Ferdinand von Schirach gehört zu den fleißigsten Kriminalautoren der Republik und verarbeitet seine realen Fälle mit Abwandlungen zu Kriminalgeschichten. Wie viel Fiktion in seinen Büchern steckt, das ist nur wenigen Menschen klar. Der Autor wird dieses Geheimnis wohl nie verraten. Erst im Alter von 45 Jahren publizierte Schirach seine erste Geschichte, seither sind unzählige Erzählungen in vielen Bändern hinzugekommen. Seine Kurzgeschichtenbänder sind „Verbrechen", „Schuld“ und „Strafe“. Für die ersten beiden schlüpfte Josef Bierbichler in die Rolle des Anwalts Friedrich Leonhardt, bei «Schuld» engagierte Starproduzent Oliver Berben und Jan Ehlert diesmal Moritz Bleibtreu.
Für die neue RTL+-Serie «Strafe» wählte die Moovie einen anderen Weg. Alle sechs Episoden der Serie – eine Fortsetzung mit weiteren sechs Geschichten ist im Übrigen möglich – wurden von unterschiedlichen Regisseuren und Regisseurinnen entwickelt. Die Anwälte und Richter werden in dem neuen Serienevent auf Gastdarsteller reduziert. Es stehen Täter, Opfer oder andere Beteiligte im Mittelpunkt der Geschichten. Da sich Schirach in seinen Geschichten auf die Sprache und Aktion beschränkt, haben die Macher der Serie viel Gestaltungsspielraum für Landschaftsaufnahmen, die Drehorte und in die Inneneinrichtung. Bis auf ein kleines Detail: Um möglichst viel Fördergelder abzugreifen, drehte man in Bayern, Berlin und Brandenburg sowie in Nordrhein-Westfalen.
Oliver Hirschbiegel («Der Untergang») setzte den ersten Film „Der Taucher“ um, bei der ein Kind unter der Härte der Mutter leidet. Mit seiner Ehefrau hat er wenig gemeinsam, stattdessen frönt er einen Fetisch in einem Latex-Taucheranzug. Durch ein Missgeschick stranguliert er, er verstirbt. Seine Frau spielt eine mysteriöse Rolle bei diesem Unfall. Das Werk wird langsam erzählt und zeigt das Dorfleben von seiner Schattenseite. Was würden die Freunde der Familie nur denken, wenn die von Jan Krauter gespielte Figur spezielle sexuelle Vorlieben hat. Schirachs Erzählungen spielen gerne mit der Zeit, die Zuschauer müssen genau aufpassen, um die Storys in die Geschichte einordnen zu können.
Auch die Nacktheit von Krauter ist bemerkenswert, doch Jule Böwe setzt als verprügelte Gefängnisinsassin M noch eine Qualitätsstufe drauf. Ihre Figur, die an der Grenze der geistigen Behinderung angelehnt ist und die sich ein Heim mit ihrem ebenfalls kranken Mann teilt, ist eine Geschichte voller Leid. Die Episode wird rückwärts erzählt und beginnt mit dem Mord an ihrem vorbestraften Mann. Sukzessiv erfahren die Zuschauer in dem Werk von David Wnendt («Er ist wieder da»), wie diese Tragödie – sowohl die, die zu ihrem Gefängnisaufenthalt, als auch zum tödlichen Unfall mit ihrem Mann kam.
Zwischenzeitlich gibt es mit „Der Dorn“ eine skurrile Geschichte, in der ein introvertierter Museumswächter von der wöchentlichen Rotation in der Berliner Museumsindustrie ausgeschlossen wird und sein Leben lang die gleiche Statue bewacht. Doch er verliert den Verstand, denn dem Werk aus Marmor fehlt etwas. In „Das Seehaus“ von Patrick Vollrath («7500») steht Felix Ascher, verkörpert von Olli Dittrich im Mittelpunkt. Diese sehr langsame und teilweise an «Dittsche» erinnernde Folge ist qualitativ nicht so gut geworden. Man glaubt, dass ständig Dittrich in seiner Dittsche‘ Art einen Kalauer raus lässt – schade! Die Auflösung des Krimis ist in diesem Fall recht unspektakulär, doch Schirach-Leser wissen, dass kleine Details entscheidend sind.
Eine junge Frau, sie heißt Katharina, muss neben ihrem Job als Pressesprecherin eines Hamburger Unternehmens zu ihrem ersten Fall ans Landgericht. „Die Schöffin“ stammt von Mia Spengler, die drei Folgen von «How to Sell Drugs Online (Fast)» umsetzte. Da die neue Hilfsrichterin Emotionen vor Gericht zeigte, drängt sie die Strafverteidigerin zu einem Befangenheitsantrag. Gleichzeitig muss sich die von Elisabeth Hofmann verkörperte Rolle sich mit ihrem Freund Felix Mauf (Nico Holonics) herumschlagen, der sich einen größeren Erfolg bei der Lokalwahl vorgestellt hat. Es stellt sich heraus, dass er ihr nicht gerade guttut. Katharina weiß nicht weiter und zeigt sich befangen – doch das ändert alles und ist ein böser Trick in der Welt der Justiz.
In Finale gibt es ein Wiedersehen mit Josef Bierbichler. Im Mittelpunkt dieser Folge steht die Anwältin Seyma, die einen Russen verteidigt, der Frauen aus Osteuropa zur Prostitution zwingt. Ihr fällt es sehr schwierig, den skrupellosen Mann zu verteidigen, doch sie schluckt ihr Gewissen herunter und kann Revision einlegen. Doch damit öffnet sie ein Tor zu Hölle.
Die neue Serie «Strafe» mit den sechs Filmen ist hervorragend und wertet einmal mehr den Streamingdienst RTL+ auf. Schon im vergangenen Jahr schickte man «Glauben» auf Sendung und setzte damit kurz nach der Umbenennung von TVNow ein Highlight, doch die unterschiedlichen Serien lassen sich nicht wirklich miteinander vergleichen. Die fiktionalen Programme spielen auf Augenhöhe mit den Bühnenstücken «Terror» und «Gott» (beide für Das Erste) sowie die zwei Filme um das Thema Folter: «Gegen die Zeit». Schirachs Werke liefern brillante Vorlagen, die seit Jahren von verschiedenen Schauspielern und Regisseurin umgesetzt werden. Neben Schirach sind Oliver Berben, Jan Ehlers und die Moovie die Gründe, warum dauerhaft tolle Krimis geliefert werden.
«Strafe» ist seit 28. Juni 2022 bei RTL+ streambar.
Es gibt 6 Kommentare zum Artikel
13.07.2022 13:41 Uhr 1
14.07.2022 15:49 Uhr 2
14.07.2022 16:31 Uhr 3
Das soll zum Nachdenken und besser werden anregen, wenn man die Fehler selber finden muss.
Und man wird dann auch gelobt.
Aber wenn bis morgen keine Besserung in Sicht ist werde ich das tun.
14.07.2022 18:03 Uhr 4
14.07.2022 19:32 Uhr 5
Mag wer weitermachen? ^^
15.07.2022 14:47 Uhr 6
"Für die ersten beiden schlüpfte Josef Bierbichler in die Rolle des Anwalts Friedrich Leonhardt, bei «Schuld» engagierte Starproduzent Oliver Berben und Jan Ehlert diesmal Moritz Bleibtreu."
Wer war denn nun bei Schuld der Hauptdarsteller? Und warum sind Oliver Berben und Jan Ehlert eine Person? Und wann man diesmal anwendet, darüber könnte man auch noch mal nachdenken.