Dem Reality-Fernsehen lässt sich in den vergangenen Jahren eine deutliche Entwicklung hin zu mehr Extremen zuschreiben, was sich an den Mobbing-Skandalen vom «Sommerhaus der Stars» oder homophoben Äußerungen bei «Promis unter Palmen». Reality-Fernsehen lebt vom Krawall der Protagonisten und macht damit Quote. Lauwarme Neustarts wie «Club der guten Laune», das mit einer positiven Grundstimmung überzeugen sollte, konnte die Erwartungen daher wenig überraschend nicht erfüllen. Und auch das Thema Sex ist omnipräsent in dieser TV-Farbe. Formate wie «Temptation Island» bei RTL+ spielen mit den Reizen der Mitwirkenden, Ziel ist es aber nicht die Paare beim Kopulieren zu filmen, sondern das sexuelle Verlangen in die Höhe zu treiben. Auch Netflix bedient dieses Konzept mit dem Format «Too Hot To Handle», in dem Sex ausdrücklich verboten ist.
In eine ganz andere Richtung geht nun Sendung «How To Build a Sex Room», die seit dem 8. Juli ebenso bei Netflix verfügbar ist. Die Sendung ist keine Reality-Show, wie die anderen oben genannten Sendungen, sondern fällt in die Kategorie der Home-Improvement-Shows, also im Vordergrund stehen Renovierungsarbeiten. Zuständig für die Verbesserungsarbeiten ist dafür die britische Innenarchitektin Melanie Rose, die aber eine ganz bestimmte Aufgabe erfüllen soll: Sie soll – wie der Titel verrät – Räume umgestalten, um aus ihnen Oasen der sexuellen Lust zu machen. Rose ist ursprünglich nicht ausschließlich auf „Sex Zimmer“ spezialisiert, kam während ihrer Tätigkeit als Luxus-Designerin für Wohnzimmer, Küchen und Bäder auf die Idee der Sex-Zimmer-Designerin, und so fällt sie in Folge eins, noch bevor sie vorgestellt wird, mit der Tür ins Haus.
Sicherlich, das Paar, das sich für eine Renovierung beworben hat, wusste, was es erwartet, dennoch spiegelt sich die Überforderung des Publikums im Anblick Roses offener Direktheit in Taylors und Ajays Gesicht wider. Erst dann beginnt die Show zu erklären, was man eigentlich vorhat. Anders als das Wort „Sex-Zimmer“ möglicherweise suggerieren mag, geht es dabei nicht um „schmutzige oder schäbige“ Einrichtungen, sondern können alles sein, von einem „prächtigen Schlafzimmer bis hin zu einem Verlies unter der Treppe“, wie Rose erklärt.
Und hier beginnt bereits die Differenz zu herkömmlichen Renovierungsshows, wie sie zuhauf bei Home & Garden TV oder vergleichbaren Sendern zu finden sind. Denn im Mittelpunkt steht nicht nur die Renovierung, sondern auch die Paare selbst, die sich von heteronormativen Paaren, die mal mehr und mal weniger sexuell aktiv sind, über eine ältere frisch-geschiedene Dame bis hin zu einem lesbischen Paar in einem Van und einer polyamorösen Gemeinschaft erstrecken. Das zeigt: Sex-Zimmer müssen verschieden und sehr individuell angepasst sein. Dennoch ist Melanie Roses Herangehensweise immer gleich. Sie drückt den Teilnehmern zunächst verschiedene Sex-Toys in die Hand, wie Peitschen, Gerten oder Anal-Plugs, um so herauszufinden, welche Vorlieben besonders zum Tragen kommen sollen.
Besonders prüde sollte man beim Zuschauen allerdings nicht sein, denn «How To Build a Sex Room» verlässt recht schnell die Pfade des Blümchensex und stellt verschiedene Kink-Praktiken vor. Kink ist ein Überbegriff, der alle alternativen sexuellen Interessen umfasst, während ein Fetisch – dieses Wort spart die Sendung explizit aus – eine Voraussetzung für sexuelle Erregung ist. Dennoch steht die Entdeckung der Lust im Vordergrund, denn Rose versucht den Paaren neben den bereits ansprechend empfundenen Praktiken auch immer einen Schubs ein wenig weiter auf dem Pfad der sexuellen Erwachung zu geben. So nimmt sie die Paare zu verschiedenen Trainings bei einer Domina oder bringt ihnen das Bondage-Spiel mit Seilen bei. Das stößt zwar nicht immer auf hundertprozentige Gegenliebe, was von der Designerin bei ihrem Entwurf aber auch akzeptiert und respektiert wird. Sex-Positivity – also die Einstellung, einvernehmliche menschliche Sexualität als grundlegend gesund und angenehm zu betrachten und diese Grundeinstellung zu fördern – ist die Grundlage dieser Netflix-Sendung.
Verschließt man sich als Zuschauer nicht dieser Einstellung und den dargelegten Praktiken, macht das Anschauen der Sendung großen Spaß. Menschen beim Entdecken ihrer Lust zu sehen, lässt einen auch die eigene Lust reflektieren und beim Schauen mit dem Partner lässt sich so gar das ein oder andere neue Experiment in die Wege leiten. Dafür braucht es auch nicht gleich ein ganzes Zimmer, aber ein Bruch mit der Routine im Schlafzimmer hat in einem gesunden Umfeld sicher noch niemandem geschadet. Kurzum: «How To Build a Sex Room» macht Lust auf mehr.
Durch die besondere Episodenstruktur lässt sich die achtteilige Serie – für ein Factual-Format – ungewöhnlich schnell hintereinander bingen. Das mag zwar etwas nervig werden, wenn pro Folge zwei Räume parallel gebaut werden, am Ende aber immer nur einer enthüllt wird, doch lässt es das Publikum aber eben auch dranbleiben. Bei HGTV-Sendungen kann man nach einer Folge abschalten, ohne das Gefühl zu bekommen etwas verpasst zu haben. Auch die Produktion ist im gewohnten Netflix-Stil gehalten und erinnert in der Aufmachung stark an die Hit-Reihe «Selling Sunset». Auch bei «How To Build a Sex Room» bringt Melanie Rose als Protagonistin ihren eigenen Charakter in die Show ein. Ihre neckischen Spielereien mit dem Bauunternehmer Mike werden immer wieder durch Schnitte mit elektronischer Tanzmusik mit erotisch angehauchten Texten unterbrochen. Rose und die Paare begleiten die Szenen zudem aus dem Off, wobei sie dabei nicht vor einem Greenscreen sitzen, sondern auf einer ansprechend und für jedes Paar zutreffend dekorierten Couch Platz nehmen und die Entwicklungen kommentieren. Der Zuschauer bekommt dabei aber immer nur Versatz-Stücke der umgebauten Zimmer zu Gesicht, im Vordergrund steht tatsächlich die Reise der Paare auf ihrem Weg zu einer befreiten Lust und ihren tiefsten Fantasien.
«How To Build a Sex Room» setzt sich klar von anderen Renovierungs-Shows ab, denn es erzählt nicht nur die Geschichte der Veränderung des Raumes, sondern – und vor allem – die Entwicklung der Teilnehmer hin zu einem größeren Lustempfinden im Schlafzimmer. Vor allem durch das Paar Raj und Ryan in Folge eins und zwei wird deutlich, dass ein Sex Room kein versauter Spielort sein muss, es geht bei der Show vielmehr um das Erkennen der eigenen Bedürfnisse und die des Partners und diesem Verlangen buchstäblich auch Raum zu geben, denn Sex ist schließlich nicht umsonst die schönste Nebensache der Welt.
«How To Build a Sex Room» ist bei Netflix verfügbar.
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