Interview

Alexis von Wittgenstein: ‚Wir waren ja alle echte Becker-Groupies‘

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Der Produzent von «Der Rebell – Von Leimen nach Wimbledon» bringt eine spannende Geschichte mit: Er trainierte im selben Club wie Boris Becker und konnte ihm selbst beim Trainieren zuschauen.

Hallo Herr Alexis von Wittgenstein, vielen Dank für Ihre Zeit. Wo waren Sie am 7. Juli 1985?
1985 war ich grade sechs Jahre alt und habe meinen letzten Sommer vor der Einschulung genossen. Mein Vater war damals ein großer Tennisfan und wenn im Sommer alle Fenster und Terrassentüren bei uns offen standen, hat man seine Jubel- oder Verzweiflungsschreie bei Becker-Matches in der ganzen Nachbarschaft gehört. Ich kann heute nicht mehr genau sagen, ob ich mich bewusst an diesen Final-Tag erinnere, aber ich weiß, dass fortan bei uns zuhause der Fernseher bei jedem Grand-Slam-Spiel von Boris Becker lief.

War Ihnen damals sofort bewusst, welche Tragweite Beckers Wimbledon Triumph haben wird?
Nein, aber die Tennisbegeisterung meines Vaters schwappte sofort auf mich über. Mit großem Enthusiasmus war ich bei sonntäglichen Tennisspielen meines Vaters Balljunge und später dann selber begeisterter Tennisspieler. Dass das einer ganzen Generation so ging, war mir als Kind natürlich nicht klar, aber aus heutiger Sicht ist es schon unglaublich, wie Boris Beckers Wimbledon-Sieg in das kollektive Gedächtnis unserer Nation eingegangen ist und unzählige Menschen damit für diesen Sport begeistert hat.

Wie oft haben Sie sich im Nachhinein das Spiel nochmal angeschaut?
Um ehrlich zu sein, erst zur Recherche dieses Filmprojekts wieder. Aber die Bilder triggern sofort Gänsehaut. Ein unheimlich verbindender Moment für alle Tennisbegeisterte auf der Welt damals: ein Minderjähriger gewinnt das wichtigste Tennisturnier der Welt. Bis heute ist das keinem Tennisspieler mehr gelungen. Das ist schon Wahnsinn.

Als Kind trainierten Sie im gleichen Tennis-Club wie Boris Becker. Wie wurde beziehungsweise wird er dort gefeiert?
Als Jugendlicher spielte ich regelmäßig beim Sportscheck im Norden Münchens, wo sich auch Boris Becker damals auf seine Turniere vorbereitete. Es war natürlich ein absolutes Highlight, wenn man ihn durch den Maschendraht beim Trainieren beobachten oder im Clubrestaurant am Tresen sehen konnte. Wir waren ja alle echte Becker-Groupies. Wer nicht mit silber-roten Puma Schläger à la Becker spielte, hatte per se einen schweren Stand. Gefeiert wurde Boris von ganz Deutschland. Als ich später in der Filmhochschule mit dem Konzept der Heldenreise beim Drehbuchentwickeln in Berührung kam, dämmerte mir langsam, dass Menschen wie Boris diese Heldenreise leibhaftig gelebt haben. Er war nach seinem ersten Wimbledon Sieg der Held aller Deutschen, egal woher, wie alt oder wie wohlhabend. Und zumindest die Engländer verehren ihn bis heute.

Sie erzählen in dem Film «Der Rebell» die Geschichte des jungen Boris Becker. Wie weit geht der Film in die Kindheit zurück?
Wir lernen „unseren“ Boris 1976 als 8-jährigen Heißsporn kennen, wie ihn wohl auch sein späterer Entdecker Günther Bosch damals zum ersten Mal bei einem Jugend Scouting gesehen hat. Der Kern unserer Erzählung beginnt aber 1982, als Bosch das Training der Jugendauswahl des DTB übernommen und Boris als absoluten Hoffnungsträger identifiziert hat. Hier beginnt in «Der Rebell» die Reise unserer beiden Protagonisten Boris und Bosch, die sie von der deutschen Provinz bis nach Wimbledon und in die Weltspitze geführt hat.

Der Untertitel lautet „Von Leimen nach Wimbledon“. Schließt man nach dem Triumph mit der Geschichte ab?
Wir haben uns beim Entwickeln dieser Geschichte ausschließlich auf den Kern dieses Wunders von Wimbledon - das er ja ein Jahr später sogar nochmal wiederholt hat - und den Menschen hinter diesem außerordentlichen Erfolg konzentriert. Wir erzählen die Geschichte aber noch ein wenig weiter bis zum Jahr 1987 und zeigen, wie Boris mit dem Fame und auch seinem persönlichen Selbstbestimmungsbedürfnis zurechtkam (oder auch nicht). Eine mögliche Fortsetzung hatten wir dabei allerdings nie im Hinterkopf. Aber natürlich hat Boris Becker in seiner Karriere als Spieler noch Unglaubliches gemeistert. Ich denke da nur an das große Duell mit Michael Stich, mit dem er schließlich gemeinsam im Doppel olympisches Gold gewann. Auch kein schlechter Stoff! ... oder RTL?

