Die Kritiker

«Tatort – Liebeswut»

von

Ein Brand in einem Mietshaus. Eine von Innen verschlossene Tür. Dahinter eine Leiche mit einem Kopfschuss. Selbstmord? Wahrscheinlich. Das Problem: Die Kinder der Frau sind verschwunden. Für die Kommissarinnen Moormann und Selbs tickt die Uhr.

Stab

REGIE: Anne Zohra Berrached
DREHBUCH: Martina Moucot
KAMERA: Christian Huck
MUSIK: Christian Ziegler, Jasmin Reuter, Martin Glos
SZENENBILD: Irene Piel
HERSTELLUNGSLEITUNG: Jan Philip Lange
PRODUZENT: André Zoch
REDAKTION: Thomas von Bötticher
DARSTELLER: Jasna Fritzi Bauer, Luise Wolfram, Matthias Matschke, Aljoscha Stadelmann, Dirk Martens, Ulrike Krumbiegel, Thomas Schendel, Milena Kaltenbach
Haha, nein, in diesem «Tatort» tickt gar nichts, obwohl so ziemlich alle handelnden Figuren nicht ganz sauber im Oberstübchen ticken. Auch stellt sich die Frage, wie man bei Radio Bremen tickt, wenn man so einen «Tatort» durchwinkt? Einen Film, der Schwergewichte televisionärer Unterhaltungskost wie Matthias Matschke, Aljosha Stadelmann und nicht zuletzt Dirk Martens zu schauspielerischen Leistungen verdammt, deren Darbietung die Mitglieder der Laienschauspielertruppe der Schlafwagenschaffnervereinigung Dortmund-Dorstfeld-Süd direkt zur Aufgabe ihrer Amateur-Bühnentätigkeit im Hinterhof der alten Kokerei Koslowski in Castrop-Rauxel-Ickern veranlassen würde. «Liebeswut» ist kein Film, der gescheitert ist. Auf einen gescheiterten Film klebt man eine 160-Cent-Briefmarke, schickt ihn ins Nirgendwo und niemand redet mehr darüber. Oft liest sich eine Geschichte als Drehbuch großartig. Doch dann geht etwas auf dem Weg zwischen dem letzten Punkt der letzten Klappe daneben. Und das so sehr, dass auch die Montage nichts mehr retten kann.

Dieser Film aber lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass er so sein soll. Genau so. Voll mit irrlichternden Figuren, die chargieren statt spielen, mit einer Kamera, die sich am ganz großen Bild versucht, aber keine Ruhe in eben jenes bekommt. «Liebeswut» will David Lynch sein. Da darf die besagte Kamera auch schon einmal über dem Geschehen schweben, da darf das Bild auf dem Kopf stehen und im Schnitt dürfen Fantasie und Realität gerne einmal in einem Bild miteinander verschwimmen. Alles Lynch, ist klar. Ein bisschen Spannung oder weniger irrlichternde Figuren hätten dem Film allerdings auch irgendwie gutgetan. So ein ganz kleines bisschen.

Schon die Eingangsszene sorgt für ein erstes Augenrollen, wenn sich die Kommissarin Selb ein bisschen darüber ärgert, dass es bei einem Wohnungsbrand nichts zu tun gibt. Klar, so eine fesche Leiche, die bringt Stimmung in den grauen Beamtenalltag. Ihre Kollegin Moormann hat allerdings ein seltsames Gefühl im Bauch. Irgendetwas stimmt in dem Obergeschoss nicht, in dem es gebrannt hat. Ein Ohrenzeuge will einen Schuss gehört haben, bevor das Feuer ausbrach. Was, wenn er sich nicht verhört hat. So finden sie tatsächlich eine Tür, die von außen auf den ersten Blick zugemauert erscheint. Was sie aber nicht ist. So kommt hinter dieser Kommissarin Selb somit dann doch noch auf ihre Kosten. Da liegt eine Frau in ihrem roten Hochzeitskleid mit einer Schusswunde in der Stirn. Selbstmord? Die Anzeichen deuten darauf hin. Dennoch werden natürlich Ermittlungen gestartet. Während der Tatortsicherung erscheinen die Eltern der Toten auf der Bildfläche. Das macht dramaturgisch natürlich Sinn.

