Er hat sich schon in etlichen Genres ausgetobt, auch wenn er seine größten Erfolge bisher im Horror- («Der weiße Hai»), Abenteuer- («Jäger des verlorenen Schatzes») und Science-Fiction-Bereich («E.T. - Der Außerirdische») feierte. Nun versucht sich Steven Spielberg erstmals an ein Musical, nahm sich damit aber einen Klassiker vor, der auf der Liste der besten Musicalverfilmungen ganz oben steht. Die Rede ist von «West Side Story», die vor 60 Jahren erstmals das Licht der Leinwand erblickte. Die Songs aus der Feder von Leonard Bernstein (Musik) und Stephen Sondheim (Lyrik) sind zu Evergreens geworden, zehn Oscars in fast allen wichtigen Kategorien waren der Lohn. Dabei handelt es sich bei «West Side Story» quasi selbst um ein modernisiertes Remake eines literarischen Klassikers: William Shakespeares «Romeo und Julia», die wohl beliebteste Love-Story aller Zeiten. Dass Spielberg nun ausgerechnet den Vergleich mit dem Filmklassiker von 1961 sucht, mag auf den ersten Blick verwundern, weil er anscheinend nur verlieren kann. Aber dem ist nicht so, denn er widmet seine Interpretation im Abspann seinem Dad. Er weckt damit zwar eigene Jugenderinnerungen, gibt seiner Verfilmung aber dennoch einen frischen Anstrich.
Liebe auf den ersten Blick
New York in den Fünfzigerjahren: In einem heruntergekommenen Viertel herrscht ein unerbittlicher Bandenkrieg zwischen zwei rivalisierenden Jugendbanden Auf der einen Seite sind die einheimischen Jets, auf der anderen Seite die aus Puerto Rico zugewanderten Sharks. Riff (Mike Faist) ist der Anführer der Jets und will den erst kürzlich aus dem Gefängnis entlassenen Tony (Ansel Elgort) wieder auf seine Seite ziehen. Doch Tony fühlt sich geläutert und will noch nicht mal zum abendlichen Tanzball erscheinen, wo auch die Sharks anwesend sein werden. Aber er entscheidet anders und begegnet auf der Tanzfläche plötzlich der bildhübschen María (Rachel Zegler). Für beide ist es Liebe auf den ersten Blick. Doch ihre Liebe steht unter keinem guten Stern. Denn María ist die Schwester des Sharks-Anführers Bernardo (David Alvarez), der es überhaupt nicht gern sieht, dass sie sich mit einem Jet einlässt. Tony versucht sich als Friedensstifter - vergebens, denn er kann nicht verhindern, dass sich Sharks und Jets zu einem entscheidenden Kampf treffen, bei dem auch Waffen erlaubt sind. Als Riff und Bernardo mit Messern aufeinander losgehen, nimmt das einen tödlichen Ausgang, an dem auch Tony beteiligt ist. Wird er María dadurch für immer verlieren?
Aus alt mach neu
Gewiss gab es die Überlegung, «West Side Story» zu modernisieren und in unsere heutige Gegenwart anzusiedeln. Schließlich war die erste Verfilmung von 1961 ebenfalls ein zeitgenössisches Abbild damaliger Zustände unter New Yorker Jugendliche. Doch Spielberg hat gut daran getan, sein Remake in jener Zeit spielen zu lassen, in der das Musical erstmals auf die Bühne kam: 1957. Aber bereits acht Jahre vorher gab es erste Ideen, Shakespeares «Romeo & Julia» am Broadway in ein modernes Großstadtmärchen zu verwandeln - damals noch unter dem Titel «East Side Story». Erst Leonard Bernstein änderte den Titel und baute den Konflikt zwischen US-Bürgern und Emigranten aus. Im Kern handelt es sich aber um eine zeitlose Geschichte, die von jeder neuen Generation wohl verstanden wird, womit sicherlich auch für Spielberg keine Dringlichkeit bestand, «West Side Story» auf Biegen und Brechen ins 21. Jahrhundert verlegen zu müssen. Dass seine Interpretation weiterhin gegen Ende der Fünfzigerjahre so ganz ohne Smartphone und E-Roller spielen darf, dürfte heutige Jugendliche nicht stören. Im Gegenteil: Es verleiht dem Film eine Patina und einen besonderen Zauber. Verstärkt wird dieser Eindruck noch durch die Fotografie von Spielbergs langjährigen Kameramann Janusz Kamiński, der extreme Lichtspiegelungen nicht nur zulässt, sondern sie regelrecht sucht.
Eine Zeitreise mit Blick auf die Gegenwart
Insofern wirkt «West Side Story» wie das Eintauchen in eine andere Zeit, allerdings mit der teilweise etwas bitteren Erkenntnis, das sich so viel doch gar nicht verändert hat. Gewiss ein weiterer Grund, weshalb «West Side Story» kein zeitaktuelles Aufpolieren benötigte. Parallelen zur Gegenwart werden auch so überdeutlich: Die Diskriminierung gegenüber Zugewanderten genauso wie die verheerenden Folgen von blinder Wut und Gewalt. Eine Eins-zu-Eins-Umsetzung ist der neue Filmeaber dennoch nicht. Denn Spielberg nutzt die erzählerischen Freiheiten unserer Zeit, um ‚anrüchige’ Dinge deutlicher hervorzuheben, die in den Fünfzigerjahren aus sittlichen Gründen nur angedeutet werden konnten. Dass Tony und María etwa miteinander ins Bett gehen, wird viel klarer herausgestellt. Direkt benannt wird ebenso, dass das Mädchen Anita Opfer einer Vergewaltigung durch die Jets wird. Interessant ist in diesem Zusammenhang ist auch eine Transgender-Figur, die im alten Film noch unmissverständlich ein Mädchen in Hosen war. Insofern erlebt «West Side Story» damit doch noch einige Erneuerungen, aber nur dort, wo es wirklich nötig ist.
Der Handlungsablauf selbst variiert nur wenig und die neu eingespielte Musik bleibt sowieso die treibende Kraft von «West Side Story». Aber reicht das, um eine Neuverfilmung zu rechtfertigen? Absolut! Und ein weiterer Pluspunkt sind tatsächlich die Hauptdarsteller: Ansel Elgort wurde mit «Das Schicksal ist ein mieser Verräter» über Nacht berühmt und überzeugte ebenfalls in «Die Bestimmung» und «Baby Driver». Rachel Zegler wurde aus 30.000 Bewerberinnen ausgesucht und verzaubert mit ihrer Unschuld. Die größte Überraschung ist jedoch Rita Moreno in der Rolle einer fürsorglichen Bistro-Betreiberin. Die inzwischen 90-Jährige spielte in der Verfilmung von 1961 die Nebenrolle der Anita, was ihr als erste Schauspielerin hispanischer Abstammung den Oscar einbrachte.
Fazit: Eine gelungene Neuverfilmung eines Klassikers mit der großartigen Musik von Leonard Bernstein. Im Fünfzigerjahre-Setting werden brisante Themen herausgehoben, die an Aktualität nichts verloren hat.
«West Side Story» ist im Kino zu sehen.
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28.12.2021 16:07 Uhr 1