Sie sind ab 9. Juni in «In aller Freundschaft – Die jungen Ärzte» zu sehen. Wie würden sie ihre Rolle beschreiben?
Alica Lipp durchschaut Menschen anhand ihrer Körpersprache oder liest Situationen, auch wenn sie nicht alles mitbekommt. Sie ist offen und etwas stur. Sie weiß einfach, dass sie gut ist in ihrem Job!
Sie verkörpern eine gehörlose Schauspielerin und sind selbst seit früher Kindheit taub. Inwieweit sind Sie beeinträchtigt am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen? Wie inklusiv ist Deutschland im Hinblick auf gehörlose Menschen?
Nicht sehr inklusiv, würde ich sagen. Auch wenn es Bemühungen gibt, kann ich nicht einfach in ein Theaterstück oder zu einem Vortrag gehen, der mich interessiert. Die meisten Schulen für Gehörlose sind nicht barrierefrei und auch nicht wirklich inklusiv. Das Studium für gehörlose Pädagogen bedient sich einem alten Bild, zukünftige Lehrer tauber Kinder können somit oft nicht gebärden.
Am Set gibt es natürlich Anweisungen von Regisseuren und Sie schauen nicht immer in die Kamera. Wie wird zwischen Ihnen und der Regie kommuniziert?
Ich habe Dolmetscherinnen am Set. Lichtsignale werden nicht gesetzt. Aber so schwer ist es nicht, man findet immer Lösungen: Manchmal ist es der Regieassistent, der ein Zeichen gibt, manchmal ein Statist, der losläuft.
Mit drei Jahren starteten Sie mit Ballett, zehn Jahre später entdeckten Sie den Hip-Hop. Wie nehmen Sie die Musik wahr?
Ich fühle sie, entweder im Inneren oder im Außen via Bass!
Beim Eurovision Song Contest werden seit ein paar Jahren auch Gebärdensprach-Dolmetscher engagiert, die die Musik erlebbar machen sollen. Nutzen Sie solche Angebote?
Mir fehlt die Zeit dazu. Aber wussten Sie, dass nicht nur Gebärdensprach-Dolmetscher sondern auch taube Gebärdensprach-Dolmetscher wie Rafael Evitan und taube Performer engagiert sind? Das bekomme ich über die Community via Internet und Videos mit.
Wie könnte man Ihrer Meinung nach das Fernsehen für taube Menschen effektiv und sinnvoll umbauen?
Eine gebärdensprachige Moderatorin wäre toll. Taube Rollen in Spielfilmen zeigen, die Charakter haben und nicht auf ihre Taubheit reduziert werden. Man könnte mit tauben Synchronsprechern arbeiten und Sendungen zeigen, die auch aufklären. Denn der Bedarf ist hoch: Ich mache ständig Aufklärungsarbeit und eigentlich ist das nicht mein Job. Es fehlt an Begegnung zwischen Hörenden und Tauben. Gehörlose wurden zu lange an den Rand der Gesellschaft gedrängt!
Wie konsumieren Sie eigentlich Fernsehen?
Es mag in meiner Lage als Schauspielerin komisch klingen: Aber ich konsumiere fast kein Fernsehen. Ich bin immer ins Kino gegangen - in internationale Filme mit Originalton mit Untertitel (OMU). Ich liebte vor allem die Französischen und Spanischen. Zudem nutze ich Streaming-Dienste wie Netflix. Sie sind barrierefreier im Vergleich mit dem Fernsehen. Bei jedem Film deiner Wahl sind Untertitel zuschaltbar. Deshalb sind Streaming-Dienste bei Gehörlosen und Menschen mit anderer Sprache sehr beliebt.
Bei der Animationsserie «Die Simpsons» wurde kürzlich die erste taube Person in die Handlung eingebaut, die auch von einer tauben Person „gesprochen“ wurde. Sind solche Entwicklungen wichtig für die Gesellschaft?
Ja, ich finde sie sehr wichtig. Ich habe auch einen Animationsfilm auf AppleTV+ eingesprochen - «El Defo», die Geschichte stammt aus der Feder einer tauben Autorin und ich bin die deutsche Offstimme. Hören Sie doch mal rein. Ich finde es gut und wichtig, denn Taube haben einen anderen Akzent und es wirkt authentischer. Zudem wusste ich, wovon die Rolle spricht. Ich kannte das meiste aus eigener Erfahrung. Wir können auch einsprechen, das ist wichtig zu erkennen. Denn uns wird noch viel zu wenig zugetraut.
Sollten generell Rollen, in der benachteiligte Menschen zu sehen sind, von solchen Menschen gespielt werden?
Ja, absolut! Die Behinderung macht nicht den Charakter aus. Die Darstellung der Rollen wird authentischer und durch unser Wissen werden die Charaktere sogar interessanter. Es ist manchmal erschreckend, was Hörende für ein Bild über Gehörlose haben. Man sieht dann Hörende Schauspieler ohne Mimik gebärden. Aber die Mimik ist unsere Klangfarbe, unsere Möglichkeit der Betonung und Ausdruck unserer Stimmung. Im Film wird das oft weggelassen. Wenn Hörende unser feines Auge für Gebärdensprache hätten, würden sie es selbst sehen und verstehen. Man nimmt doch auch keinen Sprachanfänger für einen türkischen Film. Warum erlaubt man es sich hier? Mit den Händen zu fuchteln, reicht manchen schon. Ich könnte etwas ganz anderes gebärden und sie würden es nicht merken. Vielleicht sollte ich das mal ausprobieren (lacht).
Das öffentlich-rechtliche Fernsehen ist seit Jahren in Sachen Barrierefreiheit bekannt, vermissen Sie das fehlende Engagement bei Streaming-Diensten und den privaten Fernsehsendern?
Hmmh… also Streaming-Dienste sind nicht so schlecht, wenn Untertitel zuschaltbar sind. Aktuell läuft bei Netflix zum Beispiel «Deaf U Reality TV» in der berühmten Gehörlosen-Uni der USA und bei Audible ein Kurzfilm. Trotzdem könnte es mehr sein. Taube Charaktere in Spielfilmen vermisse ich sowohl bei Streaming-Diensten aus auch beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Wir können so viel mehr und es gibt noch so vieles zu erzählen…
Danke für Ihre Zeit!
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