte wesentlicher sein als die Frage, woraus die Welt besteht und warum sie so funktioniert, wie sie funktioniert. Aber natürlich haben Sie Recht, dass die Kehrseite der angewandten Chemie, ich nenne hier der Einfachheit halber nur das plakativste Beispiel, nämlich die Plastikvermüllung der Welt, heute virulenter denn je ist. Aber die Reduzierung auf den Gegensatz „Chemie böse – Natur gut“ ist zu kurz gegriffen und nicht richtig. Alles in uns und um uns herum sind permanente chemische Reaktionen. Und die vom Menschen entwickelten Stoffe können zum Segen oder auch zum Fluch werden. Daher ist es umso wichtiger, das Wissen über die Wirkweisen einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln.
Die ZDFneo-Sendung «Maithink X» erinnert an Nguyen-Kims YouTube-Kanal «maiLab», auf dem sie ebenfalls monothematische Videos hochlädt. Was unterscheidet denn das TV-Format von den YouTube-Videos?
Mailab ist ein fantastisches YouTube-Format und ich bin seit langem ein Fan. Auch in «MAITHINK X – Die Show» wird es Dinge geben, die Zuschauer*innen bereits auf dem YouTube-Kanal von Mai Thi Nguyen-Kim bemerkenswert fanden, wie zum Beispiel die Konzentration auf ein Thema, das durch die wissenschaftliche Perspektive in einem neuen Licht erscheint. Doch die Fernsehsendung wird an vielen Stellen einen anderen Ansatz verfolgen. In «MAITHINK X» kann Mai Thi Nguyen-Kim direkt mit ihrem Publikum interagieren und dabei zeigen, welche stupende Qualität sie auch als Entertainerin hat. Die Show stellt sie wieder auf eine Bühne, vor ein Publikum, gibt ihr Gelegenheit, ihre Begeisterung für ihre Themen direkt an den Menschen zu bringen. In «MAITHINK X» können wir außerdem das Studio verlassen und über Reportagen, gespielte Szenen und Erklärstücke dreidimensionaler agieren. Nicht zuletzt erreichen wir über die lineare Ausstrahlung nochmal eine andere Klientel, als wir das über die Mediathek oder YouTube tun.
Wird Nguyen-Kim in Zukunft auf beiden Ausspielwegen Inhalte produzieren?
Wenn man eine so kluge und außergewöhnliche Persönlichkeit wie Mai Thi Nguyen-Kim ins Haus holt, dann wird sie selbstverständlich auch Formate und Inhalte prägen. Derzeit konzentrieren wir uns vor allem auf die Entwicklung ihrer Show bei ZDFneo und ihre Mitwirkung an dem «Terra X»-Dreiteiler «Wunderwelt Chemie». Zugleich wird sie künftig auf unseren «Terra X»-Digitalkanälen eine große Rolle spielen. Auch in der «Terra X-Show» wird sie auftreten, neben Harald Lesch und Dirk Steffens.
Aktuell dreht das ZDF das Dokudrama «Kaiserspiel» über die Reichsgründung 1871. Im kommenden Jahr jährt sich Friedrich I. Barbarossas Geburtstag zum 900. Mal. Ist ein ähnliches Projekt auch über ihn geplant?
Nein, da haben wir keine Ambitionen. Die Reichsgründung von 1871 war eine einschneidende Zäsur der deutschen und europäischen Geschichte, die bis heute nachwirkt. Das zeigt sich auch in der aktuellen Debatte darüber, wie fortschrittlich oder restaurativ sich das erste geeinte Deutschland entwickelte, gerade auch mit Blick auf die Verwerfungen des 20. Jahrhunderts. Die Staufer haben wir ausführlich in unserer überaus erfolgreichen Reihe «Die Deutschen» behandelt. Ihnen nochmals ein eigenes Dokudrama zu widmen, erscheint mir im Vergleich zu anderen Themen derzeit nicht vordringlich.
Wird es nach der Einführung von Mai Thi Nguyen-Kim bei «Terra X» noch andere Veränderungen bei den ZDF-Wissenschaftsformaten geben?
Neue Formate sind stets spannend, aber genauso reizvoll ist es, die bestehenden Erfolgsmarken immer wieder zu variieren und zu modernisieren. Vor allem mit unseren diversen Angeboten im Netz versuchen wir unsere Zielgruppen umfangreich zu erweitern. Vor wenigen Wochen haben wir zum Beispiel mit «Terra Xplore» ein neues Wissensformat mit der Biologin Jasmina Neudecker begonnen, das sich vorwiegend an junge Frauen richten soll. Es erscheint wöchentlich in der ZDF-Mediathek und auf YouTube, präsentiert Wissen und Wissenschaft in einer frischen erlebnishaften Erzählweise. Bei «Terra Xplore» geht es eher um die Suche nach Wahrheiten als um in Stein gemeißelte Allwissenheit, für dieses Format ein sehr interessanter journalistischer Ansatz.
Vielen Dank für das Gespräch!.
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