Seit der deutschen Wiedervereinigung sind die Auflagen von Tageszeitungen im freien Fall. Noch im Jahr 1991 wurden über 27 Millionen Zeitungen pro Tag verkauft oder im Abonnement mitgenommen, im Jahr 2019 sank die Zahl auf 13,5 Millionen Konten. Mit der Corona-Pandemie konnten die gedruckten Tagesblätter, die natürlich auch digital inzwischen gut aufgestellt sind, mit Hintergrundberichten die Leser nicht überzeugen. In Pandemie-Jahr verabschiedeten sich weitere eine Million Zahler, im Jahr 2021 musste man sich von weiteren 200.000 Zahlern verabschieden.
Die Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V. (IVW) erfasst schon seit vielen Jahren die digitalen Aufrufe und Bezahlkonten. Spitzenreiter ist die Axel-Springer-Gruppe, die vor Ewigkeiten den digitalen Schritt wagte. Die ‚Bild‘-Zeitung kommt auf fast 600.000 digitale Zahler, WELTplus über 200.000 Abonnementen. Prächtig entwickeln sich auch die ‚Süddeutsche Zeitung‘ (128.031 Digitalabos) und ‚Frankfurter Allgemeine Zeitung‘ (86.400). Die genauen Zahlen vom ‚Spiegel‘ liegen nicht der IVW vor, aber das Unternehmen war zuletzt sehr zufrieden.
Doch abseits der großen überregionalen Tageszeitungen ist das Geschäft mit Informationen sehr überschaubar geworden. Die Verlagsgruppe Madsack, die beispielsweise zahlreiche Zeitungen zwischen Rostock (Ostsee-Zeitung) und Gelnhausen (Neue Zeitung) betreibt, bietet keine Kombination ihrer Tageszeitungen an. Man meint wohl, dass die Hannoveraner nur die eigene Haus- und Hofzeitung abonnieren, und nicht vielleicht noch die aus Göttingen. Wie hoch ist denn tatsächlich das Potenzial, dass ein Münchner eine Zeitung aus Berlin abonniert, nur weil aufgrund der Algorithmen ein interessanter Artikel vorgespült wird.
Seit unzähligen Jahren fordert man von den ARD-Sendern, trimedial zu arbeiten. Heißt: Der Fernsehredakteur macht einen Hörfunkbeitrag und schreibt noch den Bericht für die Homepage. Warum die hohen Verlagsrichter so despektierlich auf den Rundfunk schauen, aber selbst kaum Zusammenarbeiten forcieren, ist dabei fraglich. Daher ist es wirklich seltsam, dass man als Abonnent einer Lokalzeitung keine Artikel eines anderen Lokalblatts lesen? Warum glauben die Zeitungsmacher, dass die Kunden unzählige Abonnements abschließen? Selbst bei Verlagsgruppen gibt es überhaupt keine Zusammenarbeit. Vielleicht liegt das immer noch daran, dass die Chefs weiterhin gut verdienen. Verlage stehen mit ihren vielen Nebengeschäften nicht gerade am Abgrund. Zwar kommt die in Unterfranken ansässige Main-Post nur auf zirka 30.000 Digital-Abos, aber rund 200.000 Blätter werden zwischen Aschaffenburg und Bamberg ausgeliefert. Oder man wählt diesen Weg: Die regionalen Zeitungen könnten ihre besten Artikel austauschen und auch außerhalb der üblichen DPA-Meldungen zusammenarbeiten.
Digital-"Print" ist unerlässlich: Die „Süddeutsche Zeitung“ hat sich nicht umsonst Jahrzehnte einen ausgesprochen guten Kulturteil erarbeitet und bietet dazu noch zahlreiche Enthüllungsstorys an. Ein Spiegel+-Abonnement ist heute eigentlich unabdingbar, wenn man in der hochkomplexen Welt den Überblick behalten will. Bei der „Welt“ gibt es treffsichere Kommentare und zahlreiche Meinungen der unterschiedlichen Ressortleiter. Und wenn Ulf Poschardt gerne mit seinem Porsche 911 darüber spricht, wie er auf den Landstraßen im Berliner Umland fährt, ist das genauso spannend wie eine Meinung zum Klimawandel.
Tatsächlich sind Tageszeitungen, sofern man die digitalen Varianten nutzt, hintergründig. Gerade in der Corona-Pandemie hat man fundierte Meinungen vermisst und schnell im Gespräch bemerkt, wer eben die Geschichte vor der Paywall liest, oder die ausführlichen Storys liest. Es ist auch etwas verwunderlich, dass Zeitungen nicht mit Studenten-Abos werben oder das Account-Sharing vorantreiben, das könnte zu einem Anstieg der jungen Leser führen.
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