Stab
DARSTELLER: Wotan Wilke Möhring, Franzska Weisz, José Barros, Arash Marandi, Valerie Stoll, Anselm Ferdinand Bresgott, Katarina Gaub, Christian Erdmann, Riccardo Campione, Aleandra von SchwerinREGIE: Christoph Stark
BUCH: Jochen Bitzer
KAMERA: Eeva Fleig
MUSIK: Thomas Osterhoff
Das Problem: Es gibt keinerlei echte Hinweise auf eine Entführung. Der Leibwächter des Jungen ist zwar kunstvoll mit KO-Tropfen ausgeknockt worden, aber er wird sich wieder erholen. Damit ist er die einzige echte Spur, die Falke hat. Leider aber ist dieser Carlos nicht wirklich kooperativ gegenüber der Polizei, was er allerdings auch nicht sein muss (er besitzt diplomatische Immunität). Auf der anderen Seite scheint dieser Carlos aber auch nicht wirklich an eine Entführung zu glauben. Was Falke auf eine Spur bringt, die weder ihn noch die Zuschauer wirklich überrascht: Juan ist nicht der Sohn des Botschafters. Er ist der Sohn des Präsidenten und seiner deutschen Ehefrau. Und wie mag es sich damit leben, ein junger Mann zu sein, der an die Freiheit glaubt, an die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit – wenn der eigene Vater ein Menschenverächter ist? Falke muss also davon ausgehen, dass Juan sein Verschwinden selbst geplant hat, um in normales Leben fliehen zu können. Das Problem: Es tauchen Indizien auf, die ein Verbrechen nicht mehr ausschließen.
«Tatort: Tyrannenmord» ist ein Film, der in zwei Hälften zerfällt. Gerade die Tatsache, dass die Geschichte lange Zeit die Frage im Raume stehen lässt, ob überhaupt ein Verbrechen stattgefunden hat, ist sehr reizvoll, da die Figur des Juan bemerkenswert gut geschrieben ist. Juan ist intelligent und ein durch und durch aufrichtiger Charakter. Er ist in seine Mitschülerin Hanna verliebt und es gibt nicht den Hauch eines Zweifels an der Echtheit dieser Liebe. Wenn er also tatsächlich sein Verschwinden nur vorgetäuscht haben sollte, bedeutet das entweder, dass Hanna in sein Verschwinden involviert ist – oder, dass er für seine eigene Freiheit wirklich alles zurücklassen musste, was auch nur im Entferntesten an sein altes Leben erinnert. Inklusive seiner Liebe. Während Falke sorgsam Indizien sammelt, die auf den Verbleib des Jungen hinweisen, geht dessen Leibwächter Carlos durchaus rabiat auf seiner Suche vor. Ebenso, wie Falke die Möglichkeit in Betracht ziehen muss, dass Juan einfach untergetaucht ist, findet Carlos Hinweise darauf, dass es gar keine Entführung gegeben hat. Inszenatorisch ist die Suche von Carlos reizvoll, da sie den Zuschauern einen Wissensvorsprung gegenüber Falke gewährt. Die Spuren etwa, denen Carlos nachgeht, von denen ahnt Falke nichts, gleichzeitig geben sie ein immer komplexer werdendes Bild über den jungen Mann ab, dessen Verbleib zum Politikum avanciert. Das alles ist zwar nicht gerade temporeich inszeniert, eine gewisse Behäbigkeit liegt über der Szenerie: Der Fall aber reißt es raus. Der Sohn eines Diktators – verschwunden. Politiker, die offensichtlich Angst davor haben, dass es kein Geschäft gibt (und die es zumindest für ihre Image-Kärtchen ganz gerne sähen, wenn im Land des Diktators für ein gutes Geschäft auch ein bisschen mehr Pressefreiheit einziehen würde). Und über alledem liegt die Frage: Liegt denn wirklich ein Verbrechen vor?
Leider kommt dieser «Tatort» nicht aus seinem Korsett heraus. Offenbar geht man in den Redaktionsetagen des Ersten davon aus, dass der deutsche Michel im «Tatort» mindestens eine Leiche sehen will. Es muss Blut fließen, sonst ist das kein «Tatort»! Wer hat diese Regel eigentlich aufgestellt? Inszenatorisch darf man Regeln brechen, siehe die Murot-«Tatort»e mit Ulrich Tukur, die schon einmal die vierte Wand durchbrechen und Realität und Fiktion miteinander verbinden. Oder man denke an den «Tatort: Limbus», in dem Jan Josef Liefers zwischen Himmel und Hölle festsitzt. Bitte, alles ist erlaubt, nur ein Stützpfeiler ist unumstößlich: Es muss gemordet werden! Womit die zweite Hälfte des Filmes in sich zusammenbricht. Es passiert eben doch noch ein schönes, bluttriefendes Verbrechen. Was für die Inszenierung bedeutet, dass sie keine Ahnung mehr hat, wohin sie sich eigentlich bewegen möchte.
Als Politthriller taugt der Film nichts. «Tyrannenmord» ist schlichtweg kein Politthriller. Es wird viel über Politik gesprochen, eine Konfrontation der politischen Kontrahenten jedoch findet auf dem Bildschirm nicht statt. Ein Jugenddrama ist der Film auch nicht, denn in dem Moment, in dem klar ist, in welch einem zerrissenen Leben Juan feststeckt, interessiert sich die Inszenierung nicht weiter für diesen Aspekt der Geschichte und baut ihn entsprechend auch nicht weiter aus. Womit Hanna, die anfangs prominent als eine Hauptfigur in die Geschichte eingeführt wird, irgendwann überhaupt keine Rolle mehr spielt. Ihre Figur geht dem Film schlichtweg verloren. Wenn «Tyrannenmord» weder Politthriller noch Jugenddrama ist, bleibt als Genre nur der Kriminalfilm. Als solcher aber ist «Tyrannenmord» dann auch eine derbe Enttäuschung, da schlichtweg fünf Minuten nach dem hier nicht näher beschriebenen Verbrechen feststeht, wer dieses Verbrechen begangen hat. Weitere fünf Minuten später lässt sich auch das Motiv recht genau vorhersagen. Damit bricht die Spannungskurve des Filmes nicht einfach in sich zusammen. Sie wird pulverisiert. Was folgt ist ein finaler Akt, der sich krampfhaft darum bemüht zu kaschieren, dass er eigentlich keine Geschichte mehr zu erzählen hat. 30 Minuten lang passiert nichts, was wirklich noch Relevanz besäße. Laufzeit wird mit Bildern gefüllt, bis 89 Minuten endlich herum sind.
Das Erste, Sonntag, 20. März 2022, 20.15 Uhr
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