Das Zweite Deutsche Fernsehen versucht sich seit Ende April bis Anfang August mit «ZDFzoom» neu zu entdecken. Die drei verschiedenen Reihen namens „Die Spur“, „Digital Empire“ und „Grauzone“ setzen völlig verschiedene Themenschwerpunkt. Vorneweg: Den Mut das Format zu überarbeiten, haben nicht viele Fernsehmacher. Schon in der Vergangenheit hat man unter anderem mit Sportreporter Jochen Breyer die Reihe „Am Puls Deutschlands“ umgesetzt, die inhaltlich zu überzeugen wussten – auch wenn dies keine Dokumentation im klassischen Sinne war.
Die Neuerfindung von «ZDFzoom» erfolgte im bereits Ende April, insgesamt wurden fünf Filme von der Firma K2H produziert. Im Mittepunkt dieser Formate stand eine junge Bildsprache mit spürbar klickaffinen Themen. Da war der Fleischproduzent Tönnies, der sich natürlich immer gut durch den Wolf drehen lässt. Oder eine Reportage über den ehemaligen Popsänger Xavier Naidoo, der sich vor wenigen Monaten geläutert zeigte. Die Reporter Salwa Houmsi und Milan Panek wollten wissen, wie viel wirklich an Naidoos Entschuldigung dran war. Mit Mieten und Grundstückspreisen holte man ein Dauerbrenner-Thema hervor, der einige interessante Fakten über spezielle Landstriche aufdeckte. Die Flut im Ahrtal gehörte im Frühsommer natürlich zum Programm von ARD und ZDF.
Seit Juni dürfen sich die Kollegen von finally in vier Reportagen austoben. Gestartet ist die Reihe mit dem Film „Programmierte Ungerechtigkeit“. So haben die Fernsehmacher die Probleme der Algorithmen aufgedeckt. Schlicht gesagt: Vorurteile, die zum Teil wahr sind, werden mit Hilfe der künstlichen Intelligenz verstärkt. Vor allem werden Frauen systematisch benachteiligt. Ozlem Türeci wurde von Google bei der Suche zunächst nur als Ehefrau von Biontech-Geschäftsführer Uğur Şahin aufgeführt, obwohl sie an der Entwicklung des Mainzer Impfstoffes beteiligt war. Als der Suchmaschinenanbieter dies veränderte, zeigten die Maschinen schlicht den Begriff „Medizinerin“ an.
Frauen werden durch die künstliche Intelligenz nicht nur systematisch benachteiligt – unter anderem bei der Vergabe bei der Kredithöhe. Die Algorithmen bevorzugen in den sozialen Medien weiße Menschen, weshalb eine im Film vorkommende Unternehmerin namens Jen Martens ihr Unbehagen mitteilt. „Mir fällt grundsätzlich auf, dass wenn ich einen schwarzen Menschen poste, dass es nicht verbreitet wird. Ich muss dazwischen immer eine weitere weiße Person posten, damit der Algorithmus greift.“
Ärztin, Ingenieurin und Professorin für digitale Medizin und Interoperabilität Sylvia Thun teilte den Autoren des Filmes von Edith Löhle und Lena Nagel mit, dass gerade die Symptom-Checker-Apps, hinter denen eine künstliche Intelligenz steckt, eine Ungleichbehandlung zwischen den fördert. Im Fall vor der Kamera sollen Männer das Krankenhaus aufsuchen, Frauen sollen sich einfach nur aufs Sofa setzen.
Die Verantwortlichen hinter diesem Projekt haben einen ehrgeizigen Film geschaffen, der auf die wirklichen Probleme aufmerksam machen möchte. Doch leider hätten sie mehr Budget für die Bildsprache einplanen sollen. Zwar werden die einen oder anderen Grafiken eingebunden, aber die „Digital Empire“-Reihe hat eben das Stilmittel, dass die Protagonisten in ihrer Wohnung auf einem Stuhl sitzen und von den Problemen berichten. Das wirkt bei einem Film von jeweils 30 Minuten leider doch langweilig, so interessant die Informationen auch sind.
Spannend wird das Thema „Grauzone“, in der ab Ende Juni Themen wie Verhütung, Atomkraft und Lobbyismus besprochen werden. Da wäre beispielsweise die Pille für die Frauen, die hormonverändert sein soll. Zahlreiche Frauen zwischen 20 und 30 Jahren, die Medikamente abgesetzt haben, sprechen von deutlich besseren Erfahrungen. Würden Männer eine tägliche Pille schlucken, die ihren Körper so dermaßen angreift? Christian Stöcker und Pola Nathusis informieren sich über den aktuellen Forschungsstand. Bleibt zu hoffen, dass die Banijay-Produktion „Zwischen Pillen-Profit und fairer Verhütung“ nicht die Protagonisten miteinander ausspielt, sondern das Thema Verhütung – wie auch der Spaß im Schlafzimmer – einen gemeinsamen Konsens sucht.
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