Die Kritiker

«Polizeiruf 110 - Bis Mitternacht»

von

Verena Altenberger ist sicher: Der Täter sitzt vor ihr. Doch sie hat nur noch eineinhalb Stunden, um ihn zu einem Geständnis zu bewegen. Die Uhr tickt, und die Spannung wird bald enorm.

Stab

Darsteller: Verena Altenberger, Michael Roll, Thomas Schubert, Daniel Christensen, Robert Sigl, Thomas Wittmann
Kamera: Hendrik A. Kley
Buch: Tobias Kniebe
Regie: Dominik Graf
Um Mitternacht läuft die Zeit ab. Dann muss der eigenbrötlerische, aber hochintelligente Physikstudent Jonas Borutta (Thomas Schubert) wieder auf freien Fuß gesetzt werden, sofern er bis dahin nicht gestanden hat – den Mord an einer Joggerin vor ein paar Jahren und die gefährliche Körperverletzung an einer Kommilitonin vor wenigen Wochen. Denn mit der dünnen Indizienlage wird ihn die Münchener Polizei kaum in U-Haft stecken können – und trotzdem sind Kommissarin Elisabeth von Eykhoff (Verena Altenberger) und das eilig herbeigerufene alte Schlachtross Kommissar Josef Murnauer (Michael Roll), der Borutta schon vor Jahren in die Mangel genommen hat, restlos überzeugt, dass der Schuldige vor ihnen sitzt.

Wobei „in die Mangel nehmen“ in diesem Film anders aussieht als in den meisten Fernsehkrimis, wo Polizisten die ungeständigen Täter anbrüllen und bisweilen ohrfeigen, bis die endlich mit der Sprache rausrücken. Damit kämen Murnauer, von Eykhoff und ihr Team bei diesem jungen Mann auch nicht weit. „Der geilt sich doch auf an seinen Schachtelsätzen“, lautet das Fazit der beobachtenden Kollegen, und ständig nimmt der ohnehin nervöse, aber gefasste Verdächtige Beruhigungstabletten ein, weil er sich ohnehin schlecht konzentrieren könne in seinem Leben.

Es folgt die irrste Vernehmung, die alle Beteiligten je erlebt haben – der Zuschauer eingeschlossen, dabei läuft sie doch meist in geordneten Bahnen ab. Aber die gekonnte Regiearbeit von Dominik Graf lässt uns keine Ruhe, sie nimmt uns mit in den Verstand dieses sonderbaren, aber trotz seiner Verbrechen nicht unsympathischen, dieses gequälten jungen Mannes, der eben nicht nur aus seelischen Abgründen besteht, sondern in erster Linie Mensch ist.

Und durchwegs fällt auf, dass „Bis Mitternacht“ genau das richtig macht, was andere Filme falsch machen: Als ein Polizist auf einmal übergriffig wird, folgt umgehend sein Karriereende anstatt irgendwelcher beschönigenden Ausflüchte, und die Tatsache, dass der junge Mann in wohlüberlegten, wohlklingenden Schachtelsätzen spricht, wird nicht zum Anpfiff für ein Katz-und-Maus-Spiel, in dem er allerorten seine Überlegenheit zur Schau stellt, sondern bleibt seine – wenn auch die Polizisten nervende – Eigenart.

Vielleicht haben sich Autor Tobias Kniebe und Regisseur Dominik Graf irgendwann zu sehr in ihr Ende verliebt und dabei übersehen, dass es diese eigenmächtige Wirkung dann doch ein bisschen beschädigt, dass es zu spielverliebt geraten ist, um am Schluss doch noch die Kurve ins Konventionelle zu nehmen, damit am Ende ein Ergebnis steht, das in der Welt von «Tatort» und «Polizeiruf» eben doch irgendwie stehen muss: „Der kommt nie wieder raus“, wofür die psychologische Stringenz der Hauptfigur am Ende doch ein paar Schnitzer bekommt.

Trotzdem: Dieser Film ist ganz anders als fast alle anderen, die ansonsten sonntagabends auf diesem Sendeplatz zu sehen sind. Er ist ein kleines Kunstwerk, mit eindringlichen Performances (Verena Altenberger! Michael Roll! Und ganz besonders Thomas Schubert!), einer ergreifenden Handlung in reduzierter Umgebung und einem konsequenten, packenden Spannungsaufbau.

Das Erste zeigt «Polizeiruf 110 – Bis Mitternacht» am Sonntag, den 5. September um 20.15 Uhr.

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