ProSiebenSat.1 Media SE-Chef Rainer Beaujean soll alles besser wissen, jede Tätigkeit geschickter beherrschen und ohnehin der klügste Kopf in ganz Unterföhring, wenn nicht sogar in ganz München, sein. Die von Silvio Berlusconis geforderte Film- und Fernsehallianz, wie sie zahlreiche öffentlich-rechtliche Sender propagieren, hat der in Neuss bei Düsseldorf geborene abgelehnt. Stattdessen habe er auf die eigene Strategie verwiesen: Factual-Formate sollen die Fernsehprogramme prägen.
Die Reichweiten von ProSieben und Sat.1 sind in den vergangenen Jahren weiter gesunken, hohe Marktanteile von TV-Shows wie «The Voice» sind inzwischen nur möglich, da praktisch immer weniger Menschen unter 50 Jahren das lineare Fernsehen nutzen. Die Presse ist mies: Mehrere Teilnehmerinnen von «Germany’s Next Topmodel» sowie Internet-Star Rezo veröffentlichten Videos mit verblüffenden Aussagen. Die Tochterfirma Redseven griff zum Gegenschlag – und kassierte vor Gericht eine herbe Niederlage. Die Sendung mit Heidi Klum darf offiziell als gescriptet bezeichnet werden. Bei «Topmodel» kann man inzwischen ruhigen Gewissens sagen: Es ist Fake-TV.
Am Sonntagabend wird ProSieben vorerst keine Blockbuster mehr zeigen, weil sich RTL das riesige Paket geschnappt hat. Marvel, Pixar, 20th Century, «Star Wars» & Co. laufen inzwischen bei Disney+. Eigene Fiction hat man aus Unterföhring nicht vorzuweisen, es läuft nicht wirklich berauschend in dem Unternehmen von Beaujean. Seine amerikanischen Fernsehsender verscherbelte man recht günstig an die Konkurrenz. Der Unternehmenswert sank inzwischen auf 1,93 Milliarden Euro, nur noch 8,30 Euro kostet ein Anteilsschein.
Bereits Anfang des Monats Juli berichtete das „manager magazin“, dass das Investmentgeschäft der Mediengruppe riesige Probleme hat. Wie auch bei zahlreichen anderen Startups sind sowohl Kleinanleger als auch Kunden nicht mehr bereit, die irren Geschäftsmodelle zu finanzieren. Nun gehen die Chefs von Flaconi, Christoph Honnefelder und Benjamin Ludigs. Sie haben schlichtweg keine Lust mehr an der kurzen Leine des Unterföhringer Chefs zu sein. Andere Köpfe haben sich schon von Beaujean abgeseilt. Ohnehin wissen die Verantwortlichen der Startups nicht, ob Investments gehalten oder veräußert werden.
Die Gutscheinplattform Jochen Schweizer dümpelt seit der Corona-Pandemie vor sich hin, das Handwerkerportal Aroundhome enttäuscht vor der nächsten Wirtschaftskrise ebenfalls. Die Firmen, die man unter Nucom-Gruppe zusammen mit dem Investor General Atlantic managt, schneiden schlecht ab. Durch die Energie-Krise ist auch das Vergleichsportal Verivox wirtschaftlich angeschlagen. Der Verkauf des Erotikhändlers Amorelie war bereits vor einem Jahr ein Desaster, Gründerin Lea-Sophie Cramer verließ das Unternehmen, nachdem sie nach dem Adventskalender keine neuen Hits kreieren konnte. Man wollte rund 100 Millionen Euro mit dem Unternehmen verdienen, der Verkauf an die Beate Uhse-Mutter brachte nur ein Viertel. Douglas hätte für Flaconi einst 600 Millionen Euro berappen können, doch in Unterföhring wollte man im Rausch lieber eine Milliarde verdienen. Inzwischen ist weder ein Verkauf noch ein Börsengang eine sinnvolle Option, wie das „manager magazin“ berichtet.
Die ProSiebenSat.1-Gruppe war eine Zeit lang auf Augenhöhe vom deutschen RTL. Doch Bertelsmann-Chef Thomas Rabe hat mit Stephan Schäfer und Matthias Dang zwei Geschäftsführer gefunden, die an der Vision eines „One RTL“ glauben. In Gütersloh und Köln hat man eine Fusion: RTL+ soll eine nationale Streamingplattform für Bücher, Zeitschriften, Musik, Videos und Informationen werden. Und in Unterföhring? Dort habe man sich sogar die Posse erlauben können, dann man völlig ohne Konzept des eigenen Streaminganbieters Joyn zu den Screenforce Days fährt. In zwei Wochen sind die Halbjahreszeugnisse fällig: Dann wird man Schwarz auf Weiß sehen, ob Beaujean versetzt wird.
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