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Denn: ProSiebenSat.1 ist derzeit großem Druck ausgesetzt. Das Unternehmen gilt als Verlierer der Digitalisierung und im Streaming. Der Anbieter Joyn, den man sich mit Discovery teilt, läuft schlecht. Der Mischkonzern verdient mit einem „Konglomerat, bestehend aus Fernsehen, E-Commerce und Dating-Portalen“, Zitat des MFE-Finanzchef Marco Giordani gegenüber dem „Handelsblatt“, Geld. Das eigentliche Kerngeschäft von ProSieben läuft zwar gut, aber immer mehr Teile des Unternehmens werden in den „Entertainment“-Sektor geschoben. Anfangs waren dort nur die Fernsehsender beheimatet, inzwischen sind dort auch die Produktionsfirmen und die YouTube-Creator.
Augenwischerei, das wissen auch die Aktionäre. Während die Analysten beispielsweise die RTL Group gut aufgestellt sehen, ist das Unternehmen aus Unterföhring in der Aktienkrise. Mit zwölf Euro pro Anteilsschein ist man nicht mehr weit von der Kirchpleite (knapp sechs Euro) und der Corona-Pandemie (6,87 Euro) entfernt. Von der Entwicklung von 2009, Finanzkrise (1,52€), ist man noch weit entfernt. Aber auch die besten Zeiten sind mit 49,60 Euro (vor dem Netflix-Start) weit entfernt.
Um die Übernahme durch MediaForEuropa abzuwenden, schickte man in Unterföhring Vertreter in die Bayerische Staatskanzlei. Der Bayerische Landtag hatte eine Verschärfung des Landesmediengesetzes verabschiedet, dass damit begründet wurde, dass die jüngste Novelle die „Sicherung der Unabhängigkeit und Vielfalt des privaten Rundfunks“ gewährleistet bleiben sollen. Für Branchenkenner ist die Aussage ein schlechter Scherz. Die ProSiebenSat.1-Gruppe setzt seit Jahrzehnten auf amerikanische Lizenzware, die Primetime ist gefüllt von Reality- und Unterhaltungsshows. Bei ProSiebenSat.1 wechseln sich höchstens die Titel der Programme ab, nicht etwa die Inhalte. Noch immer gilt es als Medienwitz, dass man als Ersatzprogramm auf einen Flop beispielsweise «Harry Potter» oder «The Big Bang Theory» senden könne – oftmals bedienen die Programmplaner auch noch dieses Klischee.
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Doch wer nicht global denkt, der bleibt im lokalen Stecken. Die Reichweiten der deutschen Privatsender sinken derzeit ähnlich schnell wie die Wertpapiere der ebenfalls im Münchener Umfeld beheimateten Firma Wirecard, deren Finanzchef sogar vor über 20 Jahren die Zahlungsunfähigkeit der Kirch-Pleite verschleiern wollte. Am Beispiel von Netflix sieht man, wie man sich von teuren Hollywood-Produktionen lösen kann. Das Unternehmen lässt inzwischen weltweit produzieren und kann zum Teil günstige Produktionen global anbieten. Mit Hilfe für MediaForEurope würde der Markt für fiktionale Produktionen von 84 um über 100 Millionen Zuschauer steigen.
Ein europaweiter Zusammenschluss mehrerer privater Sender ergibt Sinn, um hochwertige internationale Serien zu produzieren. Das hat Netflix mit «Dark» (Deutschland), «Lupin» (Frankreich), «Into the Night» (Belgien) und «Das Haus des Geldes» (Spanien) bewiesen. So schwierig ist es gar nicht, eine europäische Kooperation auf die Beine zu stellen, wie die European Alliance vom ZDF mit «Leonardo» und «In 80 Tagen um die Welt» beweist. Aber auch zahlreiche Koproduktionen wie «Die Brücke – Transit in den Tod» (Schweden), «Sløborn» (Dänemark) und «Vienna Blood» (Vereintes Königreich, Österreich), «Furia» (Norwegen) und «Spy City» (Tschechien, Vereintes Königreich) sind in den vergangenen Jahren durch europäische Kooperation entstanden. Doch ProSieben möchte lieber mehr «Die Stapelshow» am Samstagabend und einen «Promis unter Palmen»-Nachfolger für den Mittwoch. Zum Glück läuft ja noch «Harry Potter» als Alternative.
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