Dass nicht Drehbuchautoren nicht mehr nur auf Bücher stürzen, um an neue Stoffe zu kommen, sondern mittlerweile auch Podcasts zu Rate ziehen, ist kein Geheimnis mehr. Amazon Prime Video engagierte gar Julia Roberts für die Serie «Homecoming», auch Jessica Biel fand ein Jahr später gefallen an der Idee und setzte «Limetown» um. Dass sich Serien über das Umsetzen eines Podcasts produzieren lassen, bewiesen zuletzt auch Steve Martin, Martin Short und Selena Gomez, die für «Only Murders in the Building» vor der Kamera standen. Weitaus weniger komisch geriet aber die Netflix-Adaption von «Archive 81».
Herausgekommen ist eine achtteilige übernatürliche Horror-Serie, die laut Showrunnerin Rebecca Sonnenshine „dem Horror-Genre eine neue Wendung“ geben sollte. Gleichzeitig sollte „eine dunkle, zutiefst emotionale Romanze als Kern“ beibehalten werden, wie sie bei der Ankündigung im Oktober 2020 verriet. Sonnenshine, die als Produzentin bei «Vampire Diaries» und «The Boys» mitgewirkt hat, hat sich dafür einige Größen des Horror-Genres an Bord geholt. Rebecca Thomas, die bereits bei mehreren Episoden von «Limetown» als Regisseurin und Produzentin sowie für «Stranger Things» aktiv war, setzte die Hälfte von «Archive 81» um. Auch die beiden Podcaster Marc Sollinger und Daniel Powell gehörten als Co-Produzenten mit zum Team.
Zweifelsfrei der größte Name ist aber Executive Producer James Wan, der ein bedeutender Regisseur und Produzent im Horror-Genre ist und so auch in die Geschichte dieser Film-Gattung eingehen wird. Er hat schließlich nicht nur die «Saw»- und «Insidious»-Franchise co-kreiert, sondern auch das «Conjuring»-Universum geschaffen, immerhin das zweit-umsatzstärkste Horrorfranchise aller Zeiten. An den Kino-Kassen hat es bislang mehr als zwei Milliarden US-Dollar eingespielt. Unbestritten dürfte somit seine Expertise bei Horror-Filmen sein. Auch Paul Harris Boardman war an der Produktion von «Archive 81» beteiligt. Er darf unter anderem das «Poltergeist»-Remake von 2015, «Scream 4», «Der Exorzismus von Emily Rose» zu seinen Credits zählen, für die er Drehbuch- und Produktionsarbeiten übernahm.
Möglicherweise war dieser angehäufte Experten-Mix auch zu viel des Guten, frei nach dem Motto: Zu viel Köche verderben den Brei. Denn trotz des durchschlagenden Erfolgs von «Archive 81» fielen die Kritiken nicht durchgehend positiv aus. Netflix gab an, dass die Serie zwischen dem 17. Januar und 23. Januar auf über 70 Millionen Streaming-Stunden kam. Inhaltlich dreht sich die Horror-Reihe um den Archivar Dan Turner (Mamoudou Athie), der einen mysteriösen Job annimmt, um eine Sammlung beschädigter Videobänder aus dem Jahr 1994 wiederherzustellen. Dabei findet er sich wieder, wie er die Arbeit der Dokumentarfilmerin Melody Pendras (Dina Shihabi) und ihre Ermittlungen zu einem gefährlichen Kult rekonstruiert.
‚SZ‘-Redakteur Philipp Bovermann bezeichnete «Archive 81» als „besinnungslose Ausschlachtung der Mystery-Elemente“, wodurch „funkelnder Trash“ entstanden sei. Die Serie fühle sich an wie der Baukasten des Mystery-Genre selbst, denn Teil der Handlung sind ein einsames Haus, von Wald und einem Zaun umgeben, gleich zwei verlassene Kapellen, ein unterirdisches Gewölbe und verschlossene Aktenschränke voll mit geheimem Wissen einer obskuren Forschungsreihe. Dazu gesellen sich Gespenster aus anderen Welten, wobei nichts ist wie es scheint, so Bovermann. Dennoch sei «Archive 81» regelrecht ansteckend und lädt durch das mysteriöse Erzählen durch verschiedene Zeitebenen zum Bingen ein. Auch ‚Variety‘-Kritiker Daniel D'Addario hatte nur wenig Positives über die Horror-Serie zu sagen. Er stempelte sie als „inkonsistenten Horror“ ab und befand, dass die Serie kaum Aussagekraft hat. Lobend erwähnte er die schauspielerische Leistung von Athie, die den Zuschauern hilft, die Tatsache zu verdrängen, dass die Einzelheiten seiner Beschäftigungssituation selbst nach den Maßstäben des Genres keinen Sinn ergeben. „Die Serie stürzt durch verschiedene Horror-Genre-Signifikatoren, und ihre Annäherung an ihre Found-Footage-Einbildung ist bestenfalls flüchtig“, meint D’Addario. Trotzdem mache das Drumherum oft viel Spaß und die heraufbeschworene Stimmung sei effektiv gruselig.
Michael Phillips vom ‚Chicago Tribune’ erfreute sich ebenfalls sehr an der schauspielerischen Leistung der beiden Hauptdarsteller und empfiehlt «Archive 81» „mit eine wenig Luft“ zwischen den Episoden zu konsumieren, damit man einige dramaturgische Schwächen besser verkraften oder besser: einfach vergessen könne. Phillips erkennt die Sorgfalt der Macher an, die ihre Hauptarbeit in die Entwicklung der Figuren gesteckt haben, und kommt zu dem Schluss, dass das Publikum sich um das Schicksal von Dan und Melody scheren. Athie und Shihabi zeichnen sich durch das Spielen in der Nahaufnahme aus und überzeugen durch ihre „fabelhaften, ausdrucksstarken, sanften Stimmen“.
Doch Kritik kommt auch aus der „Windy City“: „Szene für Szene gestehen die Autoren freiwillig ihre verschiedenen Inspirationen ein, die von «Rosemary’s Baby» bis «The Ring» reichen.“ Die visuelle Umsetzung der Gespenster-Szenen am Ende ist aber „erschreckend gewöhnlich“. Dennoch: „Shihabi und Athie, ihre Augen voller Angst und Staunen, sind Grund genug, sie sich anzusehen.“ Bleibt abschließend nur ein Zitat von D’Addario: „«Archive 81» wird Core-Genre-Fans zufriedenstellen.“
«Archive 81» läuft bei Netflix.
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04.02.2022 00:47 Uhr 1
04.02.2022 14:43 Uhr 2