Wer ist die Tote? Wie sieht ihre Familie aus? Et cetera.
Dennoch entwickelt sich eine Szene, die die Frage in den Raum stellt, warum beim Dreh niemand Einspruch gerufen hat? Der Kameramann, der Produzent, die studentische Hilfskraft, die das Team mit Kaffee versorgt? Da kommen die Eltern der Toten an den Tatort, sichtlich aufgewühlt und Kommissarin Linda Selb fängt sie nicht etwa ab, um sie auf die Tragödie vorzubereiten. Sie lässt die Mutter vielmehr mal ganz ungestört einen Blick ins Innere werfen, wo Männer und Frauen in Schutzanzügen rund um den Leichnam der Tochter Spuren sammeln. Wer da als Angehöriger kein Trauma erleidet, muss schon ziemlich abgehärtet sein. Statt also die Eltern zur Seite zu nehmen, ihnen eine psychologische Betreuung zukommen zu lassen, nutzt Linda Selb vielmehr die Gunst der Stunde. Die Wände im Zimmer sind mit christlichen und ähnlichen Botschaften beschmiert. Ist das die Handschrift ihrer Tochter, fragt sie.

Mehr Nicht-Empathie lässt sich in eine Inszenierung nur unterbringen, wenn man Linda Selb am Tatort vielleicht noch ein Mettbrötchen in die Hand gedrückt hätte.

Um eines klar zu sagen: Es geht nicht um die Abbildung von Realität in einer solchen Szene. Es geht um Plausibilität. Eine Plausibilität, die sich etwa aus den Lebenswelten, in denen die Zuschauerinnen und Zuschauer leben, ergeben. Wäre es plausibel in einem solchen Moment so zu handeln wie Selb?

Die Ermittlerinnen stehen nun vor einem Problem. Die beiden Töchter der Toten sind weg. Ihr Vater sollte sie von der Schule abholen. Aber er hat sich verspätet. Und da waren die Kinder fort. Dieser Vater wird von Matthias Matschke gespielt. Matschke soll einen Mittvierziger darstellen, der vom Geist her in seinen frühen 20ern verhaftet geblieben ist. Er ist zu cool, er ist zu crazy, er ist – peinlich. Matschke bemüht sich im Verlauf dieses Filmes, seiner Figur etwas Liebenswertes zu verpassen. Vielleicht mag dieser Typ ja etwas seltsam sein und für ein verantwortungsvolles Leben einfach nicht geschaffen – er hat seine Frau verlassen und seine Freunde erwartet bereits das nächste Kind: Aber er ist nicht böse. Das Problem: Im Rahmen der Inszenierung behandeln ihn Selb und Moormann wie einen Spacken – und da die Inszenierung ganz hinter den Ermittlerinnen steht, sie dominant erscheinen lässt, den Bildschirm beherrschend, behandelt auch die Inszenierung diesen Thomas Kramer, so lautet sein Name, wie einen Pannemann. Da freut sich der Bildungsbürger, der einmal mehr in seiner Annahme bestätigt wird, dass Menschen, die in eher schwierigen Umfeldern leben, nun einmal keine stinknormalen Menschen sein können, die einfach stinknormalen Jobs nachgehen.

Warum das Umfeld schwierig ist? Jedoch, die Bewohnerschaft des Hauses, in dem die Leiche gefunden wird, agiert eher auf einem sozial forderndem Niveau. Beim Betreten des Hauses etwa schreien sich gleich ein paar Nachbarn gewaltig an. Einer trägt dabei ein Feinripp-Hemd, unter dem sein Schwabbelbauch hervorquirlt, er ist natürlich unrasiert und wirkt generell ungepflegt – aber er lutscht einen Flutschfinger. Das ist doch schön. Über ihm ist gerade die Wohnung abgebrannt, aber - na und? Da lässt man sich doch das Eis am Stiel nicht vermiesen. Erster Auftritt Aljoscha Stadelmann in der Rolle des Gernot Schaballa. Schaballa verhält sich im ersten Gespräch mit den Kommissarinnen als sei er Nabukovs Lolita – allerdings nach dem ausgiebigen Rauchen von Uhu-Alleskleber. Stadelmann, der als Hauptdarsteller der Krimiserie «Harter Brocken» den Bildschirm rockt, erschafft eine Figur der Figur wegen. Nichts an diesem Gernot Schaballa wirkt echt. Schaballa ist eine Kunstfigur der Kunst wegen, eine Idee, die aber nie zu Ende gedacht worden ist, denn was die Figur am Ende darstellen soll? Niemand weiß es.

Wer allerdings glaubt, schlechter lässt sich eine Figur nicht zeichnen, wird bald schon eines schlechteren belehrt: Auftritt Dirk Martens. Der gebürtig aus dem Ruhrgebiet stammende Schauspieler ist für gewöhnlich eine sichere Bank, ein Schauspieler, der routiniert vom ZDF-Herzkino bis zum düsteren Psychothriller seine Figuren für gewöhnlich nicht nur überzeugend darstellt, sondern zumeist auch mit Tiefe versieht. Er ist Joachim Conradi, der Hausmeister der Schule der Mädchen, der sich beim Eintreffen der Polizistinnen seltsam verhält. Conradi schlägt sich wahlweise die Hände an den Kopf, blickt panisch in die Welt, atmet schnell. Dass er durchaus seine Gründe haben mag, steht außer Frage. Doch das ständige zelebrieren seines Wahnsinns oder, wie man im Ruhrgebiet sagt, der Beklopptheit, wirkt nie erschreckend oder verstörend. Es wirkt lächerlich. Was ein Muster erkennen lässt. Auf der einen Seite die taffen Frauen. Auf der anderen Seite drei Männer, die wahlweise lächerlich oder infantil wirken. Dass der Vater der Ermordeten auch noch ein ziemlich unsympathisches Ekel ist, sei in diesem Zusammenhang nur am Rande erwähnt; immerhin hat Thomas Schendel, sein Darsteller, Glück: Er darf einfach einen widerlichen Menschen ohne Flutschfingerfetisch oder infantilem Gehampel sein Gesicht leihen!

Es spielt im weiteren Verlauf der Handlung demnach überhaupt keine Rolle, welche dunklen Geheimnisse (oder auch nicht) über die Herren ans Tageslicht gezerrt werden. Sie sind Witzfiguren. So wie auch ein Streifenpolizist, der Moormann mehrfach zu verstehen gibt, nicht viel von ihr zu halten, weil sie klein ist.

Ja, so sind Männer.
Gute Güte.

Nun ist dies, man vergisst es fast, ein «Tatort» und der erzählt die Geschichte von zwei verschwundenen Kindern. Und was würde wohl besser zu einem solchen Fall passen als ein – ganz genau: ein großartiges Trauma.

Da atmet der deutsche Krimifreund auf. Es ist die Kommissarin Moormann, in der verschüttete Erinnerungen an die Oberfläche gespült werden. Das gibt Raum für Charakterzeichnung und Befangenheit, die den objektiven Blick für das Geschehen trübt. Ach, es ist einfach wunderbar.
Ironiemodus off...

«Liebeswut» liegt ein Drehbuch zugrunde, das alle Ingredienzien eines Spannungsthrillers beinhaltet. Eine tote Frau. Seltsame Schmierereien auf den Wänden ihres Todeszimmers. Zwei verschwundene Mädchen. Das alles bietet Futter für 90 Minuten vorwärts orientiertes Aktionskino. Die Macherinnen und Macher haben sich allerdings für die Inszenierung eines verquasten Pyscho- Kopfkunstkinostücks entschlossen, in dem überkandidelte Figuren 90 Minuten lang theatralisch den Bildschirm bevölkern.

Am Sonntag, 29. Mai 2022, 20.15 Uhr, Das Erste

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