Hallo Frau Seemann. Ihr Buch „kleingedrucktes“ handelt von verschiedenen Tweet-Geschichten. Worauf können sich die Leser bei der Lektüre freuen?
„kleingedrucktes“ sammelt ein Best-of aus Dingen, die ich auf Twitter und an anderen Orten im Internet geschrieben habe. Die Lesenden können sich auf kurzweilige, lustige Gedanken und Lyrik freuen, nach Uhrzeit sortiert, so dass es für jeden Moment des Tages etwas Passendes zu finden gibt. Von „früher stand mir die welt offen, jetzt steht sie mir zu“ bis „wer mir zuerst hundert euro überweist, gewinnt“ ist alles dabei. Nur Großbuchstaben wird man nicht finden.
Ihre Tweets sind in gedruckter Form erschienen. Ist das eine adäquate Form, um Inhalte zu sammeln?
Absolut! Das Internet ist für den Moment, aber Bücher sind für die Ewigkeit. Was online geschieht, verfliegt oft schnell wieder, auf Papier haben die Gedanken Beständigkeit. Außerdem hat meine Oma keinen Twitteraccount, aber Bücher liest sie gern und so kriegt sie auch mit, was ich online so treibe.
Sie sind seit vielen Jahren Slam-Poetin. Wie sind Sie denn zu dieser Beschäftigung gekommen?
Ich war selbst lange Fan des Formats und habe mich irgendwann getraut, mitzumachen. Ich wollte immer schon gern auf der Bühne stehen, aber Lesen war lange mein einziges Hobby und ich habe auch kein musikalisches Talent - Poetry Slam hat mir dann die Möglichkeit geboten, Geschriebenes an Publikum zu testen und beides zu verbinden. Und dann bin ich dabeigeblieben.
Wie sieht denn ein typisches Brainstorming für neue Texte bei Ihnen aus? Setzen Sie sich in ein Büro und „arbeiten“ nach Schichtplan oder fallen Ihnen spontan neue Ideen ein?
Ein Büro habe ich nicht, ich denke, dass mich das auch eher einschränken würde. Die Ideen kommen mir in den unterschiedlichsten Momenten: wenn ich etwas beobachte, auf Reisen und besonders, wenn ich entspannt bin, beim Duschen oder kurz vor dem Einschlafen zum Beispiel. Ich kann auch nicht planen, wann mir etwas Gutes einfällt, es passiert einfach. Wichtig ist nur, die Idee sofort aufzuschreiben, sonst geht sie verloren.
Jan Böhmermann hatte vor knapp zwei Jahren ein ähnliches Buch hervorgebracht. Werden wir gedruckte Tweets und Status-Nachrichten noch häufiger als Werk sehen?
Wahrscheinlich, und das finde ich auch gut. Es gibt online einen riesigen Pool an gutem Content, von dem sich sicher einiges für Print eignet. Und ich denke, dass man da trotzdem noch genug Herangehensweisen findet, um sich zu unterscheiden. Der Ansatz von Jan Böhmermann war ja, den Ist-Zustand möglichst vollständig abzubilden. „kleingedrucktes“ ist da handverlesener und legt den Schwerpunkt auf Unterhaltung und weniger auf die Dokumentation. Viel mehr als das Buch von Jan Böhmermann haben mich allerdings die „Statusmeldungen“ von Stefanie Sargnagel oder die „Dialoge“ von Johannes Floehr inspiriert. Die beiden Werke haben es geschafft, Internetinhalte auf ein analoges Medium zu übertragen, ohne dass etwas von ihrem Charme verlorengeht, und das fand ich toll.
Wie würden Sie „kleingedrucktes“ sehen. Als Unterhaltungswerk, nachdenkliche Literatur oder doch eine Art moderne Zeitkapsel?
Ich glaube, eine Mischung aus Zeitkapsel und Unterhaltung trifft es gut. Es ist der Versuch, den Gedankenstrom festzuhalten, weshalb es mir wichtig war, auch Lyrik mit reinzunehmen.
Sie konnten während der Corona-Pandemie nicht spielen. Hat Ihnen das finanziell stark geschadet?
Ja, meine Paypaladresse ist paypal.me/SelinaSeemann. Jeder Euro hilft!
Gab es Alternativen für die Poetry-Slammer wie beispielsweise Sommer-Picknicks zwischen den verschiedenen Wellen?
Es gab Alternativen wie zum Beispiel Poetry Slams im Autokino oder Lesungen in Livestreams. Einige Veranstaltende haben sich sehr bemüht, Kultur zu ermöglichen. Aber die Livestreams konnten weder die Atmosphäre von echten Veranstaltungen einfangen noch den finanziellen Ausfall auffangen. Wer Glück hatte, hatte Rücklagen zum Aufbrauchen, viele Bekannte haben aber auch mit der Kleinkunst aufgehört und sich andere Jobs gesucht oder Grundsicherung beantragt.
Sie stammen aus der Stadt Kiel. Hätte eine Großstadt wie Hamburg Ihre Karriere deutlich beschleunigt?
Ich komme sogar eigentlich aus einem sehr kleinen Dorf im Flensburger Umland, Kiel ist schon die Großstadt, die meine Karriere beschleunigt hat. Die Poetry Slam Szene ist innerhalb des gesamten deutschsprachigen Raums sehr gut vernetzt, weshalb ich eh viel unterwegs bin, da ist gar nicht so wichtig, wo ich lebe. Außerdem hat Schleswig-Holstein viel zu bieten, einige meiner schönsten Auftritte hatte ich hier in kleineren Orten. Ich glaube nicht, dass Hamburg etwas daran geändert hätte. Ich würde nur wahrscheinlich sehr viel mehr Miete zahlen.
Wo möchten Sie mit Ihrer Kunst in fünf Jahren stehen?
Na, auf den Bestsellerlisten natürlich!
Außerdem: Wie sehen Sie den Kauf von Twitter durch Elon Musk? Reine PR oder ein
echter Plan?
Der Kauf wird ja wahrscheinlich nicht stattfinden, wie es gerade aussieht. Zu Elon Musk kann ich nur sagen, dass ich alle Milliardäre für unethisch halte, kein Mensch sollte so viel Geld besitzen dürfen. Der Deckmantel der Philanthropie kann nicht verbergen, welche Geschäftspraktiken Tesla hat und wie problematisch Musk ist. Es ist mir egal, was er mit dem Geld macht, das er aus den Smaragdminen seines Vaters bekommen hat, der einzige Plan, den Elon Musk hat, ist mit seinen Launen zu provozieren, der einzige Plan, den ich für Elon Musk hätte, wäre ihn zu enteignen
Danke für Ihre Zeit!
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