Warum hat man auf die späteren Verfehlungen Beckers verzichtet?
Uns ging es in diesem Film darum die unglaubliche Geschichte eines Teenagers zu zeigen, der aus der tiefsten deutschen Provinz in den Tennis Olymp aufsteigt – durch puren Siegeswillen. Ein an sich normaler Junge, der von heute auf morgen erwachsen werden und mit dem plötzlichen Hype um seine Person zurecht kommen muss, während er eigentlich noch mitten in der Pubertät steckt. Diese ungeheure Leistung, sowohl die sportliche als auch die mentale, ist es, die uns und hoffentlich am 16. Dezember auf RTL und im Anschluss auf RTL+ auch die Zuschauer fasziniert. Die Aspekte seines Lebens nach seiner Profikarriere sind reine Privatangelegenheiten. Ich fände es unangebracht und ehrlich gesagt auch erzählerisch nicht besonders reizvoll, darüber einen Film zu machen. Boris wahre Größe liegt auf dem Court.

War Boris Becker in die Produktionsarbeiten involviert?
Es gab einen Austausch zu dem Projekt zwischen Boris Becker, der Produktion den Senderverantwortlichen, allerdings haben wir uns früh dafür entschieden die Geschichte auf Basis der fundierten Erkenntnisse der Becker-Biographie „Ich bin ein Spieler“ von Fred Sellin zu entwickeln.

Konnten Sie während der Pandemie auch an Original-Schauplätzen in Wimbledon drehen?
Wimbledon hat uns unsere Szenenbild- und VFX-Abteilungen mit der Magie des Filmemachens nach Halle Westphalen gezaubert. Dafür haben wir an Original-Schauplätzen in Monaco gedreht. Insbesondere der Monte Carlo Country Club, in dem Becker und auch viele andere Tennisgrößen bis heute noch trainieren, war mit seinen Meerblick-Tennis-Courts schon ein absolutes Highlight der Dreharbeiten. Für Boris Spritztour mit seinem ersten eigenen Auto wurde für unsere Dreharbeiten sogar der Boulevard Louis II für einen halben Tag gesperrt. Die Monegassen scheinen ihren Ziehsohn Boris in guter Erinnerung behalten zu haben.

Wie groß war eigentlich der Faktor Tennis-Spielen beim Casting von Bruno Alexander als Boris Becker?
Beim Casting haben wir uns zum größten Teil auf das Schauspiel und die Wirkung konzentriert. Es war natürlich von Vorteil, dass Bruno bereits Tennis spielen konnte. Dann haben wir ihn allerdings nochmal mehrere Monate in ein privates Tennis-Bootcamp beim ehemaligen Tennis Pro Chris Radecke gesteckt, der Bruno so richtig in Form gebracht hat. Respekt für Chris und vor allem für Bruno, der ja nicht nur Tennisspielen auf hohem Level gelernt hat, sondern auch, sich auf dem Platz so wie Boris zu bewegen. Wenn man die Stellen in unserem Film sieht, an denen sich Archivaufnahmen mit nachgespielten Szenen auf dem Tennisplatz abwechseln, versteht man was für eine herausragende Leistung Bruno hier erbracht hat.

Hatten Sie Bruno Alexander schon vor seiner Rolle bei «Wir Kinder vom Bahnhof Zoo» im Kopf als Becker-Darsteller?
Nein, Bruno hat wie sehr, sehr viele andere auch mehrere Castings für die Rolle durchlaufen, bis er sich als unser aller Favorit herauskristallisiert hat. Bei «Wir Kinder vom Bahnhof Zoo» spielt er ja einen abgemagerten Heroinsüchtigen. Um danach schnell wieder eine Boris Becker würdige Figur zu bekommen, musste er täglich ein bis zwei Steaks essen. Wir sind unheimlich glücklich, diese Wahl von Bruno als Boris Becker Darsteller gemeinsam mit unseren Partnern bei RTL, Hauke Bartel, Frauke Neeb, Brigitte Kohnert und Manuel Schlegel und deren guten Riecher getroffen zu haben.

Mit «Der Rebell» steigt man gewissermaßen auf die derzeitige Nostalgie-Welle auf. Warum ist „altes Fernsehen“ derzeit so beliebt?
Bei den langen Planungszyklen im Film habe ich es mir abgewöhnt auf irgendwelche Trends zu setzen. Was zählt, ist inhaltliche und visuelle Qualität. Wir haben mit der Entwicklung des Drehbuchs 2018 begonnen. Unsere großartigen Drehbuchautoren Richard Kropf und Marcus Schuster haben die Idee zu dem Film aber schon fast 20 Jahre im Hinterkopf mit sich herumgeschleppt. Die Zeit dafür war jetzt einfach reif. Das hat aber mehr damit zu tun, dass sich momentan ein Paradigmenwechsel in der Art, wie Geschichten heute erzählt werden können, vollzieht. Früher hätte ich schon Bedenken gehabt, welche „Boulevard“-Anforderungen das Privatfernsehen an einen Becker Stoff gesetzt hätte. Aber die neue Content-Strategie von RTL und RTL+ ist wirklich eine Bereicherung für uns Filmemacher und vor allem für die Zuschauer. Besonderen Zeitdruck seitens des Senders gab es daher gar nicht. Im Gegenteil, wir haben sogar gemeinsam entschieden die Dreharbeiten Pandemie-bedingt um ein Jahr zu verschieben, um die Qualität des Films in keiner Weise zu beeinträchtigen. Damals natürlich schmerzlich aber im Nachhinein eine sehr weise Entscheidung, wie ich finde.

Vielen Dank für das Gespräch!

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