Vor knapp sechs Jahren startete das amerikanische Network NBC die Serie «This Is Us» und ließ die Fernsehbranche aufschrecken. Mit Dan Fogelman schnappte man sich einen recht unerfahrenen Autor, der das klassische Familiendrama neu aufleben lassen sollte – mit Ausnahme des Animationssektors. Mit Mandy Moore in der Hauptrolle überzeugte man einen aufstrebenden Filmstar, sich dem Fernsehen anzuschließen. Moore war zuvor in «Lizenz zum Heiraten» (mit Robin Williams), «Love, Wedding, Marriage» (von Dermont Mulroney) und «Hotel Noir» (neben Danny DeVito) zu sehen.
Sie traf aber schon einige Jahre zuvor einen Mann, der ihr einen großen Durchbruch bescherte: Fogelman mit seinem Skript zu «Rapunzel – neu verföhnt». Der Pixar-Animationsfilm von Fogelman glänzte durch ihre Synchronisationstätigkeit und ihrem Gesang, mit dem Moore Millionen von Menschen begeisterte. Fogelman selbst überzeugte zunächst als Autor von zahlreichen Animationsfilmen wie «Cars», «Die Gebrüder Weihnachtsmann» und «Bolt». Es folgten Werke wie «Crazy, Stupid, Love.» und «Last Vegas», ehe er über Umwege «This Is Us» an das alte FOX verkaufen konnte, die das Format an NBC veräußerten.
«This Is Us» handelt zunächst von den Zwillingen Kevin und Kate sowie dem adoptierten Randall (auch bekannt als „Big Three“). Nachdem Mutter Rebecca Pearson (Moore) nur zwei der Drillinge lebend zur Welt bringt, wird der schwarze Randall, der vor einer Feuerwehrwache abgestellt wird, mit nach Hause genommen. In der Pilotepisode möchte uns Chefautor Fogelman uns noch glauben lassen, dass alle Geschichten in der Gegenwart spielen – und bricht dieses Geheimnis am Ende auf. Die Vorgeschichte findet im Jahr 1980 statt, die übrigen Storys beginnen im Jahr 2016.
Mit Beginn der zweiten Staffel führen die Autoren weitere Zeitebenen ein. Das Jahr 1998 wird zunehmend wichtiger, denn im Staffelauftakt wird der Tod von Familienoberhaupt Jack angekündigt. Erneut spielen die Autoren mit den bisher gelegten Hinweisen, denn im Staffelauftakt kommt es zwischen Jack und Rebecca zum Streit. Er zieht zu seinem Freund Miguel. Doch aufmerksame «This Is Us»-Zuschauer aus der ersten Staffel wissen, dass es doch vielleicht völlig anders kommen könnte.
Man merkt der Serie an, dass die Autoren ihr Format lieben und dementsprechend handeln. Die Staffeln sind mit jeweils 18 Episoden deutlich kürzer als eine Network-Serie (üblich sind 22 Episoden) und die Programmierung ist nicht gerade dem Zufall überlassen. Der große Knall kommt schließlich bei der Episode „Super Bowl Sunday“, der vor zwei Jahren nach dem Football-Endspiel gesendet wurde. Die Zuschauer wurden endlich erlöst und erfuhren, wie Jack ums Leben kam.
Unterstützt bei der Produktion wird Dan Fogelman im Übrigen von Ken Olin, der ein alter Serienhase ist. Er führte schon bei «L.A. Doctors», «Für alle Fälle Amy», «Felicity», «The West Wing», «Sleepy Hollow» und «Alias» Regie, er produzierte neben «Alias» auch das ABC-Familien-Drama «Brothers & Sisters» und brachte das Format nach einer zunächst verkorksten halben Staffel in die Spur. Serienerfinder Jon Robin Baitz musste nach kurzer Zeit gehen und wurde durch Greg Berlanti ersetzt, der die Serie mit Olin rettete. Obwohl die Einschaltquoten nach der vierten Staffel sanken, setzte ABC das Format für eine fünfte Runde fort, die allerdings massive Budget-Kürzungen erlitt und somit den Platz auf dem Podest der besten Serien verfehlte.
NBC handelt entschieden anders: «This Is Us» wird noch mindestens bis zum Sommer 2022 im Programm zu sehen sein. Das Network verlässt sich auf seine Autoren und gibt ihnen einen großen Spielraum, um langfristige Geschichten zu erzählen. Das klappt besonders gut, denn in jeder letzten Folge einer Staffel erscheinen mehrere Teaser-Momente, die auf die nächste Runde hindeuten sollen. Erneut soll der Zuschauer angeheizt werden, die kommenden Geschichten zu schauen. Denn ähnlich wie bei Mystery-Serien ist bei der Coming-of-Age-Serie nicht alles so, wie es auf den ersten Blick scheint.
Doch «This Is Us» hat auch Schwächen – und zwar ist das Format wenig unkonventionell. Randall, der wankelmütigste der „Big Three“ hat in drei Jahren gleich mehrere Abenteuer unternommen. Mit drei weiteren Frauen in seinem Haus bekommt er die meiste Screentime und kann sein schauspielerisches Talent am besten zeigen. Doch es ist fast ein bisschen „too much“. Randall kündigt seinen erfolgreichen Job, um für seinen kranken Vater da zu sein, möchte ein weiteres Kind adoptieren, kauft ein Haus in der Geburtsstadt (später noch wichtig: Philadelphia) seines Vaters, das er mit seiner Frau renoviert und schließlich kandidiert er als Stadtrat.
