Stab
DARSTELER: Klaus J. Behrendt, Dietmar Bär, Roland Riebeling, Joe Bausch, Tinka Fürst, Juliane Köhler, Sahin Erylmaz, Tesha Moon Krieg, Picco von Groote, Torben Liebrecht, Neshe DemirREGIE: Jan Martin Scharf
DREHBUCH: Arne Nolting, Jan Martin Scharf
PRODUKTION: Jan Kruse
MUSIK: Ali N. Askin
KAMERA: Felix Novo de Oliveira
SCHNITT: Ulrike Leipold
Eine Produktion der Bavaria Fiction
Susanne Elvan heißt die Frau, die an einem Abend auf dem Weg zur Arbeit ermordet wird. Der Täter hat weder versucht sie zu vergewaltigen, noch deutet etwas auf einen Überfall hin, der möglicherweise aus dem Ruder gelaufen ist. Susanne Elvan ging einem normalen Beruf nach, hatte keine Verbindung in irgendwelche dunklen Milieus. Sie war das, was man allgemein eine ganz normale Person nennt.
Allerdings gibt es dann doch ein Momentum in ihrem Leben, das die Kommissare aufhorchen lässt. Und das ist der Ehemann. Tarek Elvan ist ein mehrfach vorbestrafter Gewaltverbrecher, der für seine Taten viele Jahre im Gefängnis gesessen hat. Kennengelernt haben sich die beiden über ein Brieffreundschafts-Portal, das Gefängnisinsassen mit Menschen von außerhalb der Gefängnismauern zusammenführt.
Da Tarek und Susanne am Tag vor ihrer Ermordung Streit hatten, schießen sich die Kommissare schnell auf den ehemaligen Straftäter ein. Dazu passt, dass Susannes 14 Jahre alte Tochter Mia Tarek als impulsiv beschreibt. Damit ist alles klar. Der Gewaltverbrecher hat seine Aggressionen nicht unter Kontrolle bekommen und seine Frau umgebracht.
Interessant ist zu beobachten, wie Ballauf und Schenk, obwohl ansonsten sehr besonnen agierende Ermittler, sich schwer damit tun jene Indizien in ihre Ermittlungen einfließen zu lassen, die Tarek entlasten. Da ist etwa Susannes Ex-Mann, ein IT-Spezialist, der offenbar während ihrer Ehe immer wieder gewalttätig gegenüber seiner Ehefrau geworden ist. Ein Mann, der zum Stalking neigt und dem daher Angriffe aus dem Hinterhalt zuzutrauen wären. Oder da ist Mias Aussage, dass Tarek zwar impulsiv sein mag – er ihrer Mutter aber tatsächlich nie Gewalt angetan hat. Hinzu kommt, dass diese Art von Verbrechen, hinterrücks und doch auf offener Straße – nicht zu seinem Gewaltprofil passt. Ach ja, und dann ist da der Gürtel, der dem Opfer um die Augen gebunden wurde. Fast so, als wollte der Täter damit etwas aussagen. Ebenfalls ein Hinweis darauf, dass Tarek Elvan eigentlich als Mörder ausscheidet. Egal, wie seine Vorgeschichte aussehen mag: Das alles passt nicht zu ihm. Doch wenn einem Ermittlerduo ein Mann wie Tarek quasi auf dem Silbertablett präsentiert wird, fällt es sogar Kommissaren wie Ballauf und Schenk schwer, über den Tellerrand zu schauen. Es ist ihr Kollege Jütte, der dem Fall eine überraschende Wendung verpasst. Jütte hat als junger Kommissar in Wuppertal gearbeitet – und dort ereignete sich vor einigen Jahren ein ganz ähnlicher Fall. Allerdings wurde der Täter seinerzeit geschnappt. Ein Täter, der heute nicht mehr unter den Lebenden weilt.
Die Ausgangssituation ist, wie bereits erwähnt, nicht ohne Reiz. Ballauf und Schenk begegnen im Rahmen ihrer Ermittlungen gleich mehreren Frauen, die sich offenbar zu Männern wie Tarek hingezogen fühlen. Zu Männern mir einer dunklen Geschichte. Gibt es etwa so etwas wie den Reiz am „bösen Jungen“? Für gewöhnlich bewegt sich der «Tatort» auf gesellschaftspolitisch korrekten Wegen. Man sucht sich ein gesellschaftlich relevantes Thema, < ahref="https://www.quotenmeter.de/n/127202/die-kritiker-tatort-die-dritte-haut">etwa Mietwucher und Gentrifizierung, und dann positioniert man die handelnden Figuren klar und deutlich. Auf der einen Seite stehen die Ermittler (als Vertreter des anständigen, gebildeten Bürgertums), auf der anderen Seite finden sich sehr gerne „die da oben“, die eh alle etwas zu verbergen haben. Das ist zwar sehr klischeehaft, gefällt aber den Zuschauern. «Der Reiz des Bösen» wagt sich aus dieser Spur hinaus, indem er Figuren (Frauen) präsentiert, die offenbar bewusst (oder gar zwanghaft) die Zuneigung von Männern suchen, die eine von Gewalt geprägte Vergangenheit haben. Irgendwann wird in diesem «Tatort» denn auch Charles Manson erwähnt, der Anstifter der sieben Tate-LaBianca-Morde 1969, deren prominentestes Opfer die Schauspielerin und Ehefrau Roman Polanskis Sharon Tate gewesen ist. Besagter Charles Manson, der eine regelrechte Sekte um sich scharte, bekam bis in die 1990er Jahre regelmäßig Liebesbriefe von Frauen ins Gefängnis geschickt.
Ein Mann, der eine hochschwangere Frau, Sharon Tate, von seinen Jüngern abschlachten ließ!
Das heißt, dieses Phänomen gibt es. Und es ist ein Thema, das schwierig zu fassen ist. Dass sich die Autoren Arne Nolting und Jan Martin Scharf (auch Regie) dennoch dieses Phänomens angenommen haben, ist mutig. Schnell verbrennt man sich die Finger an einer solchen Geschichte. Es bedarf nur eines reichweitenstarken Twitteraccounts, der behauptet, die Autoren würden im Rahmen der Geschichte Gewalt gegen Frauen allgemein relativieren, indem sie ihnen eine Mitschuld anlasten (siehe oben: die heimliche Sehnsucht nach bösen Jungs): Schon brennt die Hütte und WDR-Intendant Tom Buhrow muss sich wieder einmal entschuldigen. Da bleibt man als Autor doch lieber auf der sicheren Seite und schreibt ein Kriminalstück über die Machenschaften von, genau, denen da oben.
Um eines klar zu sagen: Der Film behauptet nichts dergleichen. Womit das geklärt wäre.
Leider ist dieser sage und schreibe 82. Fall des Duos Ballauf und Schenk als Spannungswerk kaum mehr als leidlich gelungen. Die beiden Hauptdarsteller agieren gewohnt routiniert, glaubhaft, empathisch. Sahin Eryilmaz in der Rolle des Tarek verleiht der Inszenierung sogar einige schauspielrische Glanzpunkte. In seiner Darstellung spürt man die Wut und die Gewalt, die von diesem Tarek Elvan ausgeht. Aber in dieser Wut schwingt eine unfassbare Verzweiflung mit. In Erylmaz' Interpretation der Figur ist dieser Tarek Elvan ein Getriebener seiner eigenen Vergangenheit, ein Mann, der weiß, wer er ist – denn der Gewaltverbrecher lebt noch immer in ihm. Daher ist jeder Tag für ihn ein Kampf gegen diesen Teil seiner Persönlichkeit: Ein Kampf, den er in dem Moment zu verlieren droht, in dem ihm der Mensch genommen wird, den er liebt und der ihn gerettet hat. Als Zuschauer erlebt man diese Verzweiflung aus einer allwissenden Perspektive (im Gegensatz zu den Kommissaren, die diesen Einblick nicht haben). Daher wird für das Publikum allerdings auch schnell klar: Dieser Mann mag vieles sein, aber er ist kaum der Mörder seiner Ehefrau.
Womit ein großes Problem dieses Filmes angesprochen wäre. Wo Sahin Erylmaz mit seiner schauspielerischen Präsenz anfangs als „Gaststar“ die Szenerie beherrscht und spielend auf der ganz großen Klaviatur der Emotionen das Publikum in seinen Bann zu reißen versteht – wird er irgendwann von der Geschichte schlichtweg vergessen. Anders lässt es sich nicht beschreiben. Die Figur des Tarek Elvan spielt irgendwann überhaupt keine Rolle mehr. Stattdessen schwenkt der Fokus plötzlich auf den für gewöhnlich phlegmatisch agierenden Schenk- und Ballauf-Kollegen Norbert Jütte, den Roland Riebeling seit 2018 darstellt. Der bekommt nun sein Trauma angehängt, denn warum mag dieser Jütte wohl aus Wuppertal nach Köln gezogen sein? Weil es in Wuppertal diesen einen Fall gab, der ihn nicht losließ und der nun plötzlich in der Domstadt seine Fortsetzung findet. Was die Geschichte aber nicht findet, das ist eine Linie. Es wird in einer Nebenhandlung eine Beziehung zwischen einem frisch aus dem Gefängnis entlassenen Ex-Sträfling und seiner Freundin erzählt, die ihn über das gleiche Briefprogramm wie das Mordopfer kennengelernt hat. Diese Geschichte aber bleibt im Rahmen der Handlung anorganisch, da sie nie wirklich eine Verknüpfung zu der Kriminalhandlung herzustellen versteht. Selbst die Momente, die vermuten lassen (sollen), dass dieser Ex-Sträfling der Mörder sein könnte, wirken nie glaubhaft, da sie inszenatorisch kaum Berührungspunkte zur tatsächlichen Mörderjagd knüpfen können.
Schließlich ist da noch die Geschichte mit dem Gürtel, die irgendwann in küchenpsychologischer Deutung mündet und in Richtung einer aus dem Hut gezauberten Auflösung führt.
Fazit: Der «Tatort» aus Köln versucht sich an einer eher ungewöhnlichen, nicht uninteressanten Story, findet inszenatorisch aber keinen Weg, diese spannend oder berührend zu erzählen. Sie verliert ganz nebenbei eine Hauptfigur aus den Augen und müht sich, nach einem spannenden Auftakt, irgendwann nur noch müde der Ziellinie entgegen, um die Geschichte irgendwie abzuschließen.
Am Sonntag, 19. September 2021, ab 20.15 Uhr im Ersten.
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