Stab
REGIE: Andreas KleinertDREHBUCH: Sönke Lars Neuwöhner, Sven S. Poser
PRODUKTION: Martin Choroba, Ferdinand Freising
MUSIK: Daniel Michael Kaiser
KAMERA: Johann Feindt
SCHNITT: Gudrun Steinbrück-Plenert
DARSTELLER: Miroslav Nemec, Udo Wachtveitl, Jenn Schily, Peter Franke, Martin Leutgeb, André Jung, Anna Grisebach
1987 hat Alois Meininger am Isarufer eine junge Frau ermordet. Verurteilt wurde er nicht nur zu lebenslänglich. Aufgrund der Schwere der Tat wurde außerdem eine Sicherheitsverwahrung angeordnet. So wurden aus den 15 Jahren, die normalerweise als eine lebenslange Strafe betrachtet werden, über 30 Jahre. Schließlich stellten Gefängnistherapeuten fest, Meininger sei keine Gefahr mehr für die Gesellschaft. Er kam auf freien Fuß. Kurz nach seiner Entlassung hat er am Isarufer eine junge Studentin umgebracht.
Sie wenden sich an den Münchner Neuropsychologen Prof. Vonderheiden, der im Rahmen eines wissenschaftlichen Projektes an der Erforschung der Weiterentwicklung der so genannten Reminissenz-Therapie arbeitet, einer Therapie, die an Demenz erkrankten Menschen helfen soll, indem man ihre Erinnerungen quasi reaktiviert. Der Therapieansatz geht davon aus, dass im Langzeitgedächtnis vorhandene Erinnerungen auch im Alter noch gut verfügbar sind. Therapeuten versuchen, diese Erinnerungen durch äußere Reize lebendig zu halten. In der tatsächlichen Praxis von Therapeuten arbeiten diese oft mit so genannten Erinnerungskoffern, in dem sie persönliche Gegenstände der Erkrankten aufbewahren. Wenn diese nun solch einen Koffer öffnen, wird oft ein Reiz ausgelöst, der längst vergessene Erinnerungen wieder auferstehen lässt.
Progessor Vonderheiden geht in seinem Projekt allerdings einen ganzen Schritt weiter. Er arbeitet mit Theaterbühnen, deren Dekorationen die Vergangenheit simulieren. Da gibt es etwa eine Bühne, die einen Partyraum der frühen 60er darstellt. Ob die Tapeten, die Sessel und Tische, die Musik, die aus der Musikbox kommt: Das alles entspricht den Bildern der Zeit, sogar die Kleidung der Therapeuten ist dieser Zeit angepasst.
Womit der Bogen zurück zum Fall gespannt wäre.
Die Kommissare wissen, dass Alois Meininger der Mörder ist. Meininger litt an diversen psychischen Erkrankungen und befand sich 1987 in Behandlung eines Therapeuten namens Dr. Norbert Prinz. Nach dem Mord an der jungen Frau 1987 berichteten die Zeitungen, der Mörder habe die Haare des Opfers angezündet, was einer Fantasie Meiningers entsprach. Prinz half dabei, Meininger zu überführen. Im Rahmen der Ermittlungen ist den Fahndern dann ein Fehler unterlaufen. In einer Befragung hat Prinz den Ermittlern erzählt, Meininger in seinem so genannten Bunker besucht zu haben, Meiningers persönlichem Versteck, in dem er untertauchte, wenn er Ruhe brauchte. Leider hielten es die Beamten seinerzeit für unnötig, in den Akten zu vermerken, wo sich dieser Rückzugsort befunden hat. Franz Leitmayr und Ivo Batic gehen davon aus, dass sich Meininger wieder in diesem „Bunker“ versteckt. Dafür müssen sie mir Prinz sprechen, was jedoch alles andere als einfach ist. Prinz, der sich selbst als Lehrender mit der Thematik Demenz befasste, ist schwer an Demenz erkrankt und vollkommen unzugänglich.
Was Professor Vonderheide ins Spiel bringt. Franz Leitmayr und Ivo Batic bitten ihn, auf einer Bühne eine Kulisse zu errichten, die Prinz' Praxis aus dem Jahr 1987 entspricht. Sie planen eine Zeitreise mit dem Therapeuten in der Hoffnung, dass diese äußeren Impulse Erinnerungen bei ihm freisetzen, die vielleicht einen weiteren Mord verhindern können.
Keine Frage, die Geschichte ist gewagt und in der Realität würden die meisten Therapeuten wohl kaum an einem solchen Experiment teilnehmen. Doch dies ist die Fiktion und in dieser Welt, die der realen Welt angelehnt ist, aber doch nach ihren eigenen Regeln funktioniert, machen die Autoren schlichtweg alles richtig.
Ein untergetauchter Mörder.
Die Gefahr, dass er wieder zuschlägt.
Keine Zeugen.
Und die einzige Spur lebt in ihrer eigenen Welt.
Obwohl das alles in Sachen Kamera und Schnitt sehr gemächlich inszeniert wirkt, erzeugt der Film aus seiner Handlung heraus Tempo. Wie ein Damoklesschwert hängt der Faktor Zeit über den Geschehnissen, während im Mittelpunkt des Interesses ein fragiler, alter Mann steht, dessen Gehirn nach eigenen Regeln funktioniert. Übt man Druck auf ihn aus, wird man genau das Gegenteil erreichen, das man erreichen will.
«Tatort: Flash» ist ein origineller Kriminalfilm, der beweist, dass eine ruhige, ja behäbige Inszenierung Spannung nicht ausschließt, wenn die Geschichte stimmt und gut aufgelegte Schauspieler dann noch etwas fürs Auge liefern. So wie Peter Franke in der Rolle des dementen Therapeuten, der mal offen und zugänglich wirkt, um im nächsten Moment in sein inneres Gefängnis zurückzukehren – einen Körper, aus dem sich der Geist mit jedem Tag etwas mehr verabschiedet.
Dass die Geschichte dann auch noch ein paar Haken schlägt und sich nicht einmal davor scheut, die gesamte Handlung auf eine Schlusspointe hinauslaufen zu lassen, heben diese «Tatort» deutlich über Durchschnitt.
Am Sonntag, 19. Juni 2022, Das Erste
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