Der Zuschauer weiß sofort: Es wird noch zum Problem, dass er erst vereinzelt, dann täglich zwischen New Jersey und Philadelphia pendeln muss. Zunächst sprechen die Autoren von täglich zwei Stunden einfacher Fahrt, dann kürzt man dies auf drei Stunden Gesamtzeit zusammen (vielleicht um glaubwürdiger zu werden?). Man muss keine Kristallkugel haben, um die wissen, dass das Familienleben seiner Frau darunter leidet. Die Kinder bekommen auch keine Zeit mehr und das Verhältnis wird zunehmend schlechter. Kein Wunder, dass Sterling K. Brown im Gegensatz zu seinen Schauspielkollegen einen Emmy als bester Darsteller in einer Drama-Serie erhalten hat.
In Staffel drei, Randalls Wahlkampf, bleibt das Format familienfreundlich, möchte aber auch keine politische Meinung vertreten. Der bisherige Stadtrat ist ebenfalls ein schwarzer Mann, der sich zwar für die Gemeinde einsetzt, aber alles ein wenig schleifen lässt. So wirklich schlechte Arbeit kann man ihm nicht attestieren. Wie die übrigen Mitglieder geht er eifrig in die Kirche, kennt seine Wähler auf der Straße und ist beliebt, ein rechtschaffender Mann. Kein Weißer, der sich persönlich bereichert. Auch die Themen, die angesprochen werden, sind zahm. Es geht um ein paar Mieterhöhungen, die die Gemeinde plagt, und Buslinien, die zurückgebaut werden. Randall kandidiert für die Demokraten, das ist ja klar, immerhin spielt die Serie an der Küste, aber die Themen könnten auch von einem Republikaner bearbeitet werden.
In der Mitte der zweiten Staffel werden die zunächst thematisierten Gewichtsprobleme von Toby Damon und Kate Pearson ad acta gelegt. Nach einer Fressattacke wird das Thema nicht mehr behandelt, stattdessen finden sich die beiden mit ihrem Übergewicht ab. Stattdessen steht ein gemeinsamer Kinderwunsch im Vordergrund. Praktisch dreht sich (fast) die gesamte Storyline um dieses Thema, nachdem es zwischen beiden noch in der ersten Runde Spannungen gab, werden die Figuren zu eindimensionalen Abziehbildern heruntergestuft.
Dieses Schicksal erleidet auch Kevin (Justin Hartley), der wie sein Vater ein Alkoholproblem hat. Die Autoren lassen dieses Thema allerdings nicht nach und nach entstehen, sondern hauen mit dem Holzhammer drauf. Innerhalb weniger Episoden, in denen Kevins Trinkverhalten gar nicht angesprochen wurde, nimmt das Thema dramatisch zu. Selbst in Rückblenden in die Jugend ist von einem dauerbetrunkenen Kevin die Rede. Eindrucksvoller ist stattdessen der Umgang mit dem Thema, der allerdings zeitweise auch Schwächen aufweist. Bei einem Rückfall (vielleicht war es der Synchronisation geschuldet?) fiel keiner der gesamten Familie auf, dass Kevin sich harten Stoff reinkippt.
Aber auch hier gehen die Autoren nach der alten «CSI»-Methode vor: Damals als die Putzfrau im Bild etwas sagte, wusste man, die Reinigungskraft hat etwas mit dem Fall zu tun. Nachdem also Kevin eine gefühlte Ewigkeit die Gruppe verließ, um spazieren zu gehen, kam er mit einer Flasche Wasser zurück. Welche – ach welch Überraschung – Wodka enthielt! Die Familie glaubt, dass Jack nach seinem Rückfall wie sein Vater durch Selbstwillen die Sucht besiegen kann. Zyniker von «This Is Us» glauben, dass Jack vielleicht doch nie ganz trocken wurde. Ob uns die Autoren in den neuen Staffeln noch einige Überraschungen bieten?
«This Is Us» ist nicht „das Leben“, sondern eine Geschichte einer großen Familie, die allesamt in der oberen Mittelschicht leben. Die Serie spielt in Los Angeles und New Jersey, die Familie bestreitet einen großen Teil ihrer Freizeit damit, im Auto oder Flieger zu sitzen. Die Pearsons sind eine Familie, die sehr erfolgreich ist. Doch diese Familienidylle ist das, was wir uns Europäer als typische Amerikaner vorstellen, allerdings gibt es über dem großen Teich noch zahlreiche weitere Geschichten, die man erzählen könnte.
Allerdings sind derzeit im Fernsehen „Feel-Good-Stoffe“ angesagt. Das Fernsehen entwickelt sich nach «House of Cards», «Homeland» und «The Good Wife» wieder zurück. Die Zuschauer sehnen sich nach familienfreundlichen Stoffen, die keine erzähltechnischen Überraschungen sind, sondern bewährtes Fernsehen aufwärmen. Das macht «This Is Us» hervorragend und gehört deshalb zu den erfolgreichsten und am besten bewerteten Serien im amerikanischen Network-Fernsehen. Jedoch dürfen die Autoren den Bogen nicht überspannen, wie es einst «Desperate Housewives» tat. Dort beispielsweise war die Trennung von Tom und Lynette eine Farce. Der Zuschauer ahnte schon, dass die beiden wieder ein Paar werden.
«This Is Us» hat die besten Voraussetzungen, um den Olymp der besten Familien-Dramen zu erobern. Jedoch muss den Machern klar sein, dass sie den Bogen nicht überspannen dürfen. Zum Ende der dritten Staffel wird eine weitere Zeitlinien eingeführt, die aber auf ein Ende der Erzählungen hinweisen wird.
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