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Die Situation war also eine vergleichbare wie bei Leeds United, wo der neue Eigentümer Andrea Radrizzani Star-Coach Marcelo Bielsa verpflichten konnte. Gleich waren auch die Pläne der Berliner, die eine Doku-Serie im Stile der großen Vorbilder wie Dortmund, München, Manchester oder Sunderland und Leeds ihr Eigenen nennen wollten, weswegen man im Sommer 2020 die Produktionsfirma Pulse Films engagierte, die wiederum Lee Hicken gewinnen konnte, um die Doku-Reihe über die Saison 2020/21 umzusetzen. Erschienen ist sie bis heute nicht, und fest steht: Das Material wird nie das Licht der Öffentlichkeit erblicken, denn Windhorst hat über seine Holding-Firma der Veröffentlichung einen Riegel vorgeschoben. Mit an Bord war auch Oscar-Gewinner James Marsh («Man on Wire»). Kompetenz war also eigentlich mehr als vorhanden. Was ist schiefgelaufen?
"Brillante" Bilder, die die Öffentlichkeit nie zu sehen bekommt
Erstmals öffentlich äußerte sich Hicken nun gegenüber dem Fußballkultur-Magazin ‚11 Freunde‘. Darin heißt es, dass die Serie, die sich Windhorst angeblich bis zu drei Millionen Euro hatte kosten lassen, bei Netflix, Amazon oder DAZN hätte erscheinen sollen. Dementsprechend sei ein Veto-Recht, sowohl auf Vereins- als auch auf Tennor-Seite vertraglich festgeschrieben worden. Dass die komplette Arbeit im Giftschrank verschwand, begründete Tennor in Person von Unternehmenssprecher Andreas Fritzenkötter unter anderem damit, dass das Projekt „weder den abgesprochenen Vorstellungen noch professionellen Ansprüchen“ entsprach, wie er im März 2022 der ‚Sport Bild‘ sagte. „Das Material ist gigantisch und wäre Herthas Image und Fans Gold wert“, entgegnete Axel Kruse, ehemaliger Hertha-Spieler und Ko-Produzent der Serie über die Firma Farbfilm Media. Laut ‚11 Freunde‘ seien am Ende mehr als 100 Drehtage und 800 Stunden Rohmaterial zusammengekommen, Hicken und drei Kollegen aus Leeds waren für ein Jahr nach Berlin gezogen. „Es ist vielleicht das beste, was wir je gedreht haben. Die Bilder sind, entschuldigen Sie den Ausdruck: fucking brillant“, so Hicken in dem Bericht.
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Fritzenkötter behauptete im März zudem, dass sich ein hochrangiges Mitglied der Hertha-Geschäftsführung in „ehrabschneidender und herablassender Weise über Herrn Windhorst als Investor“ geäußert haben solle. Hicken wies diese Vorwürfe nun zurück: „Ich weiß nicht, was der Mann meint. Niemand hat Windhorst beschimpft, im Gegenteil, für meinen Geschmack waren die Hertha-Verantwortlichen sehr respektvoll und vorsichtig. Zudem wurde er nicht mal direkt mit Namen angesprochen. Wenn es hinter den Kulissen offensichtlich Streit gegeben hatte, sagten sie zum Beispiel ganz diplomatisch: ‚Es gibt kleinere Probleme mit den Investoren, wir sind aber guter Dinge, diese bald zu lösen.‘ Anscheinend war sogar das zu viel für Herrn Windhorst.“ Als Erklärung führte der Regisseur an: „Vielleicht war es eher die Summe von Kommentaren, die kein gutes Licht auf den Investor warf. Es hieß nun mal oft und von quasi allen: Wir wundern uns, wo das Geld bleibt. Wer die Aufnahmen sah, hat sofort verstanden, dass das Verhältnis zwischen dem Verein und Tennor nicht sonderlich gut sein kann.“
Keine offizielle Absage an Hicken
Besonders schmerzen dürfte Hicken, der Fakt, dass er eigenen Angaben zufolge nie eine offizielle Begründung seitens Tennor erhalten habe. Einzig Fritzenkötters Aussagen in der ‚Sport Bild‘ machten ihm endgültig klar, dass «Welcome to Berlin» – so der Arbeitstitel der Serie – nicht beendet werde. Eine Hertha-Mitarbeiter, der anonym bleiben wollte sagte sogar: „Tennor hat gegenüber Hertha in Bezug auf die Verzögerungen in der Produktion zunächst behauptet, Hicken sei seiner Arbeit nicht nachgekommen, nicht fertig geworden, habe kein Ergebnis geliefert. Eine glatte Lüge.“ Hicken fügte an: „Sie haben uns geghostet.“
Das Waschen schmutziger Wäsche überlässt Hicken den Tennor-Verantwortlichen. Er gibt sich eher verhalten und erklärt: „Ich kann über Windhorst oder Tennor nicht urteilen, weil ich die Leute nie persönlich kennengelernt habe. Was ich aber sagen kann: Hertha drücke ich bis heute die Daumen, Arne Friedrich (ehemaliger Sportdirektor der Hertha, Anmerkung der Redaktion) würde ich als Freund bezeichnen, ich schaue mir die Spiele an, ich verfolge sogar, was die Ex-Spieler machen.“ Eine Spitze fügt er aber noch an, er hätte sowas weder davor noch danach auch nur ansatzweise erlebt. Aktuell arbeitet er an einer Dokumentation über den schottischen Klub Glasgow Rangers und dessen Europapokalsieg 1972. Das Chaos um «Welcome to Berlin» hat damit vor allem Hertha und insbesondere Lars Windhorst geschadet, der Ruf von Lee Hicken hat weniger gelitten, was auch Kruse so unterschreiben dürfte, er erneuerte seine im März getätigte Kritik, als er Windhorst als „doof“ bezeichnete. ‚11 Freunde‘ sagte er nun: „Meine Wortwahl in Bezug auf den Typen war im Podcast vielleicht etwas drüber, zu explizit. Aber, und das können Sie ruhig schreiben: Inhaltlich rücke ich von dem, was ich gesagt habe, keinen Millimeter ab.“
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