Hintergrund

Nächster ARD-Skandal: NDR sieht sich schweren Vorwürfen ausgesetzt

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Die ARD kommt dieser Tage nicht zur Ruhe. Während der Skandal des rbb weiter lichterloh brennt, kamen nun auch beim NDR interne Querelen ans Licht der Öffentlichkeit. Die Vorwürfe lauten „Hofberichterstattung“ und ein „Klima der Angst“.

Die Aufregung über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk dominiert aktuell die Berichterstattung im Sommerloch, das längst eine archivierte Vokabel geworden ist, denn in der schnelllebigen Medienwelt gibt es immer etwas zu berichten. So ist der Skandal um die Vetternwirtschaft beim rbb und persönliche Verfehlungen von Ex-Intendantin Patricia Schlesinger noch nicht abgeebbt – ein externes Compliance-Verfahren sowie die Ermittlungen der Generalstaatsanwaltschaft warten auf ihren Abschluss –, steht der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland der nächste Ärger ins Haus. Der ‚Business Insider‘, der bereits den Skandal um Schlesinger ins Rollen brachte, berichtet über schwere Vorwürfe, die NDR-Redakteure gegen ihre Senderleitung erhoben.

Konkret geht es dabei um neun NDR-Mitarbeiter aus dem Rundfunkhaus in Kiel, die sich in den vergangenen zwei Jahren persönlich – unter Zusicherung ihrer Anonymität – an den Redaktionsausschuss des NDR gewandt hatten. Die Beschwerde lautet, laut eines vertraulichen Berichts, aus dem das Axel-Springer-Medium zitiert, dass die „Berichterstattung teilweise verhindert und kritische Informationen heruntergespielt werde“. Die Situation wurde beschrieben, als gäbe es einen „politischen Filter“, als seien die Führungskräfte „Pressesprecher der Ministerien“. Der NDR versuchte die Vorwürfe zunächst herunterzuspielen, musste dann jedoch eingestehen: „In der Tat haben wir Anlass zur Korrektur unserer Antworten, was ich sehr bedauere“, wie eine NDR-Sprecherin vom ‚Business Insider‘ zitiert wird. Zunächst wies sie jedoch darauf hin, dass der Vorgang „aus Sicht des Redaktionsausschusses, des beteiligten Mitarbeiters und des zuständigen Programmbereichs aufgearbeitet und abgeschlossen“ sei.

Ausgangspunkt der Recherche waren die Vorwürfe eines NDR-Mitarbeiters, der sich der Affäre um den ehemaligen Innenminister Schleswig-Holsteins Hans-Joachim Grote (CDU), der im April 2020 mit sofortiger Wirkung von seinem Amt zurücktrat, annehmen wollte. Die Hintergründe seien nebulös gewesen, weswegen der NDR-Redakteur in dieser Causa, die auch Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) betraf, genauer nachforschte. Er bekam zunächst ein Hintergrundgespräch mit dem Ex-Minister, dann ein persönliches Statement, das er für einen Fernsehbeitrag verwenden wollte. Laut Untersuchungsbericht des Redaktionsausschusses entfernte die Politikchefin Julia Stein bei der Abnahme jedoch einige Texttafeln mit Grotes Zitaten. So wurden direkte Vorwürfe gegen den Ministerpräsidenten gestrichen. Ein darauffolgendes Interview lehnten die Vorgesetzten des Redakteurs, Julia Stein und Norbert Lorentzen, daraufhin ab, da sie keine neuen Erkenntnisse für einen Verdacht gegen den Ministerpräsidenten erwarteten. Daraufhin wandte sich der NDR-Mitarbeiter an den Redaktionsausschuss. Gut ein Jahr später legte das Gremium einen Abschlussbericht, der auch der NDR-Geschäftsführung vorlag, vor und teilte letztlich die Vorwürfe des Mitarbeiters.

„Aus Sicht des NDR handelt es sich dabei um die unterschiedliche journalistische Bewertung einer tagesaktuellen redaktionellen Entscheidung. Dies bewertet der NDR als üblichen Vorgang im redaktionellen Tagesgeschäft und nicht als schwerwiegenden Vorwurf, aus dem sich eine Handlungsnotwendigkeit ergibt“, wie eine Sendersprecherin in dem Bericht zitiert wird. Einen politisch motivierten Einfluss habe es hier jedenfalls nicht gegeben, dies habe auch der Redaktionsausschuss bestätigt. Der NDR unterschlägt dabei aber eine weitere Passage des Abschlussberichts, in dem es heißt, dass sehr wohl die Gefahr bestehe, dass genau dieser Verdacht entstehen könne, „wenn nicht gründlich aufgeklärt wird und der Fall an die Öffentlichkeit gelangt“. Im Rahmen der Untersuchung stellte sich daraufhin heraus, dass acht weitere Mitarbeiter aus dem Landesfunkhaus in Kiel die Schilderungen des NDR-Redakteurs bestätigt hätten, als sie sich vertraulich an den Redaktionsausschuss gewandt hatten. Auch der ‚stern‘ stellte Recherchen an. Darin heißt es, dass anonym mehrere Personen aus dem Landesfunkhaus schwerwiegende Vorwürfe gegen den NDR erheben. Sie bestätigen zudem die Aussagen des internen Untersuchungsberichts aus dem NDR in Kiel.

Ein Redaktionsmitglied ließ gegenüber dem ‚stern‘ verlauten, dass es auffällig sei, dass „ständig die Regierung befragt und gesendet wird. Keine Stimme von der Opposition, keine kritische Stimme von Verbänden". Verantwortlich sei dafür in erster Linie die Leitung der Politikredaktion. „Man hat den Eindruck, Inhalte werden gefiltert, die Redaktionsspitze ist nicht mehr objektiv“, so der neuerliche Vorwurf. Eine weitere Person sieht darin „vorauseilenden Gehorsam“ und witterte gar, dass „Redaktions- und Funkhausspitze ihre gut dotierten Verträge behalten oder weiter vorankommen“ wollen. Der ‚stern‘ weist zudem darauf hin, dass der NDR nicht über eine Alkoholfahrt mit Unfallfolgen des einstigen CDU-Parlamentariers Hans-Jörn Arp berichtet habe. Die Alkoholfahrt des engen Vertrauten von Ministerpräsident Daniel Günther war großes Thema in den Medien des Bundeslandes, wurde beim NDR jedoch totgeschwiegen. Der NDR antwortete dem Gruner+Jahr-Magazin: „Die Nicht-Berichterstattung über den Vorfall rund um den Abgeordneten Arp bewerten wir rückblickend als Versäumnis.“

Der Business Insider indes zitiert aus dem Bericht des Redaktionsausschusses wie folgt: „Sie berichten uns, dass sie den Eindruck hätten, es gebe einen Filter in der Redaktion. Berichterstattung werde teilweise verhindert und kritische Informationen heruntergespielt. Autoren würden abgezogen und Beiträge in den Abnahmen massiv verändert. Die Stimmung in der Abteilung sei vergiftet, da Konflikte so lange schwelen.“ Weiter heißt es, dass sich die Schilderungen der vielen Mitarbeiter ähnelten, sie sprachen von einem „Klima der Angst“ und großem Druck. Man versuchte herauszufinden, wer sich an den Redaktionsausschuss wendete. Die Redakteure hielten den Vorfall für keinen Einzelfall, die Mitarbeiter berichten, „es gebe einen ‚politischen Filter‘ in der Redaktion, ‚eine Art Pressesprecher der Ministerien'“.

Seitens des NDR heißt es, dass es bislang keinen Konsens zwischen Reaktionsausschuss und Redaktionsleitung hinsichtlich der „Causa Grote“ gebe, wie ‚Business Insider‘ berichtet. Was die Vorwürfe zum Arbeitsklima und den „politischen Filter“ angehe, wiesen die Programmverantwortlichen diese zurück, nähmen aber die Kritik ernst. Und weiter: „Der Austausch darüber dauert bis heute an“, so die NDR-Sprecherin. Darauf deutet auch ein Schreiben des langjährigen Direktors des Landesfunkhauses Schleswig-Holstein, Volker Thormählen, hin, der am Dienstag die Mitarbeiter zu einem „Open Talk“ einlud. Dieser „zwanglose Austausch“ war für Freitag angesetzt. Sicherlich dürften diese Vorwürfe noch einige Zeit weiter schwelen, Ende offen. Am Montag wird der NDR-Landesrundfunkrat Schleswig-Holstein jedenfalls kurzfristig zu einer Sondersitzung zusammenkommen, um über den weiteren Umgang mit den Vorwürfen zu beraten.

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