Clickbait – so nennen wir im Allgemeinen diese unsäglichen Texte, die zumindest faktisch unter Vorspiegelung falscher oder irreführender Tatsachen den User bewegen wollen, unbedingt den Artikel anzuklicken: „So halbierst du deine Steuerlast. Bei Punkt 7 musste ich weinen“. „Du wirst nie glauben, wie Britney Spears heute aussieht“. „Endlich auf Video: Angela Merkel erhält Briefing von Satan zur Durchseuchung der deutschen Bevölkerung mit mRNA-Impfstoffen“.
Dass es noch schlimmer kommen kann als mit dieser verlogenen Buzzfeedisierung des Nachrichtenmarktes, mit reißerischen Titeln und wenig wahrhaften Teaser-Texten zeigt eine neue australisch-amerikanische Thriller-Serie, die Ende August ihren Weg zu Netflix gefunden hat und schon im Titel deutlich macht, mit welchem Phänomen sie sich beschäftigen will: „Clickbait“.
Gleichzeitig will dieses Format auch auf seiner inhaltlichen Ebene deutlich machen, dass es durchaus bereit ist, das Clickbait-ähnliche Strickmuster des „Höher, schneller, weiter“ genauso in seinem Handlungskonstrukt mit Leben zu füllen. Denn die Krankenschwester Pia (Zoe Kazan) geht eigentlich gerade nur ihrer Arbeit nach und legt einem lange bekannten Patienten eine Infusion, als der ihr auf seinem Tablet eine merkwürdige Seite zeigt: Dort ist Pias Bruder zu sehen und sofort als Geisel zu erkennen. Er muss ein Schild hochhalten, auf dem mit Filzstift geschrieben steht: Wenn dieser Stream fünf Millionen Views erreicht, wird er umgebracht.
In den nächsten Stunden steigen die Zuschauerzahlen natürlich, und steigen und steigen. Durch neue Schilder, die die Geisel hochhalten muss, wird auch langsam klar, wie dieser Mann in diese Situation geraten ist: Er soll Frauen misshandelt haben und dafür nun seiner gerechten Strafe zugeführt werden: der Hinrichtung, wenn sich nur genügend Zuschauer finden, die dem Spektakel beiwohnen wollen – und das dürfte schließlich die leichteste Übung des Internets sein.
Damit geht «Clickbait» einen ziemlich gewagten Weg: Einerseits hält uns diese Serie als Gesellschaft den Spiegel vor, indem sie uns zeigt, was hinter der nächsten Ecke lauern könnte: Denn wenn wir all den Promi-Exzessen und Leserreporter-Dauerbeschallungen live und in Farbe nur zu gerne beiwohnen und uns vor einigen Jahren teilweise auch angesehen haben, wie der Islamische Staat im Wege eines Informationskriegs brutalste Bilder produziert und dafür seinen Gefangenen vor laufender Kamera die Köpfe abgeschlagen hat, könnte eine Live-Hinrichtung, an der die Zuschauer durch ihre bloße Anwesenheit als Streamer noch dazu direkt beitragen, nicht mehr allzu weit entfernt sein.
Gleichzeitig aber bedient «Clickbait» schonungslos und ziemlich billig jedes Merkmal, das es hier eigentlich kritisiert – wo man sich dann fragen muss, wie mutig und tiefsinnig diese Serie dann wirklich ist, wenn sie im Grunde genommen genau von den Schockmomenten lebt, die sie eigentlich vorführt und ablehnt.
Die Serie «Clickbait» ist bei Netflix zu sehen.
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