Düsseldorf statt des Münchner Vororts Aschheim. Doch sonst ist vieles inhaltlich gleich: Felix Armand ist eine nette Version von Jan Marsalek, der letztendlich beim großen Börsencrash von Wirecard Mitte 2020 das Land verließ und weltweit gesucht wird. Doch alles der Reihe nach: Im Mittelpunkt der Netflix-Serie «King of Stonks» steht der 30-jährige IT-Manager Felix, etwas dicker und Hemdträger, gespielt von Thomas Schubert («Euer Ehren»), ein völlig unterschätzter Schauspieler.
Es steht der Börsengang der Fintech-Firma CableCash an und Felix möchte endlich zum zweiten Geschäftsführer aufsteigen. Doch Magnus A. Cramer, verkörpert durch den genialen Matthias Brandt («Sörensen hat Angst»), lässt seinen Schützling auflaufen und dieser bekommt den wertlosen Posten des COO an. Die schlechten Nachrichten trudeln ein: Die Firma wickelte hauptsächlich Geld von Glückspiel und Porno-Zahlungen ein, und das finden Banken gar nicht sexy – Inventoren ebenso nicht. Die Firma soll langfristig in den DAX aufsteigen und auf diesem Weg stört negative Presse natürlich.
Der Journalist Tom Wieland (Andreas Döhler) sucht seit Monaten nach Informationen über den raketenähnlichen Aufstieg der Firma. Ihm ist es gar nicht geheuer, wie ein deutsches Fintech-Unternehmen so einen fabelhaften Aufstieg hinlegen kann. Dazu kommt Sheila Williams, die auf die Pleite des Unternehmens setzt. Sie hat die Akten der Firma studiert und möchte das große Geld verdienen. Um die sechs Folgen lange Miniserie zu überbrücken, werden auch die Porno-Millionäre und die italienische Mafia eingebaut – immerhin müssen knapp fünf Stunden Sendezeit gefüllt werden.
CableCash-CEO Magnus versucht sich als deutscher Elon Musk darzustellen – jedoch noch viel verrückter. Die Masche gelingt, seinen Instagram-Account abonnieren immer mehr Menschen. Die Firma baut sich ihre eigene Religion auf, der vorgespielte Reichtum, den ausschweifenden Exzesse kommen beim Internetpublikum an. Die Investoren werden zu Gläubigern und nehmen jede noch so schlechte Nachricht aus der Presse als Verleumdung wahr. Was Magnus sagt, ist das Wort eines Gottes. Eine betrügerische Fintech-Firma aus Deutschland? Kann es nicht geben!
Einen kleinen Wehmutstropfen enthält «King of Stonks» dann doch noch: Man merkt der Serie an, dass nach dem Pilotfilm das Budget – wie schon bei vielen anderen Netflix-Serien – massiv zusammengestrichen wurde. Die Partys werden kleiner, die Locations, in denen gedreht wird, wirken schon fast winzig. Gruppenmeetings in der Firmenzentrale wirken ein wenig armselig, wenn man eine Büroetage bespielt, aber nur rund 20 Statisten im Hintergrund platziert. Das mag vielleicht der Corona-Pandemie geschuldet sein, aber das sollte in Zukunft hoffentlich wieder anders sein.
Umso länger die Handlung andauert, desto verrückter werden die Charaktere. Dann wird schon mal ein Adler in die Hauptzentrale von CableCash geholt, zahlreiche Partys gefeiert und die eine oder andere Feindschaft auch offen ausgetragen. Geld verdienen setzt Glücksgefühle frei, sagten Experten. Dieses Gefühl ist wie die stetige Einnahme einer Droge. Die Showrunner Matthias Murmann und Philipp Käßbohrer nahmen sich Filme wie «The Wolf of Wall Street» und «The Big Short» als Vorbild. Keine schlechte Wahl, die Serie gehört zu den besten Serien des Jahres. Zweifelsohne hat die bildundtonfabrik einmal mehr einen würdigen seriellen Nachfolger von «How to Sell Drugs Online (Fast)» geschaffen. Dennoch haben die Autoren einen Fehler hinterlassen. Die Satire um Wirecard und schließlich auch um CableCash funktioniert nur, wenn die Originalgeschichte bekannt ist. Davon hat man in den vergangenen Jahren viel mitbekommen. Spiegel+-Leser, Zuschauer der hervorragenden Sky-ARD-Dokumentation «Wirecard – Die Milliarden-Lüge» oder Konsumenten der Sachbücher „House of Wirecard: Wie ich den größten Wirtschaftsbetrug Deutschlands aufdeckte und einen DAX-Konzern zu Fall brachte“ und „Bad Company“, die erschienen sind, können die sechs Episoden richtig genießen – da schon die kleinsten Details eine Anlehnung an dieser ominösen Firma aus Aschheim sind.
Wenn in «King of Stonks» das Finale ansteht, dann ist das Ende eigentlich schon klar. Oder doch nicht? Vielleicht haben die Produzenten auch deshalb keine Rechte an den Büchern erworben, um mit der Geschichte freier umzugehen. Denn: Obwohl COO Felix Armand und Magnus A. Cramer als Feinde in die Ecke getrieben werden, steht ihre Liebe zu CableCash im Vordergrund. Daher ist die letzte Folge umso spektakulärer, weil hier alle Handlungsfäden aufeinander zulaufen. Nach dem Ende ist eine Fortsetzung nicht mehr möglich, die Miniserie kann in dieser Form nicht fortgesetzt werden. Aber zuletzt überzeugen Serien, die ein rundes Ende hatten. Schon «How to Sell Drugs Online (Fast)» hat die Produktionsfirma komplett abgeschlossen, auch wenn ein unnötiges Spin-of mit Bjarne Mädel ansteht. Zu den besten Serien des Jahres gehören unter anderem Formate wie «Inventing Anna», die ebenfalls als Miniserie konzipiert wurde.
«King of Stonks» ist bei Netflix verfügbar.
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