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Allerdings haben sich südkoreanische Serien durchaus in den letzten Jahren auch im Westen ein Publikum erspielt, trotz der sehr speziellen Erzählweise. Daran ist Netflix nicht unschuldig, denn Netflix hat viele Serien für den internationalen lizenziert. Auf den asiatischen Märkten spielen koreanische Serien auf Augenhöhe mit amerikanischen Produktionen. In Europa hat Netflix immerhin dafür gesorgt, dass die Serien zugänglich geworden sind. Die meisten, die man auf Netflix findet, sind entsprechend nicht synchronisiert, sondern nur untertitelt. Aber sie sind da. Womit Netflix einen ersten Schritt vollzogen hat, um südkoreanische Serien aus der Fan-Nische ins Hauptprogramm zu hieven.
Im zweiten Schritt hat Netflix dann das getan, was Netflix gerne macht, wenn es darum geht, Aufmerksamkeit zu generieren: Der Streaminggigant hat Talente eingekauft. So nennen das die Amerikaner. Sie haben keine Serienideen von sich aus entwickelt. Sie haben Filmemacher eingekauft. Um diese für Netflix zu ködern, legt ihnen der Streamingdienst für gewöhnlich ein Leckerchen aus, das da heißt: Carte Blanche. Die zu ködernden Kreativen bekommen quasi die Möglichkeit, ein Projekt in ihrer Heimat durchzuziehen, dass sie im „traditionellen“ TV nie unterbekommen hätten. Um eines dabei klar zu sagen: Diese Talente sind Vollprofis. Netflix muss da keine Angst haben, dass die als Projekt das Telefonbuch von Castrop-Rauxel in 26 Episoden verfilmen wollen. Netflix gibt ihnen vielmehr die Möglichkeit ein Projekt anzugehen, das sie nicht nur den Schecks wegen machen, sondern weil es auch wirklich machen wollen.
Auftritt Hwang Dong-hyuk. Jenseits seiner koreanischen Heimat war dieser Filmemacher bislang ein eher unbeschriebenes Blatt; in seiner Heimat aber hat er mit seinen (wenigen) Filmen Millionen Kinogänger in die Kinos gelockt. Seinen Durchbruch erlangte er 2011 mit einem für koreanische Verhältnisse ungewöhnlichem Film: «Dogani» (internationaler Verleihtitel: «Silenced») erzählt vom institutionalisierten Missbrauch von Schülerinnen und Schülern einer Gehörlosenschule und den Versuch durch Behörden-, Polizei- und Kirchenvertretern, diese Verbrechen zu vertuschen. 4,7 Mio Menschen sahen den Film in den Kinos, der ein großes Medienecho auslöste, da Hwang Dong-hyuk mit der auf einer wahren Begebenheit basierenden Geschichte gleich zwei brisante Themen aufgriff. Einmal natürlich den Missbrauch von Schutzbefohlenen, zum anderen aber auch die Macht von Seilschaften, die hinter den demokratischen Institutionen agieren. Hwang Dong-hyuk größter Kinoerfolg war 2014 eine Komödie mit dem Titel «The Granny» über eine alte Dame, die auf wunderliche Weise ihrem 20 Jahren alt Ich begegnet und 8,65 Millionen Zuschauer in die Kinos lockte. Auch wenn die Filme Hwang Dong-hyuk international bislang eher wenig Beachtung gefunden haben, eine Ausnahme ist das Schlachtgetümmel «The Fortress», das auch in Deutschland auf DVD erschienen ist, hat Hwang Dong-hyuk in seiner Heimat einen guten Namen.
Vor allem aber hatte er ein Projekt in der Schublade liegen, mit dem er seit 2008 regelmäßig die Klinken potenzieller Finanziers putzen ging, um ebenso regelmäßig für dieses Projekt eine Abfuhr zu erhalten. Die Serie war den Senderredakteuren zu düster, zu brutal, zu sozialkritisch, zu alles... Der Titel des Projektes: «Ojing-eo Geim». Oder auch «Squid Game».
Mit diesem Erfolg konnte niemand rechnen!
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Es ist also anzunehmen, dass man es sich im Hause Netflix mit der Entscheidung einer Produktion nicht allzu schwer gemacht haben wird. Wer jedoch behauptet, mit einem Erfolg in diesen Dimensionen auch nur ansatzweise gerechnet zu haben, erzählt noch ganz andere Märchen.
Lautet die Überschrift nicht, einen Erklärungsversuch für den Erfolg unternehmen zu wollen? Ja, so lautet die Überschrift. Doch manchmal versagt selbst der Filmanalyst und muss sich eingestehen: Es mag viele Erklärungsansätze geben. Aber so etwas wie die eine Erklärung, die gibt es schlichtweg nicht